Die Europawahlen

In Deutschland hatte die Partei - mit Yanis Varoufakis als Zugpferd - versucht, ein Abgeordnetenmandat zu gewinnen, bekam jedoch nur 130.072 Stimmen, somit 0,3 Prozent und scheiterte. Varoufakis hatte sich eigens dafür einen deutschen Wohnsitz zugelegt, wollte aber bei einer erfolgreichen Wahl sofort von seinem Abgeordnetenmandat zurücktreten. In Griechenland trat die Partei unter dem Namen MeRA25, Front des realistischen europäischen Ungehorsams, an. Ebenso wie das lateinische „diem“ deutet die Abkürzung „mera“ auf das Wort „Tag“ hin.

Die Auszählung der Stimmen in Griechenland war ein Thriller. Bis zum 29. Mai war nicht klar, ob Varoufakis Partei nicht doch noch ein Mandat gewann. Am Ende reichten die 169.293 Stimmen, welche die Wähler in Griechenland der Partei gaben, nicht. Es waren 2,99 Prozent, womit die Sperrklausel von drei Prozent denkbar knapp verpasst wurde. Es ist bemerkenswert, dass die Dynamik der Partei erst in den letzten Wochen in Umfragen erfasst wurde. Noch zwei Monate vor der Wahl lag der Wählerzuspruch in der Größenordnung von weniger als einem Prozent.

Der Ausgang der Europawahlen, welche dem amtierenden Premierminister Alexis Tsipras eine empfindliche Niederlage bescherte, löste vorgezogene Neuwahlen für den 7. Juli aus. Varoufakis‘ Partei hat plötzlich Chancen, ihren Schwung zu nutzen und ins nationale Parlament zu kommen.

Varoufakis politische Ausrichtung

Die Griechen fragen sich nun, für welche politische Ausrichtung der frühere Finanzminister von Alexis Tsipras wirklich steht.

Zu Beginn der Bewegung gehörte die Vorsitzende von Die Linke, Katja Kipping, zu den Mitgliedern der Bewegung. Sie schrieb am 30. Juni 2016 einen Aufruf auf Facebook:

„Die europaweite Initiative DiEM25 (Bewegung für ein demokratisches Europa) war in den letzten Monaten in vielen Projekten aktiv: sie haben sich für ein "Stay In" in Großbritannien engagiert. Nun, da GB sich für den Brexit entschieden hat, sind sie sich einig, die Kritik an den EU-Eliten verstärkt voranzutreiben. Sie haben sich im Wahlkampf in Spanien für Unidos Podemos engagiert und Versammlungen zum 4. Jahrestages von Julian Assanges politischem Asyl in der ecuadorianischen Botschaft organisiert. Die Bewegung wird größer - und sie ist notwendig. Ein demokratisches Europa kann nur international erkämpft werden. Bereits über 23.000 Menschen aus 56 Ländern sind DiEM25 beigetreten - und du?“.

Zu jener Zeit wurden von der Linken in Deutschland auch Fanartikel für Varoufakis vertrieben. Bereits 2017 deutete sich an, dass es zum Bruch kommen musste, weil Varoufakis mit seiner Partei europaweit - und damit auch in Deutschland - in Konkurrenz zur Die Linke antreten wollte.

Immer noch hat Varoufakis mit Brian Eno, Noam Chomsky, Pamela Anderson, Toni Negri, Julian Assange, Naomi Klein und Srecko Horvat prominente Unterstützer an seiner Seite, welche die öffentliche Wirkung der Abkehr linker Parteien wie Podemos und Die Linke überdecken. Immer noch gilt Varoufakis vielen als Ikone der Linken. Doch ist er das wirklich?

Neoliberale Positionen und fragwürdige Einstellung gegen den Antisemitismus

Kann ein linker Politiker einen erklärten Neoliberalen auf seine Kandidatenliste setzen? Varoufakis prägte während der Verhandlungen Griechenlands mit der Eurogruppe im ersten Halbjahr 2015 den Terminus „kreative Unklarheiten“, wann immer er eine seiner Positionen oder aber eine seiner Unterschriften nicht direkt im Zusammenhang mit der vertretenen Politik erklären konnte. Auf Platz vier der Kandidaten für die Landesliste der Partei findet sich mit Takis Michas ein Journalist, dessen politische Positionen alles andere als unklar sind. Michas ist eingeschworener Neoliberaler.

Er war früher Mitglied der Zentralen Kommission der neoliberalen Partei Drasi und trat bei Wahlen für diese an. Zu seinem politischen Credo zählen sechs Punkte, welche Michas in seinem Kurzporträt zur Kandidatur hervorhob. So steht er für einen extrem schlanken Staat, der nur die Aufgaben wahrnimmt, die nicht von privaten Anbietern bedient werden können. Schulen und Krankenhäuser sollen privatisiert werden, Bürger sollen in diesem Modell nur Gutscheine für die Leistung erhalten.

Bürger sollen nur für diejenigen staatlichen Leistungen Steuern zahlen, die sie auch nutzen können. Städte und Gemeinden sollen, gemäß Michas, wie Unternehmen in einen Konkurrenzkampf gegeneinander antreten. Damit werden jegliche Solidarität der Städte im Staatssystem, sowie jeglicher Finanzausgleich aufgehoben.

Problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang insbesondere für Griechenland die Position von Michas, dass Schulen und Krankenhäuser, welche nicht wirtschaftlich mit Gewinn betrieben werden können, schließen müssen. Denn dies würde auf den dünn besiedelten griechischen Grenzinseln die Versorgung der Bevölkerung unmöglich machen.

Michas geht in seinem Buch „Griechenland und der Euro. Die liberale Ansicht“ sogar so weit, jegliche Hilfe der Euro-Staaten untereinander - und damit auch die Rettungskredite - zu verteufeln. Er will für finanziell gescheiterte Staaten keinerlei Gnade walten lassen. Diese politisch durchaus nachvollziehbare Position steht jedoch in diametralem Gegensatz zu den Zielen, für welche Varoufakis Bewegung europaweit antritt.

Aus einem Artikel von Michas zum Existenzrecht Israels, Eleftherotypia – 23.12.2002, Titel „Antizionismus ist kein Antisemitismus“, geht hervor, dass er dieses grundsätzlich durchaus in Zweifel zieht. Er wirft in einem weiteren Artikel, 07.02.2009 im Blog e-rooster.gr, die Frage auf, ob die Juden nicht selbst zum Antisemitismus beitragen würden, weil sie seiner Ansicht nach den Holocaust „verheiligen“ würden. Dabei nimmt er erneut die These auf, dass die Existenz des Staats Israel zum Antisemitismus beitragen würde. Schließlich stellt Michas einen Zusammenhang zwischen den in Europa lebenden Moslems und dem wachsenden Antisemitismus her. Ungeachtet einer Wertung von Michas Ansichten, ist eine Diskrepanz zu von Varoufakis ansonsten vertretenden Thesen gegen jeglichen Rassismus unübersehbar. Allerdings stimmen Michas Äußerungen durchaus mit denen überein, die vor beinahe zwanzig Jahren Varoufakis den Kommentatorenjob bei einer Radiostation in Australien kosteten. Seinerzeit ließ sich auch Varoufakis zu Statements hinreißen, welche das Existenzrecht Israels in Zweifel zogen.

Die Präsentation von Michas als Kandidaten löste in Griechenland eine öffentliche Diskussion aus. Varoufakis beteiligte sich daran mit zahlreichen Tweets bei Twitter. Er verteidigte seinen Kandidaten, stellte jedoch in einer „kreativen Unklarheit“ nicht klar, wie er dessen Positionen wirklich bewertet.

Schließlich kommt der Landesliste der Parteien in Griechenland eine besondere Bedeutung zu. Über diese werden 12 Sitze im Parlament vergeben. Die übrigen 288 werden in ihren Wahlkreisen direkt gewählt. Das Wahlrecht sieht vor, dass Parteien, die in den Wahlkreisen keine Direktkandidaten gewinnen, aber die Sperrklausel überwinden, in den Wahlkreisen mit den höchsten Ergebnissen einen Parlamentsplatz erringen. Darüber hinaus werden bei den Wahlen am 7. Juli 2019 insgesamt 50 Bonussitze an die stimmstärkste Partei verteilt. Im Wahlkampf hat die landesweite Liste für die dort verzeichneten Kandidaten den Vorteil, dass sie hinsichtlich ihrer Medienpräzens keinerlei Einschränkungen unterliegen. Die Kandidaten in den Wahlkreisen dürfen während des Wahlkampfs in jedem Medium nur zweimal auftreten, die Landeslistenkandidaten hingegen sind als Joker berechtigt, die Positionen ihrer Partei ohne Begrenzung zu vertreten. Ein Landeslistenkandidat, -mitsamt seinen Positionen - ist somit Teil des Wahlprogramms jeder Partei.

In seiner persönlichen Webpräsenz verteidigt Varoufakis Michas als Mitbegründer der Partei MeRA25/DiEM25. Er sieht in seiner Partei ein Sammelbecken für Linke, Ökologen, Feministen und Liberale. Bei Michas diagnostiziert Varoufakis einen antisystemischen Liberalismus. Sich selbst hat Varoufakis 2015 als liberalen Kommunisten bezeichnet.

Ein weiterer, von Michas schriftlich niedergelegter Standpunkt, zeigt ein durchaus kontroverses Verhältnis zu linker Politik. Am 14. Juli 2013 bei Protagon.gr, warf Michas den Linken vor, sie würden als „Nationalbolschewiken“ übermäßigen Druck auf die Geisteswissenschaften ausüben. Dies würde die von Journalisten benutzte Sprache nachhaltig beeinflussen und hätte eine direkte negative Auswirkung auf die Demokratie. Im gleichen Artikel pocht Michas darauf, dass die im Neonazismus angesiedelte Partei Goldene Morgenröte auf Griechisch „ethnikososialistiki“ (sic!) (nationalsozialistisch) zu bewerten sei, weil es Michas Ansicht nach keine Nazis außerhalb von Deutschland gibt.

Es ist bemerkenswert, dass Michas, der seine steile These mit der „linguistischen“ Liebe zur griechischen Sprache begründet, keinen Widerspruch darin sieht, vollkommen ungriechische Wörter wie Bolschewismus und Sozialismus zu verwenden. Schließlich nutzt Michas seinen Artikel für die Gelegenheit, im gemeinsamen Wortstamm des Sozialismus den Nationalsozialismus mit sämtlichen übrigen für Soziales und Sozialismus einstehenden Bewegungen in einen Topf zu werfen. Anarchismus als Ideologie ist für Michas nicht existent. Sämtliche Anarchisten, somit auch die Theoretiker der Bewegung, sieht Michas als Hooligans. Im Übrigen tritt Michas für einen Waffenbesitz der Bürger „zur Selbstverteidigung“ ein.

Wer bis dato den Widerspruch in Michas Kandidatur noch nicht entdeckt hat, wird sich über dessen Einstellung zur Frage der griechischen Kriegsreparationen und zur Rückzahlung des Zwangskredits der deutschen Besatzungstruppen wundern.

Michas: kein Anspruch auf Kriegsreparationen

Michas griff in einem Artikel vom 21. Mai 2013 das Thema der Kriegsreparationen auf. Er verglich die griechischen Ansprüche gegen Deutschland mit der Begründung des zweiten Golfkriegs der USA. Ebenso wie damals die US-Amerikanische Öffentlichkeit seien die Griechen einer kollektiven Verblendung erlegen, welche sie zur - Michas Meinung nach - riskanten Forderung gegen Deutschland motivieren würde. Er wirft allen griechischen Parteien vor, diese würden in einer kollektiven Verblendung geltendes Recht übersehen. Von der „neonazistischen Goldenen Morgenröte“ (sic) über die „Anarchostalinisten von SYRIZA“, den „Konservativen der Nea Dimokratia“ bis zu den „Kommunisten der KKE“ und den „Sozialdemokraten der PASOK“ sieht er überall, parteiübergreifend, nur „Griechen“.

Welches das ist, dafür könnte sich die Bundesrepublik Deutschland interessieren, welche vor Wochenfrist eine offizielle diplomatische Anfrage von Tsipras Regierung zur Verhandlung über die Kriegsreparationen und den Zwangskredit erhalten hat. Hinsichtlich der Reparationen schließt sich Michas der auch vom früheren deutschen Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble vertretenen These, dass diese bereits durch Wirtschaftstransfers abgegolten seien, vorbehaltlos an.

Im Zusammenhang mit dem Zwangskredit argumentiert Michas, dass eine während der Besatzungszeit erlassene gesetzliche Regelung zur Währungsreform, allgemein als „Svolos Gesetz“ bekannt, den seinerzeit in Drachmen kassierten Zwangskredit entwertet habe. Das Svolos Gesetz hatte eine neue Drachme mit 50 Milliarden inflationären Drachmen gleichgesetzt. Die Akzeptanz der Drachme als Zahlungsmittel durch die erste Regierung nach der Besetzung des Landes hat Michas Logik gemäß das Gesetz manifestiert. Weil es seinerzeit keinerlei Ausnahmeregelung für die Geldentwertung gab, diagnostiziert Michas eine effektive Schuldenstreichung für alle, somit auch für die Besatzer.

Die weiteren Kandidaten

Unter den übrigen Kandidaten, die für Varoufakis in den Wahlkreisen antreten, zählt auch seine Frau Danai Stratou. Die bildende Künstlerin war bereits bei den Europawahlen für MeRA25 angetreten. Darauf angesprochen, dass es doch eigentlich Varoufakis ureigener These, dass Familienwirtschaft das Land ruiniert hat, widerspreche, winkte der Wirtschaftsprofessor ab. Seine Frau habe ihn bei allen Stationen des gemeinsamen Lebens begleitet, meinte er.

Zu den Kandidaten zählt ebenfalls der frühere PASOK-EU-Parlamentarier Kriton Arsenis, der zu den Protegés des Vorsitzenden der Sozialistischen Internationalen, des früheren PASOK-Premiers Giorgos Papandreou zählte.

Die bei den Europawahlen letztlich gescheiterte Sofia Sakorafa ist ebenfalls in einem Wahlkreis auf Stimmenfang. Auch Sakorafa gehört zu denjenigen, die Sympathie für die Hamas und scharfe Kritik an Israel geleistet haben.

Zudem stellt Varoufakis mit Paola Revenioti eine Aktivistin der Transsexuellenbewegung auf. Revenioti ist in der LGBTQ+ Community nicht unumstritten. Einem offen transsexuellem Kandidaten für das Regionalparlament Attikas hatte sie vorgeworfen, er würde sich nur vor den Karren der Politik spannen lassen, um unter den homosexuellen Wählern Stimmen zu fischen. Revenioti verfluchte über soziale Netzwerke die Wähler der konservativen Nea Dimokratia, denen sie ewige Impotenz beziehungsweise Spinnenweben in den weiblichen Geschlechtsorganen wünschte.

Kurz, die Kandidatenliste von Varoufakis besteht aus einer hinsichtlich der politischen Ideologie bunt zusammengewürfelten Truppe. Eine klare politische Linie ist nicht erkennbar. Es ist die für Varoufakis typische „kreative Unklarheit“. Unklar bleibt auch die Koalitionsaussage von Varoufakis. Einerseits äußerte er in einem Interview, dass er weder eine Koalition mit der Nea Dimokratia, noch eine mit Tsipras ausschließen würde. Andererseits bezeichnete er eine Stimme für seinen früheren Parteifreund und Premierminister Tsipras als verlorene Stimme.

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