Gastbeitrag von Bernd Murawski

Nahezu täglich berichten Medien von einer Bedrohung der Demokratie durch religiöse Fundamentalisten, radikale Nationalisten und Kommunisten. Gewarnt wird ebenfalls vor Ländern mit starker Zentralgewalt wie Russland und China. Gibt es möglicherweise Kräfte in den eigenen Reihen, die eine vergleichbare Gefahr für die demokratische Ordnung darstellen?

1. Westliches Demokratieverständnis

Warum wurde keine effektive Regulierung des Finanzsektors umgesetzt, wie nach der letzten globalen Krise versprochen? Warum existieren weiterhin Steueroasen trotz Hinterziehung von Steuern in Billionenhöhe? Warum wird das Interesse der Bevölkerungsmehrheit an einem Abbau der Spannungen mit Russland ignoriert? Auch bei anderen aktuellen Fragen wie TTIP und CETA, dem Spardiktat für die Euro-Südländer, der Bewältigung der Flüchtlingsströme oder der Beteiligung an den Kriegen zwischen Libyen und Afghanistan gibt es in den EU-Staaten heftigen Widerstand und tiefes Misstrauen gegen die Regierenden.

Über die Motive der Entscheidungsträger in Politik, Medien und Gesellschaft herrscht unter Kritikern weitgehend Einigkeit. Genannt werden Unterwürfigkeit gegenüber den USA, Druck von Finanzlobby und Wirtschaftsverbänden, soziale Eingebundenheit in elitäre Kreise, Opportunismus, persönliche Vorteile. Zu letzteren bemerkt Sarah Wagenknecht, dass es „bequemer (ist), sich mit dem Wirtschaftssystem zu arrangieren, als es infrage zu stellen. Zumal bekannt ist, dass es für ausgeschiedene Politiker, die immer brav die Interessen der Wirtschaftsmächtigen vertreten haben, auch schöne Jobs bereit hält“. Hat unsere Elite also gesellschaftlichen Werten weitgehend den Rücken gekehrt?

Insbesondere sollte von Personen, die sich als „Putinversteher“ orten, eine vergleichbare Bereitschaft erwartet werden, sich mit den Beweggründen unserer Politikergarde vertraut zu machen. Tatsächlich unterscheiden sich Politiker und andere Personen in repräsentativen Positionen kaum vom Normalbürger, der ebenso seinen persönlichen Vorteil sucht und dabei Sachzwänge berücksichtigt. Doch wie diese folgen auch Vertreter der Herrschaftselite einem moralischen Impetus. Dieser mag unterschiedlich ausgeprägt sein, was sich jeweils in der Standhaftigkeit bei auftretenden Konflikten offenbart. Dennoch werden wir nicht von einem Klub von Psychopathen regiert, wie ein Artikel in der „Neopresse.com“ unterstellt. Welches sind nun die moralischen Werte unserer Spitzenpolitiker, auf was für ein Demokratieverständnis beruhen ihre Entscheidungen? Lassen sich Neoliberalismus und Demokratie überhaupt miteinander vereinbaren?

In diesem ersten Teil wird das herrschende Demokratieverständnis erläutert und dessen Neuausrichtung durch neoliberale Einflüsse problematisiert. Daraus leitet sich ein spezifisches Feindbild ab, dessen Projizierung auf andere Staaten im zweiten Teil thematisiert wird. Dass der Schulterschluss innerhalb der westlichen Gemeinschaft auf vielen fragwürdigen Prämissen beruht und angesichts konträrer Interessen und Sichtweisen recht brüchig ist, erläutert das darauffolgende Kapitel. Im vierten Teil werden wirtschaftliche Interessenunterschiede angesichts des Tatbestands konstatiert, dass sich die Vereinigten Staaten und Großbritannien mithilfe des Finanzsektors erhebliche Vorteile verschaffen können. Dessen Abhängigkeit von einem ungebrochenen Zufluss anlagesuchenden Geldes hat Auswirkungen darauf, wie sich Staaten zum Problem der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich positionieren. Der letzte Teil beleuchtet die verheerenden Auswirkungen zunehmender Einkommensdivergenzen, in deren Folge das neoliberal gefärbte westliche Demokratieverständnis auf immer breitere Ablehnung stößt.

Übernahme des US-amerikanischen Demokratiebegriffs

 

Den USA gelang es mit Hilfe ihrer dominanten Stellung nach dem Zweiten Weltkrieg die eigenen Vorstellungen von Demokratie sukzessive nach Europa zu „exportieren“. Diese waren geprägt durch die Lebensumstände der Einwanderer während der Besiedelung des großen Landes, die vor mehr als 200 Jahren begann. Die Bürger waren zur Selbstorganisation gezwungen, und so gewöhnten sie sich an ein Maximum persönlicher Freiheiten. Die Zentralregierung wurde daher als mächtiger Gegenspieler mit eigenen Interessen empfunden, dessen Einfluss es einzuschränken galt.

Hingegen waren in der Bundesrepublik Deutschland soziale Aspekte und eine Kontrolle wirtschaftlicher Macht integrale Bestandteile des Demokratieverständnisses. Sie fanden Eingang sowohl ins Grundgesetz als auch in die Programme der Parteien. Allerdings verblassten sie allmählich zu verbalen Bekundungen, bis sie schließlich ganz in den Hintergrund gerieten. Derselbe Prozess vollzog sich in anderen Teilen Westeuropas, meist im Gleichschritt mit dem Machtverlust von Gewerkschaften und linken Organisationen.

Übrig blieb ein formaler Demokratiebegriff, dessen Eckfeiler Gewaltenteilung, Meinungs-, Religions- und Gewerbefreiheit sowie allgemeines Wahlrecht sind. Weitere wichtige Prinzipien sind Versammlungsfreiheit, das Recht auf Gründung von Parteien und Interessenverbänden, Minderheitenschutz und die Gewissensfreiheit gewählter Repräsentanten. Ganz oben im westlichen Wertekanon rangieren die individuellen Rechte auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Schutz privaten Eigentums.

Eine zentrale Aufgabe demokratischer Politik wird in der Parzellierung von Macht gesehen. Dadurch sollen Kritik, Transparenz und gegenseitige Kontrolle der Akteure gefördert werden. Den Hintergrund bilden neben US-amerikanischen Vorgaben die historischen Erfahrungen aus der NS-Zeit, die gleichsam bei der skeptischen Beurteilung von Basisdemokratie und Volksentscheiden Pate stehen. Der Urteilsfähigkeit einfacher Bürger wird misstraut, zu leicht lasse sich das Volk manipulieren. Als aktuelles Beispiel wird mancherorts die Brexit-Abstimmung genannt.

Neoliberalismus und die Beschränkung staatlicher Macht

Im Zuge der neoliberalen Wende während der 80er Jahre wurde das Konzept des schlanken Staates propagiert, der sich regulativer Tätigkeiten weitestmöglich entledigen sollte. Sogar in gesellschaftlich relevanten Bereichen wie dem Verkehrswesen, der Bildung sowie der Gesundheits- und Sozialfürsorge soll die öffentliche Hand das Feld privaten Akteuren überlassen und sich auf eine Weisungs- und Kontrollfunktion beschränken.

Zwar ist allgemein bekannt, dass Lobbyisten der Wirtschaftsverbände an Gesetzen mitschreiben. Dennoch sollte Politikern - trotz des vielfach berechtigten Vorwurfs einer auf Inkompetenz beruhenden Fahrlässigkeit - nicht pauschal unterstellt werden, sie würden absichtlich Beschlüsse zum Nachteil der Bevölkerung fällen. Zum einen glauben sie aufrichtig an die Effizienz freier Märkte. Zum anderen befindet sich die Privatisierung staatlicher Aufgaben im Einklang mit ihrem Demokratieverständnis, da Machtbefugnisse delegiert würden und somit einem Missbrauch von Macht vorgebeugt werde.

Neoliberalismus und das Bestreben, politische Macht einzuschränken, ziehen augenscheinlich am gleichen Strang. So wandte sich Margaret Thatcher vehement gegen eine zu große Machtfülle der zentralen Institutionen der Europäischen Gemeinschaft und kritisierte die Aufblähung des Brüsseler Haushalts. Auch ist Dwight D. Eisenhowers Warnung vor dem militärisch-industriellen Komplex, auf die aus dem linken Spektrum gerne verwiesen wird, durchaus als systemkonform anzusehen, geht es doch vorrangig um eine Entflechtung von Macht.

Nach dem Zusammenbruch der politischen Systeme Mittel-Ost-Europas bildete sich eine neue gesellschaftliche Elite, deren Mitglieder unter den Negativfolgen einer allzu großen Machtkonzentration gelitten haben. Im Gegensatz zu Politikern des „alten Europa“, die durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges und die Protestbewegung der 60er und 70er Jahre geprägt waren, übernahmen sie das US-dominierte Demokratieverständnis nahezu kritiklos. Zur Gruppe jener, deren maßgebliches Kriterium die Abwesenheit diktatorischer Vollmachten ist, gehören auch Angela Merkel und Joachim Gauck.

Ihnen gesellt sich die junge Politikergeneration zu, die sich unter dem Einfluss neoliberalen Gedankenguts von den Werten ihrer Vorgänger großenteils verabschiedet hat. An die Stelle früherer Ideale ist technokratisches Denken und ein Streben nach Ad-Hoc-Lösungen getreten. So beklagt das SPD-Fortschrittsprogramm aus dem Jahre 2011, dass „der Mensch … zu einem Spielball von Märkten, technokratischen Notwendigkeiten und vermeintlichen Sachzwängen geworden“ sei, ohne allerdings die Einstellungen der eigenen Parteiführer kritisch zu beleuchten.

Ökonomisierung der Gesellschaft

Dass mit der Schwächung staatlicher Gewalt die Macht der Wirtschaftsgrößen gewachsen ist, wird zwar realisiert und auch zuweilen kritisiert, aber mit Blick auf vermeintliche Effizienzeffekte hingenommen. Zudem wird angemerkt, dass - im Gegensatz zu Politikern - willkürliche und unberechenbare Entscheidungen von Wirtschaftsbossen und Superreichen kaum zu befürchten seien, wollten sie ihre Position nicht gefährden.

Wie jeder Normalbürger müssten diese sich wirtschaftlichen Zwängen unterwerfen, was ihre Handlungsmöglichkeiten einschränke und gleichzeitig ihre Aktivitäten in eine gesellschaftlich erwünschte Richtung lenke. Die Folgen seien Produktivitätssteigerung und Wirtschaftswachstum, welches zu Beschäftigungseffekten und Prosperität führe. Die Aufgabe der Politik sei es, diesen Prozess durch flankierende Maßnahmen zu sichern. Da dies ebenfalls langfristig gelte, sind Auflagen etwa aus ökologischer Sicht zu befürworten, soweit diese keine Wettbewerbsnachteile verursachen.

Infolge des Rückzugs der Politik bei gleichzeitig steigendem Einfluss der Wirtschaft tritt an die Stelle gesellschaftlicher Werte Effizienzdenken, welches verstärkt Eingang in das alltägliche Leben der Bürger findet. Dieser Prozess gilt einerseits als erwünscht, da er für die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft dienlich ist. Andererseits wird der Trend zum Homo oeconomicus vielerorts kritisiert.

So bemerkt Tobias Pforr, dass ein „Unter-den-Tisch-Kehren der sozialen Grundlagen des wirtschaftlichen Handelns … zu bedauernswerten Konsequenzen führen“ kann. Letztlich seien „Fragen zur Wirtschaftlichkeit in Wirklichkeit oft Aufforderungen zur Annahme von bestimmten Wertvorstellungen. … Wird ein Problem erst einmal bezüglich seiner wirtschaftlichen Aspekte eingerahmt, so scheint es, als ob es eine eindeutige Lösung dafür geben müsse, als ob eine Art des Handelns die überlegenere sei. Fragen zu Wertevorstellungen zeichnen sich aber durch eine Multidimensionalität aus, die eine eindeutige Beantwortbarkeit von Grund auf ausschließt.“

Im Zuge der Ökonomisierung der Gesellschaft werden zunehmend traditionelle Einstellungen und Verhaltensweisen hinterfragt. Ein Fernhalten vom Arbeitsleben, Zuzugssperren, eine Behinderung von Karrieren sowie Zensurtätigkeit in Wissenschaft und Gesellschaft gelten als dysfunktional. So werden die Emanzipation der Frauen gefördert und die Rechte von Kindern und Jugendlichen eingeklagt, wird Immigration befürwortet, Rassismus verurteilt und eine Gleichbehandlung sprachlicher, ethnischer und sexueller Minderheiten verlangt. Der Einfluss nationalistischen Gedankenguts wie auch der von Religionen, die sich nicht dem Zeitgeist öffnen, gilt als schädlich. Mitunter ist sogar ein Aufbrechen familiärer Strukturen erwünscht, soweit dies die Mobilität der Arbeitskraft erhöht.

Dieser Trend wird von linken und liberalen Kräften überwiegend unterstützt. Dagegen schafft er Unzufriedenheit bei jenem Teil der Bevölkerung, der tief von traditionellen Werten geprägt ist. Hier eröffnet sich ein Betätigungsfeld für Populisten mit national-konservativem Hintergrund, die über einen Aufbau von Drohkulissen auf Stimmenfang gehen. Gelangen sie in verantwortliche Positionen, dann zeigt sich meist recht bald, dass sie ihre Versprechen nicht einlösen können. 

Die Probleme einer Konzentration wirtschaftlicher Macht werden von westlichen Politikern keineswegs geleugnet. So hat die Finanzkrise des letzten Jahrzehnts das Unvermögen offenbart, die Lage mit dem vorhandenen Instrumentarium in den Griff zu bekommen. Daraufhin wurden Konsequenzen gezogen, ohne dass Kritiker von deren Nachhaltigkeit überzeugt werden konnten. Ihren Einwänden wird entgegen gehalten, dass Politik die Kunst des Möglichen sei und dass es divergierende Interessen gebe, die einen Kompromiss verlangten. Ungern wird eingestanden, dass die Finanzmarktakteure massiv Druck ausüben konnten, da sie infolge der vorangegangenen Deregulierungen zu mächtig geworden sind.

2. Haltung gegenüber Regimen mit Demokratiedefiziten

Westliche Politiker konstatieren mit Genugtuung, dass sich Wirtschafts- und Finanzkreise trotz ihrer immensen Macht bereitwillig dem jeweiligen Gesetzgeber unterordnen. Dadurch eröffnen sich gewisse politische Eingriffsmöglichkeiten, sodass die Lage als beherrschbar erscheint. Deshalb adressieren Medien und Opposition bei einem Missbrauch wirtschaftlicher Macht ihre Kritik erst einmal an die Regierungen, denen Unfähigkeit bei der Wahrung der Interessen der Bürger vorgeworfen wird.

Entschieden anders werden Machtkonzentrationen im politischen Bereich bewertet, zumal wenn eine ideologisch ausgerichtete Vereinigung oder eine eingeschränkt legitimierte, geringköpfige Herrscherelite am Machthebel sitzt. Hier werden unkalkulierbare Risiken identifiziert, die erst einmal die Bevölkerung des betreffenden Landes bedrohen, ebenso aber die internationale Gemeinschaft, falls es sich um einen mächtigen Staat handelt.

Bei der Beurteilung autoritär geführter Staaten bzw. solcher mit einem hohen Grad an Machtkonzentration wird dennoch differenziert. Soweit eine Regierung sich an globale Spielregeln hält und keinem Expansionsdrang folgt, erscheint eine Kooperation möglich. Damit einher gehen naturgemäß Infiltrationsversuche, auch gerade im Zuge kooperativer Tätigkeiten. Greift eine Regierung - gegebenenfalls als Reaktion auf äußere Einmischung - zu autoritären Maßnahmen zum Zweck der Machterhaltung, wird sie als undemokratisch attackiert.

Russland als perfekte Zielscheibe

Als vortreffliche Zielscheibe bietet sich gegenwärtig Russland an. So wird konstatiert, dass während Wladimir Putins Amtszeit eine Zentralisierung von Machtbefugnissen stattgefunden habe. Dadurch hat sich die Handlungsfreiheit der politischen Führung beträchtlich vergrößert, was unserem Demokratieverständnis zuwiderläuft. Mit seinem zurückgewonnenen Selbstbewusstsein agiert Moskau zudem resoluter in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, wodurch die Ausdehnung westlichen Einflusses in östliche Richtung erschwert wird.

Die mit propagandistischen Mitteln geschürte Angst vor Russland trifft vielerorts auf einen fruchtbaren Nährboden. Wie es die Deutschen in der Nachkriegszeit erlebten, wird ebenso den Russen von ihren Nachbarn eine Kollektivschuld an der Jahrzehnte erfahrenen Unterdrückung zugeschoben. Im übrigen Europa kann an frühere antisowjetische Ressentiments nahtlos angeknüpft werden.

Der Argwohn sitzt derart tief, dass russische Friedensinitiativen als Täuschungsmanöver betrachtet und defensive Schritte zu offensiven uminterpretiert werden. Auch auf der Motivsuche wird man fündig. Der eine sieht revanchistische Absichten, die auf eine Wiederherstellung der Grenzen der Sowjetunion gerichtet sind, für einen anderen ist die russische Mentalität nicht mit demokratischen Idealen vereinbar. Ist erst einmal ein Feindbild geschaffen, dann bedienen sich Nutznießer jeder Art. Baltische Staatslenker steigern mit dessen Hilfe ihre Popularität, westliche Rüstungsfirmen wittern neue Aufträge und Stand-up-Komiker unterhalten ihr Publikum mit Putin-Anekdoten.

China als unbeugsamer Kontrahent

Im Gegensatz zu Russland schert sich China nicht um Attribute westlicher Demokratie wie  Gewaltenteilung oder einem Vorrang individueller Freiheiten vor gesellschaftlichen Interessen. Gleichwohl ist China ein wirtschaftlicher Gigant, der sich anschickt, mit den USA gleichzuziehen. Weder ist der Westen in der Lage, die Stimmung in der Bevölkerung maßgeblich zu beeinflussen, noch ist zu beobachten, dass sich der Herrschaftsapparat westlichen Demokratievorstellungen öffnen würde.

Soweit die Gebietsansprüche in den anliegenden Gewässern nicht tangiert werden, vermeidet die chinesische Regierung eine Involvierung in internationale Konflikte, sodass schwerlich aggressives Verhalten unterstellt werden kann. Zudem zeigt Peking bislang keine Ambitionen, den gewachsenen wirtschaftlichen Einfluss mit politischen Zielen verknüpfen zu wollen. Weder werden andere Staaten unter Druck gesetzt, noch wirbt China fernab seiner Grenzen um Verbündete. Auch wird auf dem globalen wirtschaftlichen Parkett recht behutsam agiert.

Trotz fortwährender Dämonisierung kommen westliche Medien nicht umhin, die wirtschaftlichen Erfolge Chinas anzuerkennen. Diese werden den kapitalistischen Strukturen zugeschrieben, die jedoch ohne staatliche Lenkung kaum derart erfolgreich wären. So haben sich die von Zeit zu Zeit geäußerten Prophezeiungen eines wirtschaftlichen und politischen Kollapses des Riesenreichs bislang als Wunschdenken erwiesen.

Beim chinesischen Weg finden sich gewisse Parallelen zu Japan, wenngleich es sich bei diesem formell um eine Demokratie handelt. Während der ersten Jahrzehnte der Nachkriegszeit ermöglichten die unangefochtene Führungsrolle der Liberaldemokratischen Partei und die überragende Stellung des MITI eine Bündelung ökonomischer Kompetenz. Es entstand ein Machtkonglomerat, das sowohl im Landesinnern Druck ausübte als auch der Weltmarkteroberung diente.

Autoritäre Regime weltweit

Desgleichen wurde der wirtschaftliche Aufschwung der asiatischen Tiger-Staaten durch autoritäre Regime bewerkstelligt. Da sie zu Bollwerken gegen rotchinesische Einflüsse aufgebaut wurden, erschien es westlichen Politikern opportun, über undemokratische Zustände zu schweigen. Die Interessen der Elite jener Staaten waren mit jenen der US-amerikanischen Protagonisten weitgehend identisch, sodass die Kooperation voranschritt. Als es dann anlässlich der Asienkrise 1997 in den Beziehungen mächtig knirschte, weil westliche Investoren nach jahrelangen guten Geschäften ihre Gelder abzogen, war die Handlungsfähigkeit der Regierungen erheblich eingeschränkt. So blieb ihnen keine andere Wahl als westliche Staatsanleihen zu erwerben, um für eine künftige Krise besser gewappnet zu sein.

Bedeutende Demokratiedefizite gibt es nicht nur in Ost- und Südostasien. Gerade einmal eine Handvoll Staaten Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Ozeaniens erfüllen die gewünschten Minimalkriterien. Dennoch ist Kritik außerhalb geschlossener Foren nur dann zu vernehmen, wenn sich Staatslenker als äußerst brutal gebärden oder als besonders widerspenstig erweisen. Zu den Letzteren gehören Saddam Hussein, Muammar Gaddafi und Baschar Al-Assad. Aber auch Verbündete wie die Türkei und Saudi-Arabien sind in die Schusslinie geraten, seitdem sie islamische Extremisten ohne Abstimmung mit der westlichen Führungsmacht unterstützen.

Die zaghafte und inkonsequente Haltung westlicher Politiker wird damit gerechtfertigt, dass die Durchsetzung demokratischer Prinzipien auf Hindernisse stoße, die historisch und kulturell begründet seien. Es gebe aber doch freiwillige Helfer, NGOs und staatlich finanzierte Entwicklungsprogramme,  die demokratiefördernd seien. Dass die Kooperation mit den lokalen Eliten vor allem eigenen Wirtschaftsinteressen dient, wird dabei verschwiegen. In der Folge sind vielerorts traditionelle Strukturen vernichtet worden, sei es durch den Export subventionierter Lebensmittel, durch das Leeren der Fischereigründe mittels westlicher Trawler oder durch Landgrapping und die Errichtung von Monokulturen. Erst die Flüchtlingsdebatte hat das Augenmerk auf diese skandalösen Fakten gelenkt.


Dieser Beitrag ist am 7. August d.J. zuerst auf der Heise-Plattform "Telepolis" veröffentlicht worden.

Den zweiten Teil dieses Beitrages werden wir am morgigen Donnerstag auf Cashkurs online stellen.

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