In Lettland begann an diesem Montag das größte Manöver in der Geschichte dieses Landes. Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Riga werden an dem bis 2. September andauernden Militärübungen mehr  als 10.000 Soldaten partizipieren -eine beträchtliche Anzahl, wenn man davon ausgeht, dass Lettland unter zwei Millionen Einwohner zählt.

Neben dem Militär, sowie den in Lettland stark vorhandenen paramilitärischen Gruppierungen, sind auch Truppen aus anderen NATO-Staaten dabei. 

NATO wäre Russland im Baltikum nicht gewachsen

Die drei baltischen Staaten verfügen auf sich alleine gestellt nur über geringe militärische Fähigkeiten, was auch nicht dadurch behoben wurde, dass die NATO in der Region -direkt an der Grenze zu Russland- Truppen stationiert hat. Sicherlich könnten Luftangriffe der NATO, in dem absolut unwahrscheinlichen Szenario, dass Moskau auf die Idee käme, NATO-Staaten anzugreifen, russischen Truppen schwere Schäden zufügen - was aber angesichts der Luftabwehrfähigkeiten, über die die russischen Truppen zweifelsohne verfügen, mit erheblichen Risiken verbunden wäre.  

Gegen die erdrückende Übermacht der russischen Panzer, welche rasch die Hauptstädte Litauens, Lettlands und Estlands besetzt hätten sowie bis an die Ostsee-Küste vorgestoßen wären, hätten die NATO-Bataillone ohnehin kaum etwas auszurichten.

Dieses ist den Strategen des nordatlantischen Bündnisses natürlich bekannt. Trotzdem möchte man Flagge zeigen, was die Gefahr beinhaltet, dass ein bewaffneter Konflikt ausbrechen könnte. Neben der Ukraine wird vor allem das Baltikum als die Region gehandelt, in der es aktuell, selbst aus einem nichtigen Anlass heraus, zu einer Konfrontation zwischen Moskau und der NATO kommen kann.

Vor geraumer Zeit, während einer anderen Militärübung, rollte im estnischen Narwa ein amerikanischer Panzer bedrohlich nahe an die Grenze zu Russland, die gleich hinter der Stadtgrenze verläuft. Von dort sind es nur rund 100 Kilometer bis nach St. Petersburg, der zweitgrößten Stadt Russlands.

Im Winter 2005, kurz nach dem Beitritt Estlands zur EU und zur NATO, besuchte ich Narwa im Rahmen einer Recherchereise. Um die Problematik der geographischen und demographischen Lage  dieser Stadt wiederzugeben, greife ich auf meine Notizen von damals zurück:

"Das Hinterland bietet keine Alternative. Direkt hinter der Burg verläuft die Grenze zu Russland. Auf der anderen Seite liegt die im 15. Jahrhundert von Zar Iwan III. errichtete russische Festung Iwangorod. Der Fluss Narwa trennt die beiden historischen Bauten voneinander. Russland liegt jenseits der neuen EU-Außengrenze - zum Greifen nahe und schon seit 1991 unendlich fern. Eine schneebedeckte Leninstatue hat hier, im Innenhof der Festung Hermannsburg, die Stürme der Geschichte überlebt und weist mit ausgestreckter Hand nach Osten. Ein von beiden Seiten umzäunter Fußgängerweg, eingezwängt zwischen den Grenzstationen Russlands und der EU, führt direkt in die Nachbarstadt Iwangorod. Eine lange Schlange von Tagestouristen hat sich vor dem nagelneuen und mit EU-Fördergeldern errichteten Zollbüro gebildet. Einheimische versorgen sich drüben mit Grundnahrungsmitteln oder besuchen Freunde und Verwandte in dem Städtchen Iwangorod, das zu Sowjetzeiten lediglich ein Vorort von Narwa war. Der EU-Beitritt Estlands hat diese Kontakte erschwert." Soweit meine Aufzeichnungen aus jener Zeit.

Die NATO auf Ost-Kurs

Bei meinem damaligen Besuch im estnisch-russischen Grenzgebiet, im neuen Osten der EU und der NATO, rief ich mir ins Gedächtnis, wie weit das Nordatlantische Verteidigungsbündnis schon nach Osten vorgedrungen war.

Während meiner Kindheit und Jugend - in den 1980er Jahren, ich wuchs in der Nähe von Lübeck auf, endete das Herrschaftsgebiet der NATO hinter den Grenzen der Hansestadt. Nun war es bis kurz vor St. Petersburg vorgerückt. Aus russischer Perspektive sicher keine angenehme Situation.

Sicher, die baltischen Staaten, vor allem deren nicht russophonen Bewohner haben aufgrund ihrer historischen Erfahrungen Grund genug Moskau zu fürchten. Aber, es war nicht Russland, sondern die Sowjetunion, die 1940 -im Rahmen des Hitler/Stalin Paktes- die drei Staaten annektierte und dieses nach 1945 erneuerte.

Europa benötigt dringend eine Alternative zur NATO

Die Situation ist ernst und wird durch die NATO-Politik noch verstärkt. Rund 100 US-Militärkonvois rollten im Juni durch Deutschland über Polen ins Baltikum. Grund war das bevorstehende Großmanöver „Saber Strike 18“, zu Deutsch Säbelschlag.

Während vor allem die Regierungen der baltischen Staaten und Polen seit dem Ausbruch der Ukraine-Krise Russland als potentiellen Aggressor brandmarken, ist man in Moskau über die wortbrüchige Ostausdehnung der NATO und die damit verbundene Veränderung der militärischen Ausgangslage besorgt. Es stellt sich aber die Frage, ob sich die NATO dieser Verantwortung bewusst ist und was man mit dem immer weiteren Vordringen ins unmittelbare Umfeld Russlands  zu bezwecken gedenkt.

Hier zeigt sich, dass die NATO heute nicht mehr, falls sie es denn jemals tat, Lösungen anbietet, sondern Probleme schafft. Es ist daher an der Zeit, dass Europa sich nach neuen verteidigungspolitischen Alternativen umschaut, notfalls auch ohne den Segen der USA.

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