Wobei auch dieser Krieg nicht wirklich ein neuer ist, denn Wladimir Putin hat ja nicht ein friedliches, in Harmonie lebendes Land überfallen, dessen Bevölkerung vor lauter Eintracht nicht wusste, wohin mit seiner Glückseligkeit. Und damit meine ich nicht die Eintracht in Frankfurt. Und auch die in Braunschweig nicht.

Tatsächlich hat Putin in einen bereits seit Jahren laufenden Bürgerkrieg eingegriffen, und gleichwohl war dieser Eingriff ein unverhältnismäßiger, übergriffiger, aggressiver Angriffskrieg, mit einem Wort: völkerrechtswidrig.

Und meine uneingeschränkte Solidarität gehört zu 100% nach wie vor der ukrainischen Zivilbevölkerung, egal, welche Sprache sie spricht. Aufgerieben und zerrissen zwischen den Machtinteressen von Global Playern, die stets nur das beste für die Welt wollen: Ein konstruktives Zusammenleben aller Menschen auf diesem Planeten in Freiheit, Würde und Überwindung von nationalen Interessen. Zumindest, für die die Erde noch eine Scheibe ist.

Und selbstverständlich hat die Ukraine jedes Völkerrecht, sich zu wehren und selbst zu entscheiden, wann es die Verteidigungsmaßnahmen einstellen will. Und nicht Sarah Wagenknecht oder Alice Schwarzer. Margot Käsmann scheidet ganz aus. OK, selbst zu entscheiden natürlich nur, sofern es westlichen Waffenlieferanten genehm ist.

Wobei man trotz aller berechtigten Kritik am Standpunkt der Damen Wagenknecht und Schwarzer nicht übersehen sollte, dass sie in einem Aspekt richtig liegen könnten: Dieser Krieg wird am Verhandlungstisch beendet und nicht auf dem Schlachtfeld. Und ich möchte noch hinzufügen, dass am Verhandlungstisch dann Leute sitzen werden, die zuvor selber nicht eine Sekunde auf dem Schlachtfeld waren. Der Film „Im Westen nichts Neues“ erhielt bei den Oscars neun Nominierungen. „Nichts Neues“ ist der Titel, dem man grundsätzlich jedem Krieg, wie auch dem zurzeit „im Osten“ geben könnte.

Und auch Jürgen Habermas stellte eine Frage zum Kriegsgeschehen, die man nicht überhören sollte: „Was passiert eigentlich, wenn den Ukrainern die Truppen ausgehen?“ Eine Frage, die sicher auch die Strategen in Moskau und in Kiew erörtern. Und in Washington und in Brüssel ebenfalls. Darauf die Reaktion in Deutschland: „Shitstorm volle Kraft voraus!“

Und apropos Truppenstärke: Was passiert eigentlich mit den 12.000 ukrainischen Männern, die beim Versuch, den Kriegsdienst zu verweigern verhaftet wurden? Haben sich die Wehrdienstverweigerer Hofreiter oder Habeck dazu inzwischen schon mal geäußert. Oder wurden sie zumindest auch nur ein einziges mal danach gefragt? In irgendeiner Talkshow?

Und wenn Putin sagt, dass er mit Nazis in der Ukraine die Verehrer von Stepan Bandera meint, kann Agnes Strack Zimmermann mal klarstellen, ob die Verehrung von Stepan Bandera Nazitum ist, oder nicht? Oder kann man sie auch nur ein einziges mal danach fragen? In irgendeiner Talkshow?

Und das ist eigentlich das genialste, was sich seit der Zeitenwende auf der Welt, wie bei uns im Lande abspielt. Ein durchpolarisiertes Schwarz-Weiss-Denken. Und wenn ich dann noch Formulierungen wie: „die“ Russen höre, oder noch besser „der“ Russe, dann hüpft mein Herz vor Differenzierungsfreude. Ebenso, wenn Russen von „dem“ Westen sprechen.

Jahrelang sagte Putin, dass er sich vom Westen bedroht fühlt.
Und jahrelang sagte der Westen darauf: „Ist doch gar nicht der Fall.“
Wer entscheidet, wann man sich bedroht fühlen darf?
Wenn Frauen sich von Männern bedroht fühlen?
Oder Schwarze von Weißen?
Oder Ukrainer von Russen?

Und apropos Talkshows:

Warum darf im deutschen Fernsehen nicht mal ein Separatistenführer seine Sicht der Dinge darlegen?

Nun, wahrscheinlich aus dem gleichen Grund, warum ein ukrainischer ASOV-Kommandant das nicht im russischen Fernsehen darf.

Weil’s Propaganda ist! Also für die jeweils andere Seite. Und mit dem Vorwurf „Propaganda“ ist jede Diskussion beendet. „Das ist Propaganda“ ist der Satz, der von jeglicher Mühe befreit, Gegenargumente liefern zu müssen.

Dabei las ich mal von einem US-amerikanischen Journalisten, namens Rod Dreher den Satz:

Propaganda bedeutet nicht, dass es eine reine Lüge ist, und in jedem Fall ist es wichtig zu wissen, wie die andere Seite einen Konflikt sieht, wenn auch nur, um zu verstehen, wie sie wahrscheinlich denkt.“

Und ich kann mich nicht wehren, so sehr ich es auch versuche, aber ich finde, da ist was dran. Aber wenn etwas zurzeit unerwünscht ist, dann, die andere Seite zu verstehen. Und zwar auf beiden Seiten. Und genau das und nichts anderes ist gemeint mit Zeitenwende.

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