Auf dem Maidan waren die Orangen schon verschimmelt, nach denen die Revolution von 2004/2005 - eher sollte man von einem Umsturzversuch schreiben - benannt worden war. Die politischen Akteure von damals waren längst nicht mehr an der Macht. Präsident Janukowitsch, der einige Jahre später durch einen Regimechange selbst seine Macht verlieren sollte, hatte gerade die angestrebte NATO-Mitgliedschaft der Ukraine annulliert.

Gegen Abend setzte ich mich gerne an die Bar, um dabei mein Umfeld zu beobachten. In der Hotellobby lungerten Sicherheitsbeamte - schlecht getarnt als Geschäftsleute - neben grellgeschminkten Huren, die dort nach Einbruch der Dunkelheit auf ihre potentiellen Kunden warteten, um dabei ihre physischen Reize demonstrativ zur Schau zu stellen. Merkwürdige Männer undefinierbarer Nationalität, die sich in exotischen Idiomen verständigten, tuschelten mit zusammengesteckten Köpfen. Die Atmosphäre war von einer beklemmenden Spannung geprägt.

"Sie sollten jetzt lieber gehen", raunte mir der Barkeeper zu, als zwei Stiernacken neben mir Platz genommen hatten. "Das sind Angehörige der Mafia, der ukrainischen Mafia!", fügte er leise - kaum hörbar - hinzu. Während ich meinen Drink leerte, musterte ich noch einmal die anwesenden Gäste. Ob an diesem Ort wirklich lukrative Geschäfte getätigt wurden, war zu bezweifeln. Dafür waren die Visagen doch zu grob, die Verhaltensweisen zu schmierig. Trotzdem nahm ich den Rat des Barkeepers an und begab mich auf mein Zimmer.

In jenen Tagen wurde in Kiew bei Gesprächen, die um den Einfluss der organisierten Kriminalität kreisten, regelmäßig der Namen eines Mannes genannt, der an der Schnittstelle zwischen Politik und Mafia als eine Art Pate angesehen wurde - ein gewisser Alexander Onischenko.

Heute, 7 Jahre später, vier Jahre nach dem Machtwechsel in Kiew - flankiert von dem neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Moskau - ist Alexander Onischenko wieder ins öffentliche Rampenlicht zurückgekehrt.

Onischenko, zwischen 2014 und 2016 einer der engsten Mitarbeiter des amtierenden ukrainischen Präsidenten Poroschenko, lebt heute im Exil in den USA. Anfang des Jahres erschien seine literarische Abrechnung mit seinem Ex-Vorgesetzten in Form eines Tatsachenromans, der - wenn die Berichte nur ansatzweise der Wahrheit entsprechen - einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.

"Peter der Fünfte. Die wahre Geschichte des ukrainischen Diktators" heißt das Werk, in dem Onischenko beschreibt, wie er im Auftrage Poroschenkos Abgeordnete bestechen ließ, um Mehrheiten im Parlament zu erlangen; bei Oligarchen um Geld bettelte - dieses beiseite schaffte. In jenen zwei Jahren an der Seite des Präsidenten wurden die Oligarchen immer reicher, während die Bevölkerung weiter verarmte.

Bürgerkrieg, Wirtschaftskrise, bewaffneten Neonazis und Korruption sind das Kennzeichen der Amtszeit jenes Mannes, den Onischenko heute "Diktator" nennt und der im Westen lange als demokratischer Hoffnungsträger gefeiert wurde. Würde Poroschenko von den Machthabern in den USA und der EU nicht gestützt, wäre dieses Regime schon längst bankrott, der Präsident und seine Clique erledigt, schreibt er wütend in seiner Abrechnung.

Die Antwort aus Kiew ließ nicht lange auf sich warten. Präsident Poroschenko erklärte Onischenko zum Staatsfeind Nr. 1 - nur dumm, dass dieser in den USA lebt, dem großen Bruder des Kiewer Regimes.

Der Staatsfeind hat unterdessen angekündigt, für die Wahlen im nächsten Jahr kandidieren zu wollen, während im Westen niemand mehr die ukrainische Regierung als demokratische Alternative zu loben wagt. Der 2014 großspurig verkündete Weg in die EU, welchen man der Ukraine allen Ernstes zu ebnen gedachte, scheint inzwischen verschlossen. Die Ukrainer verlassen ihr Land in immer größeren Ausmaßen.

Ob es sich bei Onischenko um einen geläuterten Ex-Mafiosi handelt, darf bezweifelt werden. Spannend ist allerdings, wie man im Westen mit der Konstellation umzugehen gedenkt. Soll Onischenko die Rolle eines ukrainischen Gülen spielen?

Sicher ist auf jeden Fall, dass der Westen nicht nur im Falle Saudi-Arabiens auf korrupte und menschenverachtete Regime setzt, diese aufrüstet und unterstützt, sondern auch in Osteuropa - vor der eigenen Haustür. Man fragt sich, welche Werte die NATO eigentlich noch zu verkörpern gedenkt. Auf jeden Fall nicht jene, die sie propagiert.

An dem Tag, wo in Norwegen - unmittelbar an der russischen Grenze - ein weiteres NATO-Großmanöver stattfindet, darf auf diesen Skandal hingewiesen werden.

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