Es ist nicht mehr zu übersehen: Schon mit der Novelle zum BKA-Gesetz von 2008 und erst recht in der Fassung vom 1. Juni 2017,(1) das weitgehende Eingriffe in die Intimsphäre der Bürger zulässt, beschritt der Gesetzgeber den Weg in den Überwachungsstaat, und selbst Juristen äußerten seinerzeit die Ansicht, sie hätten das Jahre zuvor nicht für möglich gehalten.(2) Aber es geht immer noch weiter: Der Überwachungsstaat möchte künftig von jedem Menschen wissen, wo er sich aufhält, was er tut und wie sein biologischer Zustand ist. Alles wird über die Köpfe der Bürger und zum Teil ohne parlamentarische Kontrolle beschlossen, so dass Wahlen in Zukunft eigentlich überflüssig werden.

Einen Versuch, dem unbegrenzten Abschöpfen von Handydaten (Namen, Anschriften, Kontoverbindungen etc.) bei Telefongesellschaften und Internetprovidern Einhalt zu gebieten, unternahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 17. Juli 2020.(3) Voraussetzung sei eine „konkrete Gefahr“ oder der Anfangsverdacht einer Straftat, so entschieden die obersten Richter, aber Auskünfte über die Bestandsdaten seien grundsätzlich zulässig. Damit lässt das Gericht einen großen Ermessensspielraum, so dass die Beschränkungen für die Praxis weiterhin sehr gering sein dürften.

Zu begrüßen ist ein im Juli 2020 ergangenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Datentransfer, anwendbar auch auf die USA. Das Gericht erklärte die Datenübertragung persönlicher Daten von der EU in die USA für grundsätzlich illegal, weil die Überwachungsgesetze der USA EU-Bürger nicht angemessen schützten.(4) Das hat erhebliche Auswirkungen auf Serviceanbieter wie Facebook, Google, Microsoft, Apple und Yahoo. Obwohl es naiv wäre zu glauben, dass US-Geheimdienste wie NSU und CIA ihre Bespitzelungspraktiken ändern, ist das Urteil ein Wegweiser.

Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Epidemie eröffneten nun weitere Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten – und das wird noch nicht das Ende sein. Die Erfahrung hat gezeigt: Wo immer sich Eingriffs- und Spitzelmöglichkeiten für Geheimdienste, Polizei und andere Behörden auftun, wird davon Gebrauch gemacht, Gesetze hin oder her.

Zum Beispiel hat die Polizei in Hamburg und Augsburg rechtswidrig die wegen der Corona-Ansteckungsgefahr von Restaurants verpflichtend für die Gesundheitsämter gesammelten Gästedaten für Ermittlungszwecke in Strafsachen benutzt.(5) Die Corona-App dürfte ein weiterer Meilenstein auf der Autobahn in eine „schöne neue Techno-Welt“ sein.

Kritik an der Corona-Politik der Regierung wurde von den öffentlich-rechtlichen Medien zunächst fast völlig verschwiegen. Erst nach größeren Demonstrationen (bei denen die Polizei „hart durchgriff“(6)) änderte sich das, was der Chefredakteur Fernsehen des Südwestrundfunks und Moderator des ARD-Politmagazins Report Mainz, Fritz Frey, wie folgt begründete: „Warum also sollten wir uns Protestlern zuwenden, die zwar laut, aber eben nur eine Minderheit sind.“ Und er gab eine Antwort, die ebenso bestürzend ist wie seine Frage: „Wir tun es trotzdem, weil Verfassungsschützer und Innenminister warnen.“(7)

Gewarnt wurde vor Verschwörungstheoretikern, linken Systemfeinden, Kremlpropagandisten, Antisemiten, Reichsbürgern usw., oder auch vor mitdemonstrierenden AFD-Politikern, selbst wenn es sich um Bundestagsabgeordnete handelte. Das wurde von den staatstragenden Medien folgsam übernommen, von den Exekutivorganen sowieso. Von selbsternannten Richtern zu „Protestlern“ erklärte Kritiker fallen der Verachtung anheim, sie dürfen sogar diffamiert werden.

Im November wurden zahlreiche Internetkanäle von You Tube (Tochtergesellschaft von Alphabet, ehemals Google) komplett gelöscht, und zwar mit dem Hinweis:

„Auf YouTube sind keine Inhalte erlaubt, in denen der Nutzen des von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder lokalen Gesundheitsbehörden empfohlenen Social Distancing oder der Selbstisolation ausdrücklich infrage gestellt wird und die dazu führen könnten, dass Menschen sich nicht an diese Empfehlungen halten.‘

Sogar ein ZDF-Video mit Professor Schrappe von der Universität Köln war von den Zensurmaßnahmen betroffen.(8)

In einem taz-Artikel wurde der Bank des Herausgebers von KenFM, einem der betroffenen Kanäle, empfohlen, ihm das Konto zu sperren.(9) . Doch das scheint erst der Anfang einer umfassenden Zensur unliebsamer Meinungen zu sein.

Im Herbst 2020 ist die Bevölkerung gespalten in Befürworter und Gegner der Corona-Maßnahmen. Wer guten Gewissens demonstriert, muss sich auch noch nach der Protestaktion – wenn er identifiziert wird – auf allerlei gefasst machten. Es kam zu Beschimpfungen, tätlichen Angriffen, Denunziation, Kündigung der Arbeitsstelle, der Wohnung oder des Bankkontos usw. Die politische (und religiöse) Fanatisierung weiter Bevölkerungskreise hat in den letzten Jahren dramatisch zugenommen und in der Corona-Krise erreicht sie einen vorläufigen Höhepunkt. Schuld daran haben nicht zuletzt Politik und Massenmedien, die keine von der offiziellen Linie abweichenden Ansichten zulassen.

Ein Exponent paternalistischer Willkür ist der bayerische Ministerpräsident Markus Söder, der mit Blick auf die Ereignisse in Washington vor einer „Corona-RAF“ warnte und weitere Betätigungsfelder für den Verfassungsschutz ins Gespräch brachte. Am 10. Januar 2020 sagte er in einem Interview mit der Welt am Sonntag:

Aus bösen Gedanken werden böse Worte und irgendwann auch böse Taten. Deswegen müssen wir auch in Deutschland nicht nur die Sicherheitsmaßnahmen für die demokratischen Institutionen verbessern, sondern grundlegend die sektenähnliche Bewegung der ‘Querdenker‘ und anderer vergleichbarer Gruppierungen in den Blick nehmen.“(10)

Wie immer man zu den Querdenkern und anderen Kritikern staatlicher (Zwangs-)Maßnahmen steht: Deren Äußerungen – soweit sie nicht gegen Gesetze verstoßen – aus dem öffentlichen Debattenraum auszusperren, ist ein erschreckendes Zeichen für den Niedergang des demokratischen Rechtsstaates. Unter dem Vorwand von Gesundheitsfürsorge oder Terrorismusbekämpfung geht eine Erosion der Bürgerrechte vonstatten, die in der Bevölkerung aufgrund der permanenten Indoktrination kaum wahrgenommen wird.

Der Schriftsteller und Publizist Dr. jur. Wolfgang Bittner lebt in Göttingen. 2019 ist von ihm das Sachbuch „Der neue West-Ost-Konflikt – Inszenierung einer Krise“ erschienen. Im Februar erscheint im Verlag zeitgeist das Buch „Deutschland – verraten und verkauft. Hintergründe und Analysen“.

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"