Noch im Juni ließen Washingtons Geheimdienste verlautbaren, dass Kabul in einem Zeitraum von sechs bis zwölf Monaten nach dem Abzug des US-Militärs unter Kontrolle der Taliban geraten könnte.

Wenn man berücksichtigt, dass die Taliban nach dem Abzug der Roten Armee 1989 - die nur zehn Jahre im Land war - immerhin sieben Jahre benötigten, bis sie 1996 Kabul erobern konnten, kommt die Frage auf, weshalb der Einmarsch der Taliban in Kabul schon wenige Wochen nach der Flucht der US-Truppen erwartet wird, nach 20 Jahren US-Militärintervention?

1996, nach der Einnahme Kabuls durch die Steinzeit-Islamisten der Taliban, fiel Nadschibulla, der sowjetische Stadthalter in Kabul, einer blutigen Abrechnung zum Opfer. Wie ein Stück Vieh ließen ihn die Taliban durch die Straßen von Kabul zu Tode schleifen.

Was sind die Gründe für den schnellen Zusammenbruch der afghanischen Armee?

Das Verhältnis zwischen den USA und Afghanistan war oft von Misstrauen geprägt. Von afghanischer Seite wurde die herablassende Attitüde der US-Armee beklagt. Washington fürchtete Taliban-Spitzel in der Armee, die es auch gab und als umgedrehte Soldaten jedoch weit mehr Afghanen als Amerikaner töteten.

Washington hat in den vergangenen 20 Jahren 70 bis 90 Milliarden US-Dollar in die afghanische Armee investiert: Wenn man sich manche Einheiten ansieht, fragt man sich, wo das Geld geblieben ist, schrieb diesbezüglich neulich die "New York Times". Ja, wo ist das Geld denn geblieben? Besser noch hätte die New York Times danach gefragt, wie es angelegt wurde.

Die Privatisierung des Krieges und ihre Folgen am Beispiel Afghanistans 

Nach der Flucht der US-Truppen - von einem geordneten Rückzug kann überhaupt nicht die Rede sein - setzten sich auch die militärischen Subunternehmer und Sicherheitsfirmen ab, für die bis zuletzt 18.000 Mann als moderne Söldner im Einsatz waren. Diese erhielten einen nicht unerheblichen Anteil der Mittel Washingtons, ohne das Know-how an die afghanischen Verbündeten weiterzugeben.

US-Militärexperten haben ein Riesen-Vakuum vorausgesagt, was vor allem bei der Wartung des afghanischen Militärgerätes Folgen haben wird. Dies gilt ebenso für die afghanische Luftwaffe, welche die Überlegenheit über die Taliban zumindest in der Luft garantieren sollte. Diese Lücke wird weiter klaffen, von der Kommunikation über die Versorgungslogik, denn es geht hierbei nicht nur um den Zustand von Waffen und Material.

Die Kommunikation und Versorgungslogik aber lag überwiegend in der Hand des US-Militärs und der Privatunternehmen, was jetzt den Vormarsch der Taliban beschleunigt. Daher ist es auch nicht anzunehmen, dass die afghanische Regierung in der Lage sein wird, neue Verträge mit diesen Firmen abschließen zu können, wenn die rechtlichen Immunitäten für die "Contractors" wegfallen, die sie zuvor im Rahmen der kapitalistischen Logik auf Geheiß Washingtons genießen konnten.

Im Gegenteil, diese Firmen werden für ihre Arbeit in einem Staat, der immer gefährlicher wird, viel mehr Geld verlangen, zitiert NBC einen Experten, was sich Afghanistan natürlich nicht leisten kann – und womit sich dieser Teufelskreis schließt.

In den USA ist Ernüchterung eingekehrt, welche Dick Durbin, ein altgedienter Senator aus Illinois, wie folgt zum Ausdruck brachte. Als er vor 20 Jahren für die Truppenentsendung stimmte, sagte er während einer Debatte in der kleineren der beiden Parlamentskammern, habe er sich nicht träumen lassen, dass man 2021 noch immer militärisch in Afghanistan präsent sei. Amerika, zog er in bitterer Prosa Bilanz, habe dieselbe Lektion gelernt wie zuvor die Briten und die Russen: die Lektion des Scheiterns fremder Mächte.

„Was bedeutet das konkret für mich!?"    

US-Präsident Biden hat unterdessen nichts anderes zu tun als die Afghanen zu Kämpfen aufzufordern, was mehrfach zynisch klingt, da die USA eine große Verantwortung für die Misere tragen und sich die Afghanen schon seit 1979 in einem Dauerkrieg befinden.

Er scheint verzweifelt darum bemüht, die Katastrophe im Nahen und Mittleren Osten von der Verantwortung Washingtons zu entkoppeln, um alle Ressourcen für seine Offensive gegen die Volksrepublik China freizustellen. Für diese steht die politische Führung der Bundesrepublik ebenso willfährig und folgsam in den Startlöchern, wie vor 20 Jahren zu Beginn des "War on Terrors".

Dieses Mal wird unsere Freiheit wohl nicht mehr am Hindukusch verteidigt, sondern auf hoher See, in den Weiten des Indo-Pazifik, wobei der Westen wieder Schiffbruch erleiden wird.

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