„Welt ohne Bargeld“ ist der ominöse Name des Projekts des Büros für Technikfolgenabschätzung des Bundestags (TAB). Er kommt ganz ohne Fragezeichen aus, ganz so, als sollte eine ohnehin unabwendbare bargeldlose Zukunft näher beleuchtet und dann gestaltet werden.

 

Bundestagsbüro für Technikfolgenabschätzung klingt vertrauenerweckend, ähnlich wie „Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags“. Es ist aber etwas ganz anderes. Das Parlament hat die Aufgabe ausgelagert an eine Tochter der Forschungsuniversität Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Seit 2013 kooperiert das KIT beim Betrieb des TAB mit dem gemeinnützigen Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung und mit der VDI/VDE-IT

VDI/VDE-IT wiederum ist eine gemeinsame IT-Politikberatungstochter von Verein Deutscher Ingenieure (VDI) und VDE Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik, einem Verein, dem Unternehmen und Beschäftigte aus der Branche, sowie Hochschulen angehören. Er ist aktiv bei der Normierung und Produktprüfung und natürlich (oft indirekt) auch bei der Interessenvertretung für die Branche. (Der Lobbycharakter wird gern bestritten. Damit habe ich mich in einem früheren Beitrag unter der Zwischenüberschrift „Eingebettete Lobbyisten“ auseinandergesetzt .)

Die IT-Branche ist also maßgeblich beteiligt, wenn der Bundestag sich von „seinen“ Experten Technikfolgen abschätzen lässt, um kluge Entscheidungen zu treffen.

Beim Projekt „Welt ohne Bargeld“ war das, wie der Titel schon erahnen lässt, in besonderem Maße der Fall. Der Vorschlag kam nicht vom Parlament, sondern 2017 von TAB. Man darf aufgrund der Thematik vermuten, dass VDI/VDE-IT dabei maßgeblich war. Der zuständige Ausschuss des Bundestags beauftragte dann VDI/VDE-IT damit, das Projekt zu konzipieren, einschließlich der Expertenauswahl, eine kurze Zwischenstudie zu erstellen, auf dieser Basis ein öffentliches Fachgespräch zu organisieren und eine Abschlussstudie zu liefern.

Wie einseitig die Expertenauswahl und Konzeption war und wie bargeldfeindlich das öffentliche Fachgespräch ausfiel, habe ich in  früheren Beiträgen beschrieben. Nun also ist die Abschlussstudie „Welt ohne Bargeld – Veränderungen der klassischen Banken- und Bezahlsysteme“ öffentlich, von der die Hauptautorin Simone Ehrenberg-Silies von VDI/VDE-IT versprach, sie werde ausgewogen die Vor- und Nachteile von Bargeld und digitalen Bezahllösungen darstellen.

Von wegen ausgewogen

Beginnen wir mit der Zusammenfassung. Sie enthält drei Sätze, mit denen die Autorinnen und Autoren sich vorneweg als mindestens neutrale, wenn nicht gar bargeldfreundliche Experten präsentieren.

Gegenüber unbaren Zahlungsmitteln bildet Bargeld ein wichtiges Korrektiv im Zahlungsverkehr. Kein unbares Zahlungsmittel erreicht ein vergleichbar hohes Inklusionsniveau und Schutzniveau der Privatsphäre. Durch Wertaufbewahrung in Bargeld können Verbraucher/innen Negativzinsen vermeiden.“

Das Problem nur. Diese drei sind die einzigen Sätze zu den Vorteilen von Bargeld. Danach wird auf mehr als fünffacher Länge ausgewalzt, was die Nachteile des Bargelds seien. (Im Hauptteil der Studie beträgt das Textverhältnis zweieindrittel zu fünfeinhalb Seiten.) Dabei werden selbst große Vorteile wie die Kostenlosigkeit für die Nutzer ins Negative gewendet, indem betont wird, die Kosten der Bargeldversorgung und des Handlings hätte die Allgemeinheit zu tragen. Andere „Nachteile“ sind Petitessen im Vergleich zu den oben genannten Vorteilen, werden aber dennoch viel breiter dargelegt. Dazu gehört etwa, dass der Gebrauch von Bargeld eine gewisse Planung erfordere, um genug davon parat zu haben, und dass man, um Bargeld abheben zu können, ein Girokonto braucht. Oder dass man bei Barzahlung keinen Kaufbelag hat, wenn man seinen Kaufbeleg verloren oder nicht bekommen hat.

Danach kommt das digitale Bezahlen an die Reihe. Hier wird die Frage der Kosten einfach unter den Tisch gekehrt. Eine klare Trennung in Vorteile und Nachteile findet gar nicht erst statt (im Hauptteil auch nicht.) Vielmehr wird der Hauptnachteil des digitalen Bezahlens, nicht als Ausspähproblem benannt. Dieses besteht darin, dass dadurch unser Bankkonto zum dauerhaft gespeicherten, detaillierten Logbuch unseres Lebens wird, in das viele Behörden offen oder heimlich hineinschauen dürfen. Es besteht auch darin, dass die beteiligten Zahlungsdienstleister viele Informationen über uns bekommen, die sie auswerten, nutzen und verkaufen. Von beidem bekommen Leser des Berichts kaum eine Ahnung.

Stattdessen wird das, was bei den Vorteilen des Bargelds lapidar mit einem hohen „Schutzniveau der Privatsphäre“ abgehandelt wird, in positiver Wendung über den unterschiedlich guten Datenschutz verschiedener Varianten digitalen Bezahlens abgehandelt. Dabei wird gleich noch auf irreführende Weise Datensicherheit mit Schutz der Privatsphäre vermengt. Das erweckt den Eindruck als gäbe es ein Kontinuum von Datenschutz und Datensicherheit, bei dem die besseren digitalen Varianten vielleicht nur wenig schlechter abschneiden als Bargeld, und nicht etwa einen großen Abstand zwischen Bargeld und allen digitalen Varianten.

Den vorletzten Absatz der Studie will ich zitieren, damit Sie sich ein Bild vom Tonfall des Werks machen können. Er liest sich für mich wie aus einem Werbeprospekt der Digitalzahlungsbranche:

Durch das in der Coronapandemie notwendig gewordene Social Distancing haben Menschen in allen möglichen Lebensbereichen neue digitale Funktionen ausprobiert, um ihre alltäglichen Aktivitäten aufrecht erhalten zu können. Auch im Zahlungsverkehr fand diese Exposition gegenüber neuartigen Zahlungslösungen statt, hier vor allem das kontaktlose Bezahlen mit Karte, Smartphone oder Smartwatch. In Zukunft entscheidet vor allem die Bequemlichkeit über die Wahl des Zahlungsmittels durch die Nutzer/innen. Durch die Exposition gegenüber neuartigen Zahlungsmitteln ist vielen Verbraucher/innen bewusst geworden, dass digitale Zahlungsarten mit zahlreichen Zusatzfunktionen (z. B. Ausgabenanalyse) kombinierbar sind, die ihnen einen unmittelbaren Mehrwert liefern. Die Neugierde und der Wunsch, Neues auszuprobieren, sowie eine gewisse Offenheit gegenüber digitalen Neuerungen werden auch über die Coronapandemie hinaus erhalten bleiben. Da in Zukunft ein einheitliches Bezahlsystem für sämtliche Bezahlkanäle der Deutschen Kreditwirtschaft sowie ein europäisches Kartensystem nach europäischen Datenschutzstandards angeboten werden, ist es vorstellbar, dass Verbraucher/innen ihre datenschutzrechtlichen Vorbehalte gegenüber unbaren Zahlungsmitteln eher ablegen und weiterhin dem Bargeld den Rücken kehren. Nimmt man für die nächsten zehn Jahre spekulativ einen Bargeldrückgang von 3% pro Jahr an, werden im Jahr 2030 allerdings immer noch 30% aller Transaktionen in bar beglichen.“

Das war das zweite von zwei Zukunftsszenarien. Das erste ist, dass Bargeld nur langsam verschwindet.

Im letzten Absatz gibt es dann auch noch eine Empfehlung. Kurz bevor das Bargeld dann ganz verschwindet, möge die Politik darüber nachdenken, ein Minimalniveau der Bargeldversorgung und -nutzbarkeit gesetzlich zu sichern.

Auslassungen und unterschwellige Botschaften

Mir fiel keine Aussage auf, die falsch wäre. Und doch ist das Pamphlet durch Auslassungen, Gewichtung und Tenor hochgradig manipulativ. Es wird durchgängig so getan, als ob Bargeld einfach an Bedeutung verliere, weil es unmodern und unpraktisch ist. Nichts davon, dass die Kreditkartenunternehmen und Banken während der Corona-Pandemie eine massive Kampagne gefahren haben, und zum Teil sogar noch fahren, um Bargeld faktenwidrig als schmutzig, virenverseucht und gefährlich darzustellen.

Nichts davon, dass es eine Better Than Cash Alliance (Besser-als-Bargeld-Allianz) von IT- und Finanzbranche gibt, die mit Unterstützung der G-20 und deren internationalen Regulierungsgremien weltweit an der Zurückdrängung des Bargelds arbeitet, und dass die Bundesregierung eine der Hauptsponsorinnen ist. Nichts davon, dass durch staatliche Regulierungen Bargeld immer mehr benachteiligt, digitales Bezahlen begünstigt wird, wie zuletzt etwa durch das belgische Gesetz, das allen kommerziellen Zahlungsempfängern vorschreibt, digitales Bezahlen zu ermöglichen, und zwar ohne Zusatzkosten. Dasselbe in Italien. Nichts davon, wie Bargeldnutzung immer mehr kriminalisiert wird und der Umgang mit Bargeld – zum Beispiel für Banken – immer aufwendiger gemacht wird, bis hinunter zu immer kleineren Beträgen. Nichts davon, dass Sparkassengesetze diesen vorschreiben, die Bargeldlosigkeit zu fördern, was sie auch mit besonderem Eifer tun.

Nichts davon, dass Banken und vor allem Kreditkartenfirmen Museen, Restaurants und Veranstalter dafür bezahlen, Barzahlung auszuschließen. Die Informationen dazu sind ziemlich leicht zugänglich, nicht zuletzt auf diesem Blog.

Gefährlich ist die totale Überwachbarkeit digitalen Bezahlens nur in autoritären Systemen wie China oder Russland, insbesondere für Oppositionelle. Nichts davon, dass die Behörden in Deutschland jährlich bereits millionenfach auf Bankkontendaten zugreifen. Nichts davon, dass vermeintlich vorbildliche liberale Demokratien wie Kanada mal schnell den Notstand ausrufen, wenn Lastwagenfahrer protestieren, und allen Beteiligten und sogar den Unterstützern massenhaft und ohne Gerichtsbeschluss die Bankkonten sperren lassen.

Die unterschwelligen Botschaften, die verbreitet werden lauten:

  • Die Deutschen hängen am Bargeld, weil sie altmodisch und technikfeindlich sind.

  • Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie lernen, das digitales Bezahlen besser und bequemer ist.

  • Bargeld wird also nicht verdrängt, sondern verschwindet von selbst.

  • Die Gebühren der Zahlungsdienstleister sind nicht der Rede wert (die der Bargeldbearbeiter schon).

  • Privatsphäre (Freiheit von totaler Überwachung) ist ein Aspekt unter ganz vielen und in vorbildlichen Demokratien wie unseren kein besonders wichtiger.

  • Es besteht noch lange kein Handlungsbedarf zur Sicherung der Bargeldnutzbarkeit.

Was wir tun können

Ich habe mir vorgenommen, Sie nicht mehr (so oft) mit den unerfreulichen Nachrichten alleinzulassen, die ich meistens zu verkünden habe. Denn ich werde oft gebeten, mehr Hinweise zu geben, was man tun kann. Bisher habe ich ohne viel Überzeugung versucht, diesen Bitten mit Hinweisen auf Handlungsmöglichkeiten wie ‚zahlen Sie bar‘ und ’schreiben Sie an Abgeordnete‘ nachzukommen.

Nichts ist falsch daran, tun Sie das gern weiter. Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass wir darüber etwas anderes nicht vernachlässigen dürfen, was tiefer geht und wichtiger ist.

Die Kampagne zur Bargeldbeseitigung in die ich dieses Projekt zur Beeinflussung der Parlamentarier einordne, gehört zu einer umfassenderen Kampagne zur Überwachung, Kontrolle und Lenkung der Bevölkerung. Diese Kampagne läuft erkennbar immer heißer. Das ist ein fast untrügliches Zeichen, dass die Regierenden und die Mächtigen im Hintergrund, wie Weltwirtschaftsforum und Co., sich ihrer Macht immer weniger gewiss sind. Sie haben begründete Angst vor dem drohenden Machtverlust. Denn das System, das sie verwalten ist am Zerfallen und immer mehr Menschen fangen an, bohrende Fragen zu stellen.

So mächtig die Strippenzieher im internationalen und nationalen Raum noch erscheinen mögen, sie sind ohnmächtig, wenn nicht die große Mehrheit der Bevölkerung das System, das sie verwalten, mitträgt, und deshalb den darin gesetzten Anreizen und Restriktionen folgt.

Wenn wir also etwas tun wollen, dann fragen wir uns selbst wohlwollend aber ehrlich, inwieweit und warum wir dieses System mittragen und den gesetzten Impulsen folgen. Warum kaufen wir, was wir kaufen? Welche Bedürfnisse erfüllt oder ersetzt das? Warum arbeiten wir? Weil wir unsere Arbeit mögen und wichtig finden, oder um uns diese Dinge kaufen zu können? Ist es das in jedem Fall wert? Warum bezahlen wir digital? Weil es bequem ist, oder weil wir es genießen der von unserem Wirtschaftssystem geschaffenen künstlichen Knappheit an allem Wichtigen mit einer Sesam-öffne-dich-Karte zeitweise (scheinbar) zu entkommen? Das sind nur beispielhafte Fragen.

Wenn man tief genug forscht, werden die meisten von uns feststellen, dass sie in einem mehr oder weniger großen Ausmaß Stützen der Macht derer sind, die uns mit immer drastischeren Methoden unter ihrer Kontrolle halten wollen. Der Weg, das zu reduzieren, oder gar abzustellen, geht mehr über die Erkenntnis als über gute Vorsätze. Je klarer wir uns über unsere Rolle im System werden, desto mehr wird das unser Handeln bestimmen und auf andere abstrahlen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Norbert Häring. Vielen Dank für die Erlaubnis ihn übernehmen zu dürfen!

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