Das Pflegepersonal, wie auch die meisten anderen Patienten - damals vor zwei Jahrzehnten in der britischen Hauptstadt - fieberten dem militärischen Aufmarsch entgegen, begrüßten die militärische Intervention am Hindukusch als gerechte Antwort auf die Anschläge von Manhattan einige Wochen zuvor.

Die Tatsache, dass es sich dabei um ein überwiegend von saudischen Staatsbürgern begangenes Attentat handelte, um eine asymmetrische Kriegsführung, nicht um den Angriff Afghanistans auf die USA, war den meisten Zeitgenossen im Westen nicht bewusst. Dies wurde ihnen auch nicht vermittelt, was - neben den Äußerungen der führenden Staatsmänner jener Zeit - natürlich auch an der Medienberichterstattung lag.

Kritiker wurden als Terrorfreunde abgekanzelt, im besten Fall als naive Schwärmer, oder ähnliches. In diesem Zusammenhang sei noch einmal an Peter Scholl-Latour erinnert, der rückblickend so etwas wie ein früher Warner war, wie in dieser Dokumentation aus dem Jahr 2002 zu sehen ist.

"Der längste Krieg"

20 Jahre später, nach der Flucht der westlichen Truppen aus Kabul und der erneuten Machtübernahme der Taliban in Afghanistan, winden sich die Verantwortlichen für das Desaster wie die Aale, was die Erkenntnis aus diesem Scheitern eines großangelegten strategischen Entwurfes angeht. Dabei begann mit der Operation Enduring Freedom am 7. Oktober 2001, der "Krieg gegen den Terror", der bis heute zum längsten Krieg der USA und ihrer Verbündeten geworden ist - ein Krieg der verloren wurde. 

AKK´s Terminwahl stieß auf Ablehnung

Im Rahmen einer sogenannten „Bilanz-Debatte“, welche dieser Tage von Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer angesetzt wurde, sollte die Katastrophe und das totale Scheitern der westlichen Militärmacht am Hindukusch analysiert werden.

Heraus kam dabei nichts, was nicht nur an der inzwischen sprichwörtlichen Inkompetenz der Verteidigungsministerin liegt, sondern auch daran, dass der gewählte Zeitpunkt für diese Debatte auf Ablehnung stieß. Bundesaußenminister Maas und Verteidigungspolitiker von Grünen, FDP, SPD und Union hatten ihre Teilnahme zuvor abgesagt. Sie halten den angesetzten Zeitpunkt der Bilanzdebatte kurz nach der Bundestagswahl für unpassend. Die FDP-Verteidigungspolitikerin Strack-Zimmermann äußerte

"Zwischen dem Tag der Bundestagswahl und der Konstituierung des Parlaments setzt man nicht mal eben eine Debatte auf."

Eine zynische Bilanz

So konnten alle Verantwortlichen den Kopf aus der Schlinge ziehen, von der Hoffnung getragen, diese Tragödie schnell dem Vergessen anheimfallen zu lassen.

Jörg Kronauer kommentierte folgerichtig:

Die Bundeswehr evaluiert sich selbst, und niemand geht hin: Die Berliner Politszene hat sich am Mittwoch einen zynischen Ausflug nach Absurdistan gegönnt. Dabei hätte der Anlass, der Beginn der »Bilanzdebatte« des Verteidigungsministeriums zum Einsatz in Afghanistan, eigentlich besondere Aufmerksamkeit, besondere Sorgfalt verdient: Immerhin geht es um die Frage, was die Streitkräfte der westlichen Mächte, darunter die deutschen, am Hindukusch eigentlich angerichtet haben. 20 Jahre Krieg, Hunderttausende, vielleicht mehr als eine Million Todesopfer, viele Millionen Flüchtlinge, die Wirtschaft verheerend am Boden, die Gesellschaft zerrüttet. Und am Ende die chaotische Evakuierung westlichen Personals, weil die Kräfte, die man vor zwei Jahrzehnten im Gestus kolonialer Überlegenheit vertrieben hatte, die Macht blitzartig wieder an sich reißen konnten: Krachender und vor allem für die einheimische Bevölkerung verhängnisvoller kann eine Niederlage kaum ausfallen. Keine Frage: Eine schonungslose Aufarbeitung dessen, was da verbrochen wurde, ist nötiger denn je.“

"Eigenlob statt Selbstkritik"

So lobten sich die Verteidigungsministerin und ihre Entourage am Mittwoch selbst, redeten den 20-jährigen Kriegsverlauf rosig, verweigerten eine schonungslose Analyse, verdrängten die eigene Antwort, ließen kritische Stimmen ungehört.

Auf welchen hohen moralischen Ebenen diese Debatte geführt wurde, wurde schon daran deutlich, dass zunächst die finanziellen Aspekte im Vordergrund standen, nicht aber die Verluste an Menschenleben auf allen Seiten, deren Zahl in die Zehntausende geht. Aber auch der finanzielle Aspekt wurde rosig gerechnet, als ob ein Milchmädchen die Bilanz erstellt hätte.

Nach Angaben der Bundeswehr belaufen sich die Kosten für den verlorenen, zwei Jahrzehnte andauernden, Krieg auf 17,3 Milliarden Euro, eine Zahl die von Experten als viel zu niedrig bewertet wird. Legt man die Studie der Brown University zugrunde, wird deutlich, dass die Bundeswehrzahlen nicht stimmen können, wenn man von unfrisierten Bilanzen ausgeht.

Demnach liegen die Gesamtkosten des deutschen Einsatzes in Afghanistan schätzungsweise zwischen 43 und 51 Milliarden Euro.

Was nun die Folgen des Einsatzes für Afghanistan selbst angeht, empfiehlt sich die Lektüre des neu erschienen Buches von Emran Feroz "Der längste Krieg/20 Jahre War on Terror", welches kürzlich im Westend-Verlag erschienen ist.

„Was bedeutet das konkret für mich!?"

Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte die "Bilanzdebatte zum Afghanistaneinsatz" durchgeboxt, wohl wissend, dass die amtierende Bundesregierung und mutmaßlich auch sie selbst nicht mehr lange im Amt sein wird. Möglicherweise hatte AKK das Datum gewählt, um die Diskussion im Schatten der innenpolitischen Debatte durchzuwinken, um sich später unangenehmen Fragen entziehen zu können.

Wie dem auch sei. Leider bietet die sich anbahnende Ampel-Koalition auf Bundesebene keine Entwarnung bezüglich der außenpolitischen Abgründe, auf die sich der Westen und damit die Bundesrepublik zubewegen - im Gegenteil, die Bellizisten, gerade bei Grünen und FDP, stehen schon Gewehr bei Fuß, um die neuen NATO-Marschbefehle, diesmal in Richtung Indopazifik, endlich umsetzen zu dürfen. 

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