Es ist aufmerksamen Beobachtern über den Verlauf der letzten Tage keineswegs entgangen, dass die ausstehenden Anleihen des chinesischen Immobilienprojektentwicklers Evergrande von einem Rekordtief zum nächsten getaumelt sind.

Ein beträchtlicher Teil dieser umlaufenden Anleihen wurde durch das finanziell schwer unter Druck stehende Konglomerat auf Basis des US-Dollars emittiert. Insgesamt belaufen sich die ausstehenden Schulden von Evergrande auf einen Betrag in Höhe von umgerechnet mehr als dreihundert Milliarden US-Dollar (!).

Evergrande ist aus Sicht Chinas systemisch wichtig

Nach den jüngsten Entwicklungen in der vergangenen Woche und der bereits zuvor erfolgten Bailoutzusage zugunsten der Huarong Group, Chinas größter Bad Bank, durch die Hintertür zeichnet sich jetzt eine enorme Zuspitzung der Finanzsituation um Evergrande ab.

Aus Perspektive der Pekinger Staatsführung erweist sich das Überleben von Evergrande als systemisch wichtig, weshalb sich die Frage stellt, auf welche Weise Peking und die People´s Bank of China auf die finanzielle Schieflage bei Evergrande reagieren werden – oder auch nicht.

Zu Wochenbeginn setzte sich der Abverkauf in ausstehenden Bonds von Evergrande nahtlos fort. Erschwerend gesellt sich nun die Tatsache hinzu, dass Schlüsselkreditgeber der Firma das Management um eine sofortige Rückzahlung von ausstehenden Obligationen ersuchen.

Als noch problematischer erweist sich die Tatsache, dass Evergrande-Bonds seit Ende letzter Woche unter vielen Investoren plötzlich nicht mehr als „Sicherheiten“ akzeptiert werden. Wie Bloomberg am Wochenende berichtete, seien es mindestens zwei große Geldgeber aus dem Nicht-Bankenbereich, die Evergrande zu einer sofortigen Rückzahlung im Hinblick auf eine Reihe von ausstehenden Obligation ersucht haben sollen.

Die Liquiditätslage habe sich bei dem größten Immobilienprojektentwickler der Welt hierauf nochmals dramatisch zugespitzt. Unter Bezugnahme auf Bloomberg soll es sich bei den nun „rebellierenden“ Geldgebern um mindestens zwei große Trust-Firmen handeln, die Kapital für vornehmlich wohlhabende Kunden verwalten.

Nichtbanken-Bereich und Schattenbankensektor hielten Immobilienfirmen flüssig

Es waren, wie in der Vergangenheit mehrfach ausgeführt, insbesondere solche Geldgeber aus dem Nicht-Bankenbereich und Schattenbankensektor, die heimische Immobilienunternehmen über die vergangenen Monate und Jahre weiterhin großzügig mit finanziellen Mitteln versorgt hatten.

Anders als im Fall von vielen anderen Investoren haben sich private Trusts das vertragliche Recht ausbedungen, um auf eine frühzeitige Rückzahlung von gewährten Krediten zu pochen, falls bestimmte Bedingungen nicht mehr erfüllt werden oder es zu einer Schieflage der jeweiligen Kreditnehmer kommen sollte.

Im Fall von Evergrande scheint ein solcher Punkt nun erreicht zu sein. Bei Bloomberg heißt es hierzu weiter, dass eine der Trust-Firmen bislang nur einen kleinen Teil ihrer ausstehenden Gelder von Evergrande zurückerstattet bekommen habe.

Die entsprechenden Rückzahlungsaufforderungen dürften wie im Fall von Dominos eine Kette anstoßen und in Gang setzen, die letzten Endes zu einer Zahlungsausfallwelle in Bezug auf die ausstehenden Schulden des Immobilienprojektentwicklers führen dürfte.

Die ausstehenden Schulden des Konglomerats verteilen sich nicht einzig und allein auf traditionelle Banken sowie Finanz- und Kreditgeber aus dem Nichtbankenbereich und Schattenbankensektor, sondern zu einem guten Teil auch auf Lieferanten sowie Wohnungs- und Hauskäufer, deren getätigte Anzahlungen im Feuer zu stehen drohen.

Aus aktueller Sicht stellt sich die Frage, wie lange die chinesischen Regulierungsbehörden noch die Füße stillzuhalten gedenken, da sich die Situation um Evergrande mit jedem nun verstreichenden Tag noch weiter verschlimmern dürfte. Kollabiert das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Konzerns vollends, sähe sich das gesamte chinesische Finanzsystem durch einen Zusammenbruch bedroht.

Wird es also zu einem staatlichen Bailout zugunsten von Evergrande – wie zuvor zugunsten der Huarong Group – kommen? Bislang ist hierüber in Sachen Evergrande noch rein gar nichts an die Öffentlichkeit gedrungen – und dürfte sich allein aus Perspektive der schieren Höhe der ausstehenden Verschuldung als deutlich schwieriger erweisen.

Evergrande-Anleihen auf Talfahrt

Wer einen Blick auf die anhaltende Talfahrt der ausstehenden Anleihen von Evergrande wirft, kommt nicht umhin, als mit bevorstehenden Zahlungsausfällen zu rechnen. Bis dato hieß es seitens der chinesischen Regulierungsbehörden nur, dass das Management von Evergrande nach Mitteln und Wegen suchen solle, um seine dringlichsten Schuldenprobleme zu lösen.

Ausgerechnet der weitläufig unregulierte Schattenbankensektor des Landes spielt hinsichtlich der Finanzierung von Evergrande einmal mehr eine tragende Rolle. Unter Bezugnahme auf Bloomberg entfielen auf diesen Bereich rund vierzig Prozent aller Finanzierungszusagen, die dem Management von Evergrande bis Ende des Jahres 2019 zuteilwurden.

Obwohl Trust-Firmen in vergangenen Jahr bereits auf die Finanzierungsbremse getreten sind, werden in diesem Bereich allein im laufenden Jahr ausstehende Bonds und Anleihen in einem Gesamtumfang von umgerechnet mehr als sieben Milliarden US-Dollar fällig. Weitere knapp 7,5 Milliarden US-Dollar stehen dann im kommenden Jahr an.

Dies sei allerdings noch gar nichts im Vergleich zu jenen Beträgen, die ab dem Jahr 2023 im Sinne einer Rückzahlung anstehen werden. Nicht von ungefähr rechnen viele Beobachter mit einer möglicherweise drastischen Zunahme von gerichtlichen Klagen gegen das Konglomerat, die sich auf die Provinz Guangdong, den Hauptsitz des Unternehmens, konzentrieren würden.

Große Investoren bekommen kalte Füße

Dass große Investoren in Sachen Evergrande kalte Füße zu bekommen scheinen, könnte unter anderem auch daran liegen, dass der Handel unter einer Reihe von ausschließlich in der Heimat gehandelten Firmenbonds am letzten Freitag kurzzeitig ausgesetzt wurde, nachdem es zu teils gewaltigen Preisabschlägen gekommen war.

 

 

Manche der in US-Dollar denominierten Anleihen von Evergrande werden darüber hinaus momentan schon unterhalb von dreißig Cents pro Dollar gehandelt. Allein seit Jahresbeginn ist die an der Börse Hongkong gehandelte Aktie des Unternehmens um rund 74 Prozent im Kurs eingebrochen.

 

 

Nachdem die Aktie von Evergrande inzwischen auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist – und charttechnisch den Eindruck eines langgezogenen Christbaums erweckt – wird erneut deutlich, dass Aktieninvestitionen eine hoch riskante Sache und alles andere als ein Selbstläufer oder eine Einbahnstraße sind.

Wie wird es dem breiten Markt erst ergehen, wenn der durch Zentralbanken und Regierungen aufgetürmte Schuldenturm, wie momentan im Fall von Evergrande, implodieren wird? Blasen á la Neuer Markt („Einmal Millionär und wieder zurück“), der Technologie-Crash und andere geplatzte Spekulationsträume haben sich nicht im kollektiven Bewusstsein verankert, weshalb das Erwachen unter vielen Akteuren zu gegebenem Zeitpunkt abermals böse sein dürfte – was vor allem auch aus Sicht des großen Rests der Gesellschaft gilt, der dann für jene anhand von Spekulationen entstandene Schäden wohl wieder geradestehen soll.

Evergrande-Anleihen werden nicht mehr als „Sicherheiten“ akzeptiert

Zurück zu den Anleihemärkten. Nichtsdestotrotz weisen einige Anzeichen darauf hin, dass die Probleme im US-Dollar-Bond-Bereich aus Sicht von Evergrande gerade erst so richtig zu beginnen und an Fahrt aufzunehmen drohen.

Denn Ende der letzten Woche wurde bekannt, dass inzwischen auch jene auf Basis des Yuans/Renminbis denominierten Anleihen von Evergrande nicht mehr als „Sicherheiten“ unter entsprechenden Zahlungsabwicklern akzeptiert würden.

Übersetzt bedeutet das, dass Evergrande immer größere Probleme dabei hat, sich an den Schlüsselkreditmärkten zu refinanzieren und sich mit frischen Finanzmitteln zu versorgen. Und damit wird der Firma auch der Weg an einen weiteren Schlüsselrefinanzierungsmarkt, nämlich den Repo-Markt, versperrt.

Wie man die Dinge nun auch dreht und wendet, so deutet eine ganze Menge darauf hin, dass die Welt es mit einem (Schulden-)Koloss zu tun haben könnte, das ähnlich wie im Jahr 2008 die amerikanische Investmentbank Lehman Brothers in einen Bankrott zu taumeln droht.

Unterschied zwischen Lehman Brothers und Evergrande ist allerdings, dass die Verschuldung von Evergrande jene der einstmals untergegangenen Investmentbank noch bei Weitem in den Schatten stellt.

Ratingherabstufungen drohen Probleme zu vergrößern

Seit Ende der vergangenen Woche sieht sich Evergrande nicht mehr dazu in der Lage, eigene „Sicherheiten“ zur Generierung von frischen Barmitteln an den Börsen von Shenzhen und von Shanghai zu hinterlegen, wie es unter anderem auch in einer Mitteilung des örtlichen Abwicklers hieß.

Diese Entscheidung sei unabdingbar geworden, nachdem Chinas größte Ratingagentur in Bezug auf eine Reihe von ausstehenden Bondtranchen Herabstufungen von vormals AAA- auf AA vorgenommen habe. Eine solche Kreditbonität erweckt trotz allem noch immer einen äußerst schmeichelhaften Eindruck, wenn man sich der aktuellen Lage, in der sich Evergrande befindet, gewahr wird.

Weitere potenzielle Kreditherabstufungen wurden allerdings bereits angekündigt. Aus Sicht des Evergrande-Managements wird die sich aktuell um den Konzern entwickelnde Lage also zu nichts anderem als einem Rennen gegen die Zeit.

Angemerkt sei, dass die inzwischen erfolgten Kreditherabstufungen alle nach April 2017 emittierten Anleihen von Evergrande nicht mehr dazu befähigen, als „Sicherheiten“ im allgemeinen Wertpapierhandel hinterlegt und akzeptiert zu werden, worüber letzten Endes allerdings der Abwickler die letzte Entscheidung zu treffen hat.

Endspiel um Evergrande hat begonnen

Nichtsdestotrotz zeichnet sich ab, dass der Evergrande-Konzern in eine Art Endspiel eingetreten zu sein scheint, was zuletzt auch zu Ankündigungen des Unternehmens geführt hatte, sich von gehaltenen Vermögenswerten – und ganzen Konzernsparten – trennen zu wollen, um sich mit frischen Finanzmittel zu versorgen.

Wird es sich als ausreichend erweisen, das Tafelsilber zu veräußern? Oder drohen im Keller des Konzerns im Verlauf der nächsten Wochen noch ganz andere Leichen zum Vorschein zu kommen?

Vorsichtig stimmt Investoren überdies die Tatsache, dass der Kernbereich von Evergrande, die Immobilienprojektentwicklung, rekordhohe Verluste schreibt, was zuletzt bereits zu einem Stopp von mehreren Bauprojekten geführt hat.

Diese inzwischen erfolgten Baustopps sehen sich mitunter auch der Tatsache geschuldet, dass einzelne Lieferanten des Konzerns ihre Aktivitäten eingestellt haben, solange sich nicht eine Besserung der Lage einstellen sollte. Wie dem auch sei, danach sieht es momentan nicht aus, nachdem Evergrande selbst in der letzten Woche vor möglichen Zahlungsausfällen gewarnt hatte.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Abermals sei die Frage aufgeworfen, wie lange es sich die Pekinger Staatsführung noch wird erlauben können, in Sachen Evergrande ruhig zu bleiben und in einem Beobachtungsmodus zu verharren. Behalten Sie die Entwicklungen im Reich der Mitte im Auge, denn es könnte ganz schnell zu Ansteckungseffekten in anderen Regionen der Welt kommen, falls sich die Lage um Evergrande weiter verschlechtern sollte.

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