Man muss den Grünen dieser Tage ein Kompliment dafür aussprechen, mit welcher Harmonie und Geschlossenheit die Partei in den Wahlkampf geht, während die Unionsparteien sich zerfleischen, die Linke über ihre beliebteste Politikerin herfällt und die SPD die Rolle eines unbeteiligten Zaungastes einnimmt.

Die Grünen im Höhenflug

Die Grünen befinden sich momentan auf einem Höhenflug, liegen bei über 23 Prozent in den nationalen Umfragen und damit auf Platz zwei mit nur wenig Abstand zu den schwächelnden Christdemokraten mit zuletzt etwa 27 Prozent.

Gemäß der aktuellen Umfragewerte würde sich nach der Bundestagswahl am 26. September eine schwarz-grüne Koalition rechnerisch anbieten. Aber die Grüne haben - als Ergebnis ihrer ideologischen Beliebigkeit - noch mehr Optionen.

Eine Regierung aus Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen käme laut aktuellen Umfragen derzeit auf maximal 48 Prozent, ein grün-rot-rotes Bündnis mit SPD und Linkspartei auf 45 Prozent. In beiden Konstellationen sind die Grünen stärkste Partei und hätten somit Anspruch auf das Kanzleramt.

Wir wollen das Land in die Zukunft führen. Darum kämpfen wir für das historisch beste grüne Ergebnis aller Zeiten und die Führung der nächsten Bundesregierung“, ließ kürzlich Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner verlautbaren.

Bei der Bundestagswahl 2009 erzielten die Grünen mit 10,7 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis. Bei der letzten Wahl 2017 erreichten sie nur 8,9 Prozent.

Baerbock - eine Lifestyle-Linke

Annalena Baerbock verkörpert eindrucksvoll den Typus jener Lifestyle-Linken, den Sahra Wagenknecht in ihrem neuen, vieldiskutierten Buch „Die Selbstgerechten“ porträtiert hat. Die Lifestyle-Linke, so Wagenknecht

lebt in einer anderen Welt als der traditionelle und definiert sich anhand anderer Themen. Er ist vor allem weltoffen und selbstverständlich für Europa, auch wenn jeder unter diesen Schlagworten etwas Anderes verstehen mag. Er sorgt sich ums Klima und setzt sich für Emanzipation, Zuwanderung und sexuelle Minderheiten ein. Zu seinen Überzeugungen gehört, den Nationalstaat für ein Auslaufmodell und sich selbst für einen Weltbürger zu halten…“

Weiter heißt es in dem Buch:

Das gilt vor allem für die jüngere Generation, die von umsorgenden, meist gut situierten Helikoptereltern so sanft ins Leben begleitet wurde, dass sie existenzielle soziale Ängste und den aus ihnen erwachsenden Druck nie kennengelernt hat. Papas kleines Vermögen und Mamas Beziehungen geben zumindest so viel Sicherheit, dass sich auch länger unbezahlte Praktika oder berufliche Fehlschläge überbrücken lassen.“

Ob Frau Baerbock überhaupt links ist, lässt sich bezweifeln, auch angesichts des Schindluders, der mit diesem Begriff betrieben wird. Baerbocks politisches Credo ist eine Symbiose jener verhängnisvollen Verbindung zwischen Turbo-Kapitalismus und Linksliberalismus, bei totaler Ignoranz gegenüber sozialen Fragen.

In der US-amerikanischen Slapstick-Komödie „Die nackte Kanone“, aus dem Jahr 1988 gibt es eine Szene, in der die Hauptfigur Lieutenant Frank Drebin - gespielt von Lesly Nielsen - eine pathetische Rede hält, in der unter anderem heißt: “Ich möchte eine Welt, in der ich aus einer Toilette trinken kann, ohne Ausschlag zu kriegen...“
Man gewinnt den Eindruck, die beiden Bundesvorsitzenden der Grünen, Annalena Baerbock und Robert Habeck hätten sich von dieser 32 Jahre alten Film-Szene inspirieren lassen, als sie dieser Tage ihre Grundsatzreden vortrugen, auf der Bundesdelegiertenkonferenz ihrer Partei.“ 

schrieb ich an dieser Stelle im vergangenem Jahr, anlässlich des digitalen Bundesparteitag der Grünen.

Identitätspolitik als Religionsersatz

Das alles wäre noch akzeptabel, wenn diese Instrumentalisierung der Identitätspolitik - die durchaus ihre Berechtigung hätte, wenn sie auf Diskriminierung und Missstände hinweisen würde und diese durch parlamentarische Mittel zu verbessern suchte - nicht zu einer Art Religionsersatz erhoben würde, deren Kritikern eine Art Blasphemie vorgeworfen wird.

Generell befördert Identitätspolitik nur bedingt gesellschaftliche Vielfalt, zementiert eher den Status quo, was die gesellschaftlichen Trennlinien weiter verschärft. Wer wie Frau Baerbock, das Gendersternchen für das Maß aller Dinge hält, besorgt die die Politik der global agierenden Konzerne, die nicht nur im Zuge der Globalisierung, sondern vor allem auch der Corona-Krise, eine unverhältnismäßige und besorgniserregende Macht erhalten haben, sich aber gerne mit Zeitgeist-Attributen schmücken, ohne die von ihnen verursachten sozialen Missstände zu beseitigen. 

„Was heißt das konkret für mich!?“

Die postmoderne Identitätspolitik partikularer Lebensstile, passe perfekt zu einer entpolitisierten Gesellschaft, formulierte schon 1998 der slowenische Philosph Slavoj Žižek. Die Kanzlerkandidatur Baerbocks, der Höhenflug der Grünen, wie auch der Niedergang der politischen Klasse, sind ein Ergebnis dieser Entpolitisierung, an deren Stelle Emotionen und Befindlichkeiten getreten sind. Neben dieser Identitätspolitik ist die transatlantische Ausrichtung das zweite Steckenpferd heutiger grüner Politik, wobei diese Tendenz wahrlich nicht auf die Grünen beschränkt bleibt. Hier liegt die eigentliche Gefahr, denn die Ahnungslosigkeit führender Grünen-Politiker, auf diesem Gebiet, deren naive Schwärmerei, macht sie zu Wachs in den Händen der Strategen Washingtons und der internationalen Rüstungsindustrie.

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