Es dreht sich um Deutschland und noch viel mehr um die Frage, ob dieses Muster, das bei Deutschland angewendet wurde, auf Russland übertragen wird und Deutschland in der Konfiguration nach Versailles dabei eine besondere Rolle zu spielen hat?

Das ist nicht von der Hand zu weisen, wenn man die herausgehobene Rolle deutscher militärischer Befehlshaber in der neuerdings gegen Russland aufgebauten Ostfront ebenso betrachtet wie den Umstand, dass deutsche Einheiten 150 Kilometer westlich von St. Petersburg stehen.

Deutschland ist nicht mehr das, was bei der Bonner Republik darunter verstanden worden ist

Die Trümmer des Zweiten Weltkrieges hatten so etwas wie einen inneren Schwur zu erkennen gegeben. Deutschland sollte ein Rechtsstaat sein, nach innen und nach außen. So stand es in der Verfassung, die wegen der Art und Weise ihres Zustandskommens „Grundgesetz“ genannt worden ist. Dieser Ausdruck ist nichts Besonderes in der deutschen Rechtsgeschichte, er hat Tradition.

Heute muss man sich wegen der Entwicklung des Staates Deutschland fragen, ob wir es überhaupt noch einmal fertigbringen würden, eine Verfassung von der Güte des deutschen Grundgesetzes zustande zu bringen. Die besondere Qualität des deutschen Grundgesetzes manifestierte sich in zwei Eckpfeilern: den Menschen-und Bürgerrechten und der besonderen deutschen Verpflichtung, zum Frieden in der Welt beizutragen. Deshalb die strikten Bestimmungen zum Verbot des Angriffskrieges.

Der 22. März 1999 macht dies in besonderer Weise deutlich. An diesem Tag begann der ordinäre Angriffskrieg der NATO gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Die eindeutige Bestimmung über das Verbot des Angriffskrieges wurde der „Bündnistreue“ geopfert. Deutschland machte auf Weisung der Bundesregierung „wieder mit“. Wo blieb dabei der besondere grundgesetzliche Anspruch, ein Deutschland mit der Verpflichtung zum dauerhaften Friedensbeitrag auf der Welt schaffen zu wollen? Das war es nicht alleine. Mit den deutschen Bomben auf Belgrad wurden die Konsequenzen aus den Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg beiseite gefegt und die Charta der Vereinten Nationen als Ausdruck von „Nie wieder Krieg“ in der Substanz vernichtet.

Was ist 2019 noch vom Grundgesetz übrig?

Wenn am 23. Mai 2019 siebzig Jahre Grundgesetz gefeiert werden, wird man sich kaum der regierungsseitigen Lobreden entziehen können. Aber, wo bleibt denn das innerstaatliche Kernstück der Menschen-und Bürgerrechte für alle Deutschen? Angst geht um in Deutschland. Angst darüber, dass das grundgesetzlich verbürgte Recht auf freie Meinungsäußerung sich als gigantische Falle herausstellen könnte.

Falle deshalb, weil die notwendigen Einrichtungen, die ein bürgerliches Leben erst ermöglichen, die Äußerungen der eigenen Meinung dazu benutzen, missliebige Ansichten und damit missliebige Bürger von den notwendigen Einrichtungen des Dasein und nicht nur der Daseinsvorsorge auszuschließen. Viele machen die Erfahrung, dass Geschäftsbanken ihnen die Konten entziehen, weil sie einer zwar zugelassenen, aber missliebigen Partei angehören oder Auffassungen öffentlich vertreten, die nicht dem Mainstream entsprechen.

Man muss in Deutschland wieder die Erfahrung machen, dass ein Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz mit Methoden gegen eine politische Partei vorgeht, die beim ersten Gerichtssturm dagegen hinweggefegt werden, nachdem der Wissenschaftlich Dienst des Deutschen Bundestages sein Verdikt darüber schon zu Papier gebracht hatte. Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages wohlgemerkt, der durch seine abgewogenen Stellungnahmen mehr zum Respekt für staatliches Wirken beizutragen scheint als das Plenum des Deutschen Bundestages, das bis heute nicht seiner staatspolitischen Verantwortung für eine parlamentarische Konsequenz für die Entscheidung der Bundeskanzlerin aus dem September 2015, die deutschen Grenzen schutzlos zu stellen, nachgekommen ist.

Europawahlen: Pest oder Cholera?

Nach dem Jubiläum für das deutsche Grundgesetz wird das Europäische Parlament gewählt und inzwischen stehen die beiden Spitzenkandidaten für die danach resultierende Postenvergabe im ersten Anlauf fest. Die Wählerinnen und Wähler können eine klare Entscheidung treffen: der Spitzenkandidat der EVP hat zusammen mit der deutschen Bundeskanzlerin Deutschland schutzlos gestellt, was die Migration nach Deutschland anbetrifft. Der entsprechende Vertreter der Sozialisten in Europa will nach eigenem Bekunden die europäischen Nationalstaaten abschaffen, weil sie seiner Ansicht nach mit den Aufgaben nicht mehr überkommen.

Wer unter diesen Umständen an die Wahlurne tritt, sollte sich anschließend nicht darüber beklagen, dass ihm der Teppich, auf dem er steht, unter den Füßen weggezogen worden ist. Dabei gibt es durchaus Persönlichkeiten im politischen Europa, denen man zutrauen sollte, mit den anstehenden Problemen fertig zu werden und sie nicht erst zu schaffen. Herr Barnier, der den Brexit auf europäischer Seite verhandelt, macht das seit zwei Jahren in der schwierigsten Aufgabe überhaupt in und für Europa ohne Tadel. Es spricht für die Qualität des Brüsseler Europa, dass solche Persönlichkeiten bei den Hinterzimmer-Entscheidungen keine Chance haben. Da wundert man sich bei den Strippenziehern und schreibt es „den Populisten“ zu, wenn die Menschen dieses Europa in der derzeitigen Brüsseler Form nur als Missachtung ihrer eigenen Interessen empfinden.

Versailles als Wegbereitung für den nächsten Krieg

In diesem Jahr geht es mit dem Gedenken Schlag auf Schlag, wie die Erinnerung an das hundert Jahre zurückliegende Ereignis „Versailles“ zeigt. Christopher Clark hat die Verantwortung für den Ersten Weltkrieg auf viele Schulter verteilt und dabei eine bemerkenswerte Schonhaltung für London und Paris sowie die dort herrschenden „Schattenkrieger“ an den Tag gelegt.

In Deutschland ist es eine Art von Spätfolge für das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges, dass bis heute britische Historiker die Deutungshoheit für alle Ereignisse nach dem Wirken britischer und französischer Schattenkrieger gegen Deutschland übernommen haben. Versailles mit seiner alleinigen Kriegsschuld für Deutschland und Österreich-Ungarn ist im Ergebnis nicht zu halten, wenn die allgemeine Zustimmung zu den Thesen von Christopher Clark eine Grundlage hat.

Warum dann also die alleinige Kriegsschuld bei Deutschland und Österreich-Ungarn? Das doch wohl nur für den Fall, dass man keinen Frieden sondern nur den zielgerichteten Weg zum nächsten Krieg haben wollte? Deutschland und das, was von Österreich-Ungarn übrig geblieben war, sollte einen eigenen Beitrag zum Ausbruch des nächsten Krieges leisten.

Diesen Beitrag fand man auf dem Weg: ohne Versailles kein Adolf Hitler und ohne Adolf Hitler kein Zweiter Weltkrieg. Krieg gab es in Europa auch vor dem Ersten Weltkrieg, aber Versailles war die zielgerichtete Abkehr von dem, was den Anspruch auf eine Friedensregelung erheben konnte.

Es war der bewusste Weg in den geplanten Folgekrieg. Dessen Verheerungen erreichten eine Dimension, dass über die Charta der Vereinten Nationen 1945 Krieg geächtet werden sollte. Das hielt mehr oder weniger, bis die Bomben auf Belgrad die Charta der Vereinten Nationen in Splitter schossen. Danach kann es keinen Zweifel mehr geben: es geht gegen Russland, das man schon 1918 ins Visier genommen hatte.

Zurück ins Jetzt und Hier

Der US-Senator Bernie Sanders hat Recht, als er bei der Ankündigung seiner Bewerbung um die Spitzenkandidatur bei den Demokraten darauf hinwies, dass die Vereinigten Staaten den amerikanisch initiierten globalen Dauerkriegen abschwören müssen, soll die Welt eine Überlebenschance haben. Präsident Trump sieht das wohl auch so und wird von den Speerspitzen der Kriegskoalition in Washington politisch in Stücke gerissen.

Willy Wimmer, 3. März 2019

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