Was ist eine offene Gesellschaft?
Gemäß Karl Poppers Klassiker Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1945) schafft die offene Gesellschaft einen Raum dafür, dass verschiedene Lebensformen, Religionen, Weltanschauungen usw. friedlich miteinander zusammenleben und sich durch wechselseitigen Austausch sowohl wirtschaftlich (Arbeitsteilung) als auch kulturell bereichern. Die offene Gesellschaft wird durch keine geteilte Vorstellung von einem allgemeinen Gut zusammengehalten. In diesem Sinne ist sie wertneutral. Den Rahmen für die offene Gesellschaft bildet eine Rechtsordnung mit gleichem Recht für alle, nämlich dem Recht von jedem auf Selbstbestimmung über das eigene Leben. Dementsprechend ist jeder verpflichtet, das Recht auf freie Lebensgestaltung von jedem anderen zu respektieren. Wie diese Lebensgestaltung ausfällt, dafür bestehen keine Vorgaben. Wir können diesbezüglich vom Primat der Freiheit sprechen.
Mit Egoismus hat das nichts zu tun: Im Vordergrund steht die Pflicht von jedem, die Freiheit aller anderen zu respektieren und ihnen keine Vorschriften für ihre Lebensweise zu machen. Dementsprechend bedarf Zwang der Rechtfertigung: Wenn man jemandem etwas auferlegen will und ihm damit das Recht auf das eigene Urteil nimmt, braucht man dafür gute Gründe. Man muss dann ein Wissen über das, was gut ist, für sich in Anspruch nehmen, über das die andere Person nicht verfügt.
Prinzipielles zur Feindschaft der offenen Gesellschaft
Das tun die Feinde der offenen Gesellschaft im Sinne Poppers: Sie setzen an die Stelle des Primats der Freiheit ein Primat des Wissens. Sie nehmen für sich das Wissen um ein allgemeines Gut in Anspruch und leiten aus diesem Wissen die Berechtigung ab, anderen ihre Lebensweise aufzuzwingen. Popper hatte 1945 den Kommunismus und den Nationalsozialismus im Auge. Beide postulieren ein Endziel der Geschichte – die klassenlose oder die reinrassige Gesellschaft. Beide behaupten, dass dieses Ziel streng wissenschaftlich begründet ist; dass es aus den materialistischen bzw. biologischen Naturgesetzen, die auch die menschlichen Gesellschaften und den Verlauf der Weltgeschichte bestimmen, folgen würde. Dieses vermeintliche Wissen ziehen sie zur Rechtfertigung des totalitären Staates heran: Unbegrenztes Wissen legitimiert unbegrenzte Herrschaft. Um das wissenschaftlich begründete Endziel der Geschichte zu erreichen, scheint somit alles erlaubt zu sein, bis hin zur physischen Vernichtung von Menschen und Menschengruppen, die diesem Endziel im Wege stehen.
Historische Beispiele: Kommunismus und Nationalsozialismus
Kommunismus und Nationalsozialismus sind Extremformen von Feindschaft zur offenen Gesellschaft, die eine Extremform von Wissen für sich in Anspruch nehmen: Wissen um das Endziel der Geschichte. Wenn man sich auf diese Extremformen konzentriert, neigt man dazu zu übersehen, dass die Feinde der offenen Gesellschaft auch aus der Mitte der Gesellschaft kommen. Das Gefährliche daran ist, dass es einen schleichenden Übergang von dieser Mitte zu den Extremformen gibt.
Insofern der Nationalsozialismus sich als streng wissenschaftlich sieht, bezieht er sich auf die Eugenik. Der Kern der Lehre der Eugenik bestand Anfang des 20. Jahrhunderts in Folgendem:
- Es gibt höher- und minderwertige Erbanlagen.
- Diese sind jeweils auf bestimmte Gruppen oder bestimmte Ethnien verteilt.
- Die kulturelle Evolution in den zivilisierten Gesellschaften unterminiert die Mechanismen der natürlichen, biologischen Auslese, welche die Verbreitung minderwertiger Erbanlagen behindern.
- Die gegenwärtige (1920er Jahre) ist daher die letzte Generation der zivilisierten Menschheit, wenn nicht staatliche Eingriffe erfolgen, um die Fortpflanzung minderwertiger Erbanlagen zu verhindern.
- Diese Eingriffe sind aufgrund der biologischen Naturgesetze bezüglich der Selektion der guten Erbanlagen notwendig und daher durch diese Naturgesetze legitimiert.
Kennzeichnend für diese Argumentation ist der fließende Übergang von Wissen über biologische Tatsachen – es gibt genetische Unterschiede, die zur Erklärung von Verhalten bis hin zu kulturellen Unterschieden beitragen – zu normativem Orientierungswissen, das politisches Handeln legitimiert, welches sich über die rechtsstaatlichen Prinzipien und die Menschenrechte hinwegsetzt. Das entsprechende politische Handeln bestand in erster Linie in Sterilisationen, die insbesondere auch in westlichen Ländern, die sich als Demokratien verstanden haben, praktiziert wurden – sie ließen sich dabei von angeblicher Wissenschaft leiten. Diese Sterilisationen wurden im gesamten politischen Spektrum einschließlich linker und sich „liberal“ nennender Parteien befürwortet.
Die Eugenik-Bewegung illustriert, wie Feinde der offenen Gesellschaft aus der Mitte der offenen Gesellschaft kommen können. Eugenik war in den 1920er Jahren tatsächlich weitgehender Konsens in den Lebens- und den Sozialwissenschaften. Viele Wissenschaftler und Politiker aus diesen Kreisen in der westlichen Welt haben vor diesem Hintergrund die Machtergreifung Hitlers in Deutschland begrüßt, weil nun auch Deutschland die „aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendigen“ eugenischen Maßnahmen ergriff. Was dann schließlich folgte, haben diese Wissenschaftler und ihre Anhänger aus der Mitte der Gesellschaft natürlich nicht beabsichtigt. Aber die Lehre aus der Geschichte ist: Wenn man einmal das Primat des Wissens über das Primat der Freiheit stellt und ein Wissen für sich in Anspruch nimmt, das über den Grundrechten der Menschen steht, dann gibt es keinen Halt mehr. Dann ist alles durch angebliche Wissenschaft erlaubt.
Zur Gegenwart: Corona- und Klima-Regime als Bedrohungen der offenen Gesellschaft
Diese Lehre haben wir heute vergessen. Mit dem Corona- und dem Klima-Regime wiederholen wir das Unrecht der Eugenik-Bewegung. Die Themen sind andere. Das Handlungsschema ist aber das gleiche. Es gibt eine Tatsachen-Grundlage in Virenwellen und Klimawandel. Diese Tatsachen-Grundlage wird durch willkürliche, faktenfreie und damit pseudo-wissenschaftliche Modellrechnungen zu einer existentiellen Bedrohung aufgebauscht. Diese angebliche existentielle Bedrohung rechtfertigt dann politische Eingriffe, die sich über die elementaren Grundrechte auf Selbstbestimmung des eigenen Lebens hinwegsetzen. Das geschieht im Namen allgemeiner Güter wie Gesundheits- oder Klimaschutz, die dann angeblich politisches Handeln erfordern, das nicht durch die Grundrechte begrenzt ist.
Im Corona-Regime unterstand mit den juristischen oder faktischen Impfanordnungen sogar der eigene Körper staatlicher Verfügung. Dabei war von vornherein klar, dass die Impfung allenfalls Selbstschutz vor gefährlicher Erkrankung gewähren konnte, aber nicht Fremdschutz: Sie konnte die Übertragung des Virus nicht unterbinden. Mit den Lockdowns konnte alles bis in die Privatsphäre hinein staatlicher Regulierung unterworfen werden, sogar mit wem man sich in den eigenen vier Wänden traf. Wissenschaftlich hatte alles dieses nie irgendeine Grundlage. Wie in der Eugenik haben sich viele Wissenschaftler und ihre Institutionen wieder an einem Staatsverbrechen beteiligt und sich damit als Feinde der offenen Gesellschaft erwiesen.
Mit dem Klima-Regime droht, sich das gleiche Muster zu wiederholen: Man nimmt den Menschen ihr Grundrecht auf eigene Lebensgestaltung, indem man unbegrenzt bis in die Privatsphäre hinein reguliert – wie man heizen, wie (wenn überhaupt) man sich fortbewegen darf, was man essen darf usw. Man hat nichts aus der Geschichte gelernt und läuft daher Gefahr, sie zu wiederholen: Wenn man angebliches Wissen über die Rechte der Menschen stellt, dann kann man mit diesem angeblichen Wissen alles begründen.
Die Eugenik-Bewegung verschwand ab den 1950er Jahren sang- und klanglos. Insofern tatsächlich ein Problem bestanden haben sollte, löste dieses Problem sich von selbst, indem man den Weg des wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts weiterging. Wenn auch die Menschen mit angeblich minderwertigen Erbanlagen am wirtschaftlichen Fortschritt teilhaben, dann hat das zur Folge, dass es keine statistisch signifikanten Unterschiede in der Fortpflanzung mehr gibt, die sich bestimmten Gruppen zuordnen lassen.
Das Gleiche gilt für die Themen Corona und Klima: Der Weg des wissenschaftlichen, technologischen und wirtschaftlichen Fortschritts führt von alleine zu einer Verbesserung der hygienischen Verhältnisse und zu einem Gesundheitssystem, das wirksamen Schutz vor Infektionskrankheiten ermöglicht. Die Corona-Maßnahmen haben nur zu gesundheitlichen Schäden geführt, wie inzwischen offensichtlich ist.
Auch in Bezug auf den Klimaschutz gibt es physikalische und wirtschaftliche Tatsachen: Der Weg von Holz über fossile Brennstoffe wie Kohle, Öl und Gas zur Atomenergie ist ein Weg zur Erschließung von Energiequellen, die immer effizienter, kostengünstiger in der Massenproduktion und zugleich sicherer und umweltschonender sind. Das trifft insbesondere auch auf die Atomenergie zu. Die sogenannte Energiewende trägt zu Klima- und Umweltschutz nichts bei. Sie führt nur dazu, dass Deutschland sich von den wirtschaftlichen Grundlagen für einen schonenden Umgang mit der Umwelt abschneidet.
Die Fähigkeit der offenen Gesellschaft, Probleme zu lösen
Die offene Gesellschaft löst ihre Probleme von alleine. Wie Popper in seinem Klassiker Die offene Gesellschaft und ihre Feinde (1945) ausführt, schlägt die spontane Anpassung an neue Herausforderungen, die Innovation und die Kreativität der vielen Menschen von unten immer zentrale politische Vorgaben zur Lenkung der Gesellschaft von oben. Politik soll die Rechtsordnung gewährleisten mit gleichem Recht für alle, aber nicht in die Lebensweise der Menschen eingreifen.
Anmerkung der Redaktion & "Was heißt das konkret für mich?"
Prof. Michael Esfeld ist Autor des Buches „Land ohne Mut: Eine Anleitung für die Rückkehr zu Wissenschaft und Rechtsordnung“. Er selbst hat diesen Mut zum Widerspruch als renommierter Wissenschaftsphilosoph in der Corona-Krise bewiesen und will nun auch seinen Mitmenschen Mut machen, mehr auf den eigenen Verstand und die eigene Urteilskraft zu vertrauen und sich dem Herdentrieb zu verweigern. Sein Gastbeitrag für Cashkurs*Leben zeigt, wie wertvoll eine offene Gesellschaft ist, in der jedes Argument genannt und abgewogen werden darf – in der es sogar unsere Verantwortung ist, das sicherzustellen. Lassen Sie sich daher nicht den Mund verbieten und nehmen Sie auch andere Meinungen respektvoll wahr. Nur so können wir die Gesellschaft wirklich zum Positiven verändern, ohne auf Pseudo-wissenschaftliche Irrwege abzudriften.
Kommentare
Popper sollte Pflichtlektüre sein,
Sowohl auch Orwell und Huxley !
1984 hatten wir in Religion gelesen.
Danke Herr Adamek !!!
War alsbald nicht mehr möglich da ein verbindlicher Lehrplan eingeführt wurde…
So geht der Sieg an das "allen wohlwollende" System für das Klima, für Corona-Bekämpfung, gegen Überbevölkerung ...