Mit dem Reisebericht aus Piräus ist der letzte Artikel bereits auf die Maritime Seidenstraße eingegangen. Der griechische Mittelmeerhafen bei Athen bildet das Tor Chinas nach Europa. Im nördlichen Teil des Kontinents ist Rotterdam eine Top-Anlaufstelle im Rahmen der Meeresseidenstraße. Von den 1960ern bis 2004 bildete Rotterdam den verkehrsreichsten Hafen der Welt, bis er danach von Singapur und Shanghai - als mittlerweile größtem Tiefseehafen weltweit - überholt wurde. Rotterdam, der größte Hafen Europas, befindet sich vor der Haustür Deutschlands und die Logistiknetze zum Duisburger Binnenhafen entfalten schon längst ihre Wirkung. 

105 km² Hafen

Sobald man in Richtung Westen die Stadtgrenze Rotterdams verlassen hat, beginnen die Ausschilderungen für die zahlreichen Piers und Terminals. Von hier aus sind es gut 40 km zu fahren, bis man an die Nordseeküste gelangt. Soweit das Auge reicht, sind entlang der Strecke überall Tanks, Raffinerieanlagen und riesige Kräne zu sehen. Der Unterschied zu Piräus wird hier sofort ersichtlich. Die über 100 km², welche der Rotterdamer Hafen erfasst, werden eindrucksvoll erfahrbar.  

Ein Vergleich mit dem Hafen von Piräus, der mit 39 km² deutlich kleiner ist, zeigt, dass Rotterdam in einer anderen Liga spielt. Während der griechische Port ungefähr 4.000 Menschen beschäftigt, sind es in Rotterdam um die 60.000. Mit ca. 12 Millionen TEU (standardisierte Container, die ca. 6 Meter lang sind) pro Jahr fertigt Rotterdam ungefähr drei Mal mehr als Piräus ab. Vor diesem Hintergrund bleibt das Ziel Pekings, aus Piräus einen Big Player unter den globalen Häfen zu machen, ein überaus ambitioniertes.

World Port Center

In der Stadt, die Baukunst-Interessierten viele spannende Eindrücke zu bieten hat, entwarf der Stararchitekt Sir Norman Foster für den Hafenbetreiber „Port of Rotterdam“ das Gebäude namens „World Port Center“. In dem 33-stöckigen Hochhaus, das mit Antenne 131 Meter hoch ist, befindet sich die Schaltzentrale. Im obersten Stockwerk sieht es aus wie in einem Tower eines Flughafens. Nur sind die Punkte auf den hochhängenden Monitoren, die überall im Raum verteilt sind keine Flugzeuge, sondern Schiffe, die auf ein OK warten, um in den Hafen einlaufen zu können. Bei einem fantastischen Ausblick auf die Stadt sowie auf den entfernten Hafen lotsen die im Marine-Stil uniformierten Angestellten die Schiffe aus aller Welt an ihren Platz.

Mit Tie Schellekens, dem Pressesprecher des Hafenbetriebs, gehen wir vom 33. ins 28. Stockwerk, wo sich sein Büro befindet und er sich für ein Gespräch bzw. Fragen zur Verfügung stellt. Unser erstes Themengebiet ist die Bedeutung in der Erdölindustrie. 1947, zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, in dem die Metropole fast vollständig zerstört wurde, begann die südholländische Stadt damit, in petrochemische Anlagen zu investieren. Die Investitionen auf diesem Gebiet nahmen in den 70ern enorm zu. Rotterdam bildet - nach dem texanischen Houston und Singapur - einen der drei strategisch bedeutendsten Erdölumschlagsplätze der Welt.

Express via Duisburg

Der Hauptteil des Gesprächs lag auf den Eisenbahnverbindungen. Wie in Piräus auch, sind die Zugterminals direkt an den Hafenbetrieb angegliedert. Der erste Zug von China nach Rotterdam fuhr 2014. Damals hatte er aber keinen Erfolg, weil es sich nicht gerechnet hatte. Mittlerweile hat sich der „Rotterdam-Tilburg-Chengdu-Express“ etabliert. Das ca. 70 km von Rotterdam entfernte Tilburg ist in Sachen Eisenbahn sehr gut vernetzt und ausgebaut; Piräus hat hier übrigens noch ziemlichen Nachholbedarf. Vom chinesischen Chengdu, das mehr oder weniger mittig in China gelegen ist, dauert es zwei Wochen, bis der Zug in Holland ankommt.

Schellekens erklärt, dass 40 Container pro Zug kämen, wobei sie zu gut drei Viertel ausgelastet seien. Auf die Frage, ob ein Fortschritt zu verzeichnen sei, antwortet er: „Im Januar waren es noch drei Züge pro Woche, seit dem Sommer sind es fünf.“ Nur die Rückfahrt nach China stelle ein Problem dar, weil die Container kaum gefüllt seien. Schnell verderbliche, frische Lebensmittel kämen ohnehin nicht in Frage, aber was bei der wachsenden Mittelschicht Chinas sehr gefragt sei, seien z.B. französische Weine, die auf dem Weg zurück häufig transportiert würden.

Auf dem Weg dieser Strecke liegt der Duisburger Port, der als größter Binnenhafen Europas gilt. Als 2013 das Konzept der „Neuen Seidenstraße“ vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping vorgestellt wurde, nannte er Duisburg als Etappe in Deutschland. Der ein oder andere Zug macht dort Halt, aber einen weiteren wichtigen Faktor stellt die Binnenschifffahrt dar. In Rotterdam werden längliche, aber nicht sehr breite Schiffe mit ein bis zwei Dutzend Containern beladen, die über den Rhein nach Duisburg gelangen. Die relativ kleinen und wendigen Transportschiffe passieren Tilburg, dessen Logistik-Netzwerk - neben Eisen- und Autobahnen - ebenfalls für die Binnenschifffahrt prädestiniert ist.

Rotterdam spielt für den Transport nach Großbritannien eine sehr wichtige Rolle. Das Geschäft in punkto Vereinigtes Königreich läuft sehr gut. Zugverbindungen von China nach London sind schon seit mehreren Jahren ein Thema. Anfang Januar ist vom ostchinesischen Yiwu aus ein Frachtzug nach London gestartet. Für die rund 12.000 km hat er 15 Tage gebraucht. Von den 44 Containern wurden zehn in Duisburg abgeladen und der Rest kam in Londons „Barking’s Eurohub Freight Terminal“ an. Der Zug aus Yiwu kommt direkt nach Duisburg und dort gabelt sich die Strecke: Nach Mailand, Madrid sowie über Rotterdam nach London.

Das Land der Zukunft

Kurz bevor die Nordseeküste beginnt, befindet sich „FutureLand“. So nennt sich das Informationszentrum, wo man sich über den Hafenbetrieb erkundigen und Touren buchen kann. Bei der rund einstündigen Bootsfahrt erhält man einen sehr guten Eindruck über den Rotterdamer Hafen. Auf den zahlreichen Containerschiffen, die jeweils Tausende TEU geladen haben, befinden sich viele von Maersk, der weltweit größten Containerschiff-Reederei aus Dänemark, von der chinesischen COSCO, die die Mehrheit am Hafen von Piräus halten oder aus den arabischen Ländern, wobei Dubai eine führende Rolle einnimmt. Ein inzwischen pensionierter Hafenangestellter ist der Reiseführer, der sichtlich in seinem Element ist. Mit einem Mikrofon in der Hand zeigt er auf ein Schiff, das mit über 340 Metern eines der größten der Welt ist und über 20.000 Container laden kann. Es ist durchaus ein gewisser Stolz in seiner Stimme zu verspüren, als er erzählt, dass es nur zwei Häfen auf der Welt gibt, in dem es anlaufen kann: São Paulo in Brasilien und eben nur noch in Rotterdam.

Auf der Tour ist von weitem zu erkennen, dass die Container mit Kränen auf LKW geladen werden. Doch je mehr sich das Boot nähert, wird ersichtlich, dass die Kräne nicht von Kranführern in hochgelegenen Kabinen bedient werden und dass die LKW von selbst fahren. Wie der sympathische Pensionär erläutert, laufen die meisten Prozesse voll automatisiert ab. Bei der Digitalisierung und der Anwendung von intelligenten Smart-Technologien zähle der Hafen in Rotterdam zu den führenden.

Auf die Frage: „Wie die Zukunft eines Hafens aus, der zu einem großen Teil auf die Erdölindustrie setzt?“, antwortet ein Mitarbeiter von FutureLand, dass sie sich schon auf diese Zeiten vorbereiteten. Für Innovationen würden etwa Kooperation mit Hochschulen eingegangen und Startups gefördert. Über Digitalisierung und Automatisierung hinaus werden neue Antriebstechnologien für Schiffe oder etwa Reinigungsroboter entwickelt. Beispielsweise beim Erdölprodukt Plastik würden die Raffinerien so modifiziert, dass dort Bioplastik hergestellt werden könnte.

Fazit

Am Beispiel des Rotterdamer Hafens verdichten sich eine Reihe von Einflussfaktoren, die für das 21. Jahrhundert von hoher Bedeutung sind und es weiterhin vermehrt sein werden: Die Handelsbeziehungen zwischen China und Europa, die mit der Neuen Seidenstraße intensiviert werden sollen, das Verhältnis Großbritanniens zu China und Kontinentaleuropa sowie Digitalisierung oder industrielle Automatisierungsprozesse.

Die Eisenbahnbranche ist für Investoren einen Blick wert. 2015 1.700 Frachtzüge von China nach Europa gefahren, 2016 waren es schon doppelt so viele. 2017 wird die Zahl erneut kräftig zunehmen. Tie Schellekens gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass man sich als Anleger nicht allzu viel Hoffnungen auf schnelle Gewinne machen sollte. Es sei zwar eine überaus attraktive Sparte, aber Eisenbahnschienen in verschiedenen Ländern aufzubauen und miteinander zu verbinden, sei eine sehr komplizierte Angelegenheit. Er könne sich nicht vorstellen, dass China innerhalb weniger Jahre hier die entsprechenden Netze über den eurasischen Kontinent in vollem Umfang in Betrieb nehmen könne.

China etabliert sich bereits seit Längerem bei Hochgeschwindigkeitszügen. Letzte Woche wurde die 1243 km lange Strecke von Peking nach Shanghai in Betrieb genommen, bei dem der „Bullet Train“ - wie solche Hochgeschwindigkeitszüge international oft genannt werden - mit knapp 350 km/h nur viereinhalb Stunden braucht. Es gibt gar Konzepte, dass China einen „Fliegenden Zug“ plant, mit dem London innerhalb von zwei Tagen erreicht werden kann. Wie bei dem Vorhaben des „Hyperloops“ des Business-Magnaten Elon Musk handelt es sich dabei um eine Magnetschwebebahn bzw. einen „Vakuumtunnel“. Der Zug soll drei Mal schneller als Musks werden. Dieses nebenbei angeführte Thema ist naturgemäß eines für Langfristinvestoren, die ihren Radar schon jetzt über eine Dekade hinaus ausrichten...

Die Neue Seidenstraße, geschweige denn die Maritime Seidenstraße fristet in den deutschen Mainstream-Nachrichten eher ein Schattendasein. Das ändert sich peu á peu; das Thema erreicht langsam aber sicher das öffentliche Bewusstsein in Deutschland. Am 27. September besuchte Armin Laschet, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Rotterdam. Öffentlichkeitswirksam nahm er an der Bootstour auf FutureLand teil. Einige Medien berichteten zwar über Kooperationsvorhaben zwischen dem Bundesland und Rotterdam, aber wie bei der Pressemitteilung des Landes NRW auch, wurde der Begriff Seidenstraße nicht erwähnt. Das kann bemängelt werden. Aber auf der anderen Seite kann das auch dahingehend als Chance gesehen werden, um sich rund um den Rotterdamer Hafen nach Anlagechancen umzuschauen, bevor eine breite Anlegerschaft von lukrativen Entwicklungen erst Wind bekommt. Möglicherweise lässt sich ja so der ein oder andere Hidden Champion aus dem deutschen Mittelstand aufspüren...

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