Warum Parteiausschlussverfahren trotz ihrer Langwierigkeit sinnvoll sind

Demokratische Parteien gehören zum Fundament einer funktionierenden Demokratie. Die EU-Mitgliedsstaaten sind, wie natürlich auch Deutschland, Parteiendemokratien. Die Parteien erhalten staatliche Förderungen, weil sie ihrerseits zur demokratischen Meinungsbildung im Land beitragen.

Im deutschen politischen Dialog gibt es viele Diskussionen darüber, ob einige Parteien sich von bestimmten, den Parteiinteressen entgegenwirkenden Mitgliedern trennen sollten. Langwierige Verfahren werden kritisiert.

Dies wird in Griechenland, bis auf wenige Ausnahmen, anders gehandhabt. Parteichefs schmeißen ihnen missliebige Mitglieder und Mandatsträger einfach raus. Aktuell hat es den prominenten EU-Parlamentarier Georgos Kyrtsos, einen früheren Unterstützer von Premierminister Kyriakos Mitsotakis, erwischt. Er hatte es gewagt Kritik zu üben.

Die Erfahrung aus Griechenland zeigt, warum demokratisch durchgeführte Parteiausschlussverfahren wichtig sind. Ohne sie verkommen Parteien zu willfährigen Organen der jeweiligen Führungsspitze. Allerdings sollten die Verfahren, das zeigen die Beispiele aus Deutschland, nicht zu lange dauern.

Parteiausschlussverfahren als Ärgernis

Regelmäßig erscheinen in der deutschen Presse, und natürlich auch in den sozialen Medien Kommentare über nach der vorherrschenden Meinung längst überfällige Parteiausschlüsse. Der frühere SPD-Finanzsenator im Berliner Senat Thilo Sarrazin wehrte sich jahrelang heftig gegen seinen Ausschluss aus der SPD. Der frühere Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen steht, ebenso wie der AfD-Präsidentschaftskandidat Max Otte, bei großen Teilen der CDU-Funktionäre auf der Abschussliste.

Der Bürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, amtiert mit dem Ticket der Grünen und wird bei den kommenden Kommunalwahlen als unabhängiger Kandidat gegen seine eigene Partei, die ihn ausschließen will, antreten. Derweil unterzeichneten 500 Grüne einen Aufruf und erklären, dass sie nicht einverstanden sind mit dem Ausschlussverfahren. Die Liste lässt sich mit zahlreichen Beispielen fortsetzen.

Wer erinnert sich nicht an den früheren Bundesminister und NRW-Ministerpräsidenten Wolfgang Clement, der 2008, nachdem sein Parteiausschlussverfahren mit einer Rüge endete, schließlich selbst entnervt die Partei verließ. In Brandenburg eilt der frühere Fraktionsvorsitzende Andreas Kalbitz von Prozess zu Prozess gegen seinen Parteiausschluss. Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine bringen ihre (Noch-)Genossen bei den Linken mit ihrer Haltung zur Impfdebatte und zu Putin zur Verzweiflung.

Keine im Bundestag vertretene Partei, ob aus dem bürgerlichen, dem sozialdemokratischen, dem linken, dem ökologischen, aber auch dem rechteren Spektrum, kann sich ungeliebter Mitglieder ohne Weiteres entledigen.

In Griechenland ist das - mit zwei Ausnahmen - anders. Bei der kommunistischen Partei werden Parteiausschlüsse, Kandidatenlisten und auch programmatische Erklärungen demokratisch von den Mitgliedern und den zuständigen Parteiorganen bestimmt. Das Zentralkomitee achtet streng auf die Einhaltung der auf den regelmäßigen Parteitagen beschlossenen Parteilinie.

Bei der Partei von Yanis Varoufakis gibt es demokratische Strukturen. Die Partei gibt sich hip und basisdemokratisch. Anders klingt jedoch, dass austretende Mitglieder, wie die Parlamentarierin Konstantina Adamou und die erste mögliche Nachrückerin für den Parlamentssitz des ersten Wahlkreises Athens, Maria Botonaki, bei ihrem Austritt aus der Partei autokratische Strukturen anprangerten.

Aus den drei im Parlament vertretenen bislang regierenden Parteien sind bereits mehrfach Parlamentarier entweder wegen eines der Parteiführung missliebigen Votums, oder aber wegen Kritik ausgeschlossen worden. Der Ausgang von Abstimmungen im Parlament und damit der Ausgang von Debatten über Gesetzte ist damit vorbestimmt. Parlamentarier, die nach eigenem Gewissen und nicht gemäß der Vorgabe der jeweiligen Parteichefs votieren, werden zunächst allein durch Erklärung des Parteichefs aus der Fraktion ausgeschlossen. Dies ist gleichbedeutend mit einem Parteiausschluss, weil die Betroffenen, wenn es keine Aussöhnung gibt, nicht mehr als Kandidaten aufgestellt werden.

Die Karriere solcher Politiker ist dann meist schnell vorbei, auch wenn sie manchmal mit kurzlebigen eigenen Parteien noch einmal einen Parlamentssitz ergattern können. Der Volksmund spricht in diesem Zusammenhang gern von der Ziege, welche die Herde verlässt und dann schutzlos den Wölfen ausgesetzt ist.

Bei all dem ist der Einfluss der Parteimitglieder begrenzt. So möchte Alexis Tsipras erst im März 2022 den dritten Parteitag seines 2012 als Partei gegründeten SYRIZA abhalten. Tsipras überlegt nun, seine Bestätigung als Parteichef durch ein offenes Votum aller Griechen zu erhalten. Nicht mehr das Parteibuch soll über das Wahlrecht entscheiden, sondern vielmehr die Selbsteinstufung als „Freund der Partei“.

Mit solch einem Verfahren wählte die sozialdemokratische KinAll (Bewegung der Wende), die sich nun wieder PASOK nennen möchte im Januar ihren aktuellen Parteivorsitzenden Nikos Androulakis. Wahlurnen wurden aufgestellt und jeder, der wollte, konnte über den Parteichef der KinAll abstimmen. Es ist zu vermuten, dass Androulakis bei diesem Verfahren auch Stimmen von Wählern anderer Parteien erhielt.

Im Parlament warf Tsipras den Abgeordneten Panagiotis Kouroublis aus der Fraktion raus, weil dieser die Regierung mit zu drastischen Worten kritisiert hatte. Kouroublis hatte der Regierung angesichts der Todeszahlen der Corona-Pandemie vorgeworfen, eine mörderische Politik zu verfolgen. Griechenland hat in der europäischen Todesstatistik einen Spitzenplatz.

Zweierlei Maß

Den Ausgang gezeigt bekam in der Nea Dimokratia der Alt-Right-Politiker Constantinos Bogdanos. Er hatte im Parlament die Kommunisten als Verräter bezeichnet, was der anwesende Außenminister Nikos Dendias nicht goutierte. Der Vorwurf des Verrats erschien dem eloquenten Diplomaten als überzogen, provokativ, nicht angemessen und unwahr.

Premier Mitsotakis befand sich auf Auslandsreise, so übernahm Dendias die Rolle, Bogdanos noch während der Parlamentssitzung auszuschließen. Die Ironie der Geschichte ist, dass Wochen später Mitsotakis selbst die Opposition gegen sein teures Rüstungsprogramm des Verrats bezichtigte. Eine tendenziell rassistische Rhetorik, wie sie Bogdanos verwendet, wird auch von weiteren Politikern der Nea Dimokratia verwendet. Bei Wahlen fischt die Nea Dimokratia gern im nationalistischen rechten Lager Stimmen. Mit demonstrativen Parteiausschlüssen, wie dem von Bogdanos, versucht die Nea Dimokratia ihr bürgerliches Image zu wahren.

Vertreter extremer Positionen finden sich in vielen Parteien im Land. Der lautstarke SYRIZA-Politiker Pavlos Polakis empfiehlt seinen politischen Gegnern auf homophobe Weise gern, sie sollten „sich Unterhosen aus Weißblech anziehen“, um von ihm – im übertragenen Sinn – anal penetriert zu werden. Polakis‘ Narrative sind mindestens genauso populistisch wie die kritisierte Parlamentsrede von Kouroublis. Polakis darf Populismus in Extremform praktizieren, andere dürfen das nicht.

Der Unterschied der Politikerinnen und Politiker, die trotz verbalen Ausfällen keinerlei Konsequenzen zu fürchten haben, zu denjenigen, die ohne großes Procedere ausgeschlossen werden, ist offensichtlich die Treue zur Parteiführung. Für die Stärkung eines demokratischen Bewusstseins bei den Wählern sind solche Diskrepanzen fatal.

Vom Mitsotakis-Förderer zum Ausgeschlossenen

Der aktuelle Parteiausschluss von Kyrtsos ist ein Paradebeispiel. 2015 gehörte der Journalist und Verleger als EU-Parlamentarier zu den fünfzig Parteimitgliedern, die mit ihrer Unterschrift die Wahl von Mitsotakis zum Parteichef ermöglichten. Im Verlauf der Corona-Pandemie entdeckte er immer öfter Gründe, mahnend Kritik zu üben.

Lange wurde seine Kritik nicht beachtet. So als er der Regierung eine verfehlte Finanzpolitik vorwarf und vor einer neuen Pleite warnte.

Kyrtsos twitterte am 16. Februar:

Um zu verstehen, wo wir sind.
Wir haben etwa das Defizit von 2008,
(9 % des BIP im Jahr 2021 im Vergleich zu 10,4 % nach der Revision im Jahr 2008.)
mit etwa der doppelten Verschuldung.
104 % des BIP Schulden im Jahr 2008
200 % des BIP im Jahr 2021!
Ich kann die Zufriedenheit der Exekutive nicht verstehen.“

Es gab auch keine Reaktion, als Kyrtsos die hohen Todeszahlen der Pandemie anprangerte. Zum Eklat führte in der letzten Woche jedoch ein Tweet von Kyrtsos bezüglich der Justiz im Land und der strafrechtlichen Verfolgung von Journalisten. Im sogenannten Novartis-Skandal um Schmiergelder im Gesundheitswesen hatten noch unter der SYRIZA-Regierung investigative Journalisten eine mutmaßliche Verwicklung von Politikern thematisiert.

Die Staatsanwältin für Korruption (eine in der Finanzkrise geschaffene Stelle) Eleni Touloupaki hatte daraufhin gegen prominente Politiker, die als Amtsträger unmittelbar oder mittelbar mit Entscheidungen im Gesundheitswesen befasst waren, Ermittlungen eingeleitet. Es kam zur Anklage zahlreicher früherer Minister, darunter auch aktuellen Kabinettsmitgliedern.

Der Fall wurde während der Regierungszeit von Mitsotakis zu den Akten gelegt. Der Korruptionsskandal ist nun offiziell ein Skandal ohne Korrumpierte. Nun ermitteln die Strafverfolger ihrerseits gegen diejenigen, welche das Thema an die Öffentlichkeit brachten. Journalisten werden als „Mitglieder einer kriminellen Vereinigung“ und wegen „Beihilfe zum Komplott“ verfolgt, Toulapaki steht ebenfalls unter Anklage.

Kyrtsos twitterte am 18. Februar um 8:13 h:

Die Verfolgung von Journalisten und Touloupaki ist eine Falle für die Regierung Griechenlands.
Die Kontroverse zwischen Brüssel und Ungarn, Polen um die Rechtsstaatlichkeit ist auf dem Höhepunkt.
Der Europäische Gerichtshof hat Kopplung von (EU-)Geldern mit der Achtung von Rechten akzeptiert.
Die Kritik namhafter Medien wie ARTE verhärtet sich.
Der Premier ist ein Zuschauer der Entwicklungen.“

Wenige Stunden später wurde er per Telefon von seinem Parteiausschluss informiert. Er habe das Land im Ausland diskreditiert, so wurde ihm mitgeteilt. Journalistenverbände im Land üben derweil die gleiche Kritik, die Kyrtos in seinem Tweet bündelte.

Der Ausgeschlossene beklagt zudem, dass im staatlichen Rundfunk und in der Regierung nahestehenden Medien über ihn diskutiert wird und er von Kommentatoren verurteilt wird, ohne dass er die Gelegenheit hat, seine Argumente vorzutragen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Im Text erhalten die Leser einen Einblick in die Art und Weise, wie in griechischen Parteien mit Kritikern umgegangen wird. Aktuelle Parteiausschlüsse in Griechenland werden mit den Diskussionen über den Parteiausschluss von prominenten Vertretern aller im Bundestag vertretener Parteien verglichen. Der Vergleich lässt die in Deutschland als langwieriges Procedere geltenden Parteiausschlussverfahren in einem anderen Licht erscheinen.

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