Nachdem unlängst dem ehemals ungeliebten Erdgas Absolution erteilt wurde, verbleiben in Deutschland Kohle und Atomenergie als ideologische Zankäpfel. Gerade die Kernkraft schafft es immer wieder, auch emotionale Energien freizusetzen. Bei kaum einem anderen Thema ist in Deutschland die ideologische Grenzlinie deutlicher zu erkennen.

Neben der Gefühlswelt ist die bei diesem Thema die einseitige Betrachtung des Fortschritts bemerkenswert. So wird beispielsweise die beeindruckende Steigerung der Leistungsfähigkeit von Photovoltaikmodulen in den letzten Dekaden stets hervorgehoben. Selbst nicht vorhandene Speichertechnologien werden gefeiert, obwohl sie noch gar nicht existieren.

Beim Thema Kernkraft jedoch wird argumentiert, als planten die Befürworter dieser Erzeugungsform für Deutschland den Einsatz originalgetreuer Nachbauten der Siedewasser-Reaktoren aus Tschernobyl, die in den 1960er Jahren in der Sowjetunion entwickelt wurden.

Der Atomausstieg wird in Deutschland nicht erst seit 2011 propagiert. Der Treibstoff der damals getroffenen Entscheidungen war einem bekannten Muster folgend die Angst. Einige, darunter offenbar auch Vertreter des DIW, meinten jedoch schon damals eine Vorbildfunktion Deutschlands ausmachen zu können.

 

Zur Einschätzung der Prognosefähigkeiten der Visionäre dieses Institutes sei an die von diesem Institut veröffentlichten Texte zum Thema Kaufkraftverlust erinnert. Hier ein kurzer Auszug aus einem Text des DIW-Chefs mit dem Titel „Kein Grund zur Angst vor Inflation“ vom 29.7.2022.

Es gibt keinen Grund, Angst vor Inflation zu haben. Die erhöhte Inflation im Vergleich zum Vorjahr war zu erwarten und ist eine gute Entwicklung, denn sie ist letztlich eine Normalisierung der Preise nach einer pandemiebedingt viel zu schwachen Preisentwicklung im vergangenen Jahr. Die Inflation dürfte in den kommenden Monaten hoch bleiben – das ist jedoch temporär der Fall und vor allem das Resultat des Auslaufens der Mehrwertsteuersenkung und des starken Verfalls der Energiepreise im vergangenen Jahr.
Eine zu geringe Inflation wäre ein größeres Risiko als eine zu hohe Inflation.
Eine dauerhaft erhöhte Inflation entsteht zum Beispiel in einem Wirtschaftsboom, in dem die Konsumentinnen und Konsumenten viel Geld ausgeben und Unternehmen stark investieren. Dafür gibt es in Europa und auch in Deutschland zurzeit aber keinerlei Belege. So gesehen wäre eine erhöhte Inflation ein Luxus-Problem für Deutschland.“

Jetzt haben wir eine deutlich erhöhte Inflation ganz ohne Wirtschaftsaufschwung und das Haltbarkeitsdatum des Märchens von der temporären Preissteigerung, die nur einige Monate anhält, ist auch abgelaufen. Man konnte dies schon einige Monate vorher auch ganz anders sehen, wie unsere Leser wissen. Ganz ähnlich sieht es beim Vorbildcharakter der deutschen Energiepolitik aus. Es bleibt wie es immer schon war: Wenn ökonomische Prognosen politisiert werden, dann haben die Resultate möglicherweise politischen, keinesfalls aber ökonomischen Nutzen.

Der Blick ins Ausland zeigt, wie einsam es um den selbst ernannten Vorreiter Deutschland geworden ist. Selbst Japan hat vor Jahren eine Kehrtwende eingeleitet, über die hierzulande wenig berichtet wird.

 

Interessanterweise markiert ausgerechnet das Jahr 2011 einen lokalen Tiefpunkt der Stromerzeugung durch Kernenergie. Seither geht es weltweit betrachtet wieder bergauf. Der Anteil der Kernenergie an der gesamten Stromerzeugung fiel noch leicht bis ins Jahr 2018 und zeigte dann ebenfalls eine vorerst marginale Erholung.

Die folgende Grafik zeigt die absolute Entwicklung der Kernenergie sowie deren Anteil an der gesamten weltweiten Stromerzeugung.

 

In den 1970er Jahren nahm die Zahl der neu gebauten Kernkraftwerke deutlich zu. Schon vor der Tschernobyl-Havarie ging die Euphorie dann deutlich zurück und Themen wie der Umgang mit radioaktiven Abfällen und offene Fragen der Reaktorsicherheit rückten in den Fokus. Dieser Trend endete in der Mitte der 90iger Jahre. Nachdem bis dahin der Bau neuer Kernkraftwerke rückläufig war, nahm seit der Mitte der 2000er Jahre dann die Zahl der in Bau befindlichen und fertiggestellten Reaktoren wieder zu.

 

Die obenstehende Abbildung umfasst nur den Zeitraum bis Juli 2020. Daher sei auf die in den letzten beiden Jahren beschleunigte Entwicklung hingewiesen, wie sie auch den Plänen vieler europäischer Länder zu entnehmen ist. Der weltweite Trend geht nicht in Richtung Atomausstieg. Er weist in die gegenteilige Richtung eines Ausbaus der Nutzung, der auch dank neuer Technologien für viele Länder machbarer ist als dies noch vor einigen Dekaden der Fall war.

Der Anteil der in Bau befindlichen Reaktoren an der aktuell vorhandenen Kapazität ist enorm, wie die folgende Grafik zeigt.

 

Insgesamt kommen der Planung zu folge bis 2028 mehr als 17,5 % der derzeit installierten Gesamtleistung aller Kernkraftwerke neu ans Netz. Im Gegenzug werden zwar auch Kraftwerke stillgelegt. Durch die immer noch wachsende Zahl neuer Projekte und durch Laufzeitverlängerungen nimmt der Einfluss der Stilllegungen aber deutlich ab, während die Zahl neu geplanter Reaktoren deutlich zulegt. Per Saldo wird es so zu einem vermutlich noch deutlicheren Ausbau der Erzeugungskapazitäten kommen als die Grafik zeigt. Neben der absoluten Zunahme der Erzeugung wird somit auch der Anteil der Kernkraft an der gesamten weltweiten Stromerzeugung wieder steigen.

Unabhängig davon, ob man die Kernkraft befürwortet oder nicht, ist es absurd, beim Atomausstieg von einer deutschen Vorreiterrolle in der Welt zu sprechen. Zahlreiche politische Akteure verhalten sich derzeit wie ein Staffelläufer, der in die falsche Richtung läuft und sich darüber freut, den Abstand zu den anderen Mannschaften zu vergrößern. Es gilt aber die alte Regel: Wenn man in die falsche Richtung unterwegs ist, dann ist die Erhöhung der Geschwindigkeit keine Lösung.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Da politische Zyklen kommen und gehen dürfte mit der Zeit auch in Deutschland die Kernkraft wieder salonfähig werden. Schon grundlegendere Gewissheiten sind in den letzten Jahren über Bord geworfen worden. Abgesehen von den anderen Hürden der gepriesenen allumfassenden Elektrifizierung stellt sich bei weiter zunehmendem Strombedarf ohnehin nur die Frage, ob man Kernenergie selbst nutzt oder den Atomstrom aus dem Ausland importiert. Bereits dieses bisschen an Transparenz aber ist manchem zu viel.

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