Neben der Russischen Föderation ist längst auch wieder die Volksrepublik China zu einem echten Machtfaktor avanciert. Resultat ist, dass sich eine multipolare Welt ausgebildet hat, in der sich die staatspolitischen Interessen Amerikas immer häufiger mit jenen Interessen Chinas und Russland zu kreuzen drohen.

Innenpolitisches Chaos und außenpolitische Überdehnung

In Washington scheint zum aktuellen Zeitpunkt jedoch augenscheinlich nach wie vor die Überzeugung vorzuherrschen, im Rest der Welt nach eigenem Gutdünken schalten und walten zu können, ohne wahrnehmen zu wollen, sich in einem innenpolitischen Chaos zu befinden, das sich mit jeder verstreichenden Woche zu intensivieren droht.

Innenpolitisch einem sich verhärtenden Kampf zwischen „blauen“ und „roten“ Bundesstaaten sowie der Washingtoner Bundesregierung ins Auge blickend, zeichnet sich überdies ab, dass sich Amerika außenpolitisch an vielerlei Fronten gleichzeitig ins Getümmel stürzt.

Dabei hatte es sich über das vergangene Jahrzehnt bereits abgezeichnet, dass die Vereinigten Staaten aufgrund einer an der eigenen Substanz zehrenden Überdehnung ihrer formulierten und betriebenen Hegemonialansprüche auszubluten drohen, was sich unter anderem auch an einer sich deutlich intensivierenden Nutzung der elektronischen Gelddruckerpresse ablesen lässt.

Die Konfliktherde mehren sich aus außenpolitischer Sicht – und überall ist Amerika ganz vorne mit von der Partie. Egal ob in Syrien, dem Irak, dem Jemen, mit Blick auf den Iran, Libyen, Taiwan, die Ukraine und eine Reihe von anderen afrikanischen Konfliktherden, hat sich die US-Regierung in eine Situation hineinmanövriert, in der – wie im Fall der Ukraine oder Taiwans – gar verbale Garantien gegenüber diesen Staatsregierungen abgegeben wurden.

Würden die USA in den Krieg ziehen, um der Ukraine oder Taiwan „beizustehen“?

Werden die Vereinigten Staaten dazu bereit sein, in einen Krieg zum territorialen Erhalt der Ukraine zu ziehen, falls sich die an der Ost- und Südostflanke des osteuropäischen Landes zusammengezogenen Truppen der Russischen Föderation ab einem bestimmten Zeitpunkt tatsächlich einen Einmarschbefehl in die benachbarte Ukraine erhalten sollten?

Würde dies auch auf die Inselrepublik Taiwan zutreffen, falls die Volksrepublik China die Zeit für gekommen halten sollte, um das Eiland „Heim ins Reich der Mitte“ zu holen? Der Grandseigneur der amerikanischen Außenpolitik, Henry Kissinger, hat zu diesen Aspekten seine eigenen Ansichten.

Kissinger mahnt: Ausgleich der Mächte wichtiger denn je

Henry Kissinger ließ es sich nicht nehmen, die Washingtoner Regierung vor Kurzem explizit vor den aktuellen Entwicklungen auf der Welt zu warnen. Danach blickten die Vereinigten Staaten nur noch zwei sich bietenden Alternativen ins Auge, die da lauteten: Entweder zeigt sich Washington dazu bereit, Akzeptanz für die Ausbildung einer neuen Globalarchitektur an den Tag zu legen, um sich zu einer solchen Entwicklung auch entsprechend verbindlich zu unterwerfen.

Alternativ bliebe den USA nur das Verbleiben auf dem aktuell eingeschlagenen Pfad offen, der damit einherginge, die politischen Spannungen auf der Welt weiter zu forcieren. Die Folge aus einem Verbleib auf diesem Pfad würde laut Kissinger wie folgt aussehen: Global betrachtet entstünde dann eine Situation, die an jene Zeit kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs erinnern würde.

Diese Aussagen tätigte Kissinger im Rahmen eines jüngst abgehaltenen und durch Chatham House organisierten Webinars, an dem unter anderem auch der ehemalige Außenminister des Vereinten Königreichs, Jeremy Hunt, teilnahm. Es ginge aus aktueller Sicht mehr als jemals zuvor darum, einen Ausgleich zwischen den Mächten dieser Erde herzustellen, so Kissinger.

Zustand mit der Zeit vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu vergleichen

Sollte sich die Welt dem System eines endlosen und gnadenlosen Wettbewerbs unterwerfen, in dessen Zuge sich die Nationen dieser Erde an der zeitweise jeweils dominanten Großmacht ausrichteten, so Kissinger, ließe sich der Zusammenbruch der bestehenden Weltordnung nicht mehr verhindern.

Die aus einem solchen Zusammenbruch resultierenden Konsequenzen würden laut Kissinger furchtbar sein und sich aus Sicht der Menschheit als Katastrophe erweisen. An die Adresse der US-Regierung gerichtet, warnte Kissinger davor, dass es nicht auf jede Entwicklung eine adäquate und finale Antwort gäbe.

Solange es hierüber keine Verständigung mit der Volksrepublik China gäbe, werde sich unser Planet in demselben Zustand befinden wie vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.

Immer wieder werde es unter Berücksichtigung eines solchen Zustands zum Ausbruch von neuen Konfliktherden rund um den Globus kommen, die stets nach einer unmittelbaren und schnellen Lösung rufen würden. Irgendwann werde dann jedoch einer dieser Konfliktherde außer Kontrolle geraten, so Kissinger.

Fehlendes Fingerspitzengefühl in Washington nicht zu bestreiten

Auf welche Weise hält eine aktuelle Bestandsaufnahme diesen Aussagen von Henry Kissinger stand? Es lässt sich gewiss nicht damit rechnen, dass die US-Regierung abrupt damit aufhören wird, anderen Nationen ihren eigenen Willen aufzuzwingen.

Dazu braucht man sich eigentlich nur die jüngst gewählte Rhetorik unter Mitgliedern der US-Regierung anzuhören, die den russischen Staatspräsidenten Putin als „Killer“ bezeichneten (Joe Biden höchst selbst) und dem chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping vorwerfen, ein lupenreiner Autokrat zu sein.

Man muss gewiss nicht alles kritisieren, was in Washington in diesen Tagen praktiziert wird, doch Beobachter kommen aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, da es schlichtweg mehr Fein- und Fingerspitzengefühl in internationalen Beziehungen benötigen würde, um sich auf globaler Ebene nicht immer mehr Feinde zu machen und Drittstaaten permanent vor den Kopf zu stoßen.

Russland und China stehen für Multilateralismus unter der UN ein

Es empfiehlt sich, in diesem Kontext noch einmal auf das jüngst stattgefundene Treffen zwischen hochrangigen Delegationen der Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China im Bundesstaat Alaska Revue passieren zu lassen.

Das chinesische Delegationsmitglied Yang Jiechi hatte gegenüber US-Außenminister Antony Blinken am 18. März erklärt, dass die Vereinigten Staaten nicht dazu qualifiziert seien, zum Ausdruck zu bringen, mit Repräsentanten der Volksrepublik China aus einer Position der eigenen Stärke sprechen zu wollen.

Ein Echo auf diese Zusammenkunft in Alaska ertönte dann nur dann Tage später im Rahmen des Zusammentreffens der chinesischen und russischen Außenminister Wang Yi und Sergej Lawrow in Peking.

Sowohl Wang als auch Lawrow betonten, als Nationen dafür einstehen zu wollen, den Multilateralismus gemeinsam zu schützen, den Bestand der aktuellen Weltordnung erhalten zu wollen und die Vereinten Nationen in deren Rolle als Wächter über die internationale Ordnung und deren Gesetze ins Zentrum dieser Bestrebungen zu rücken.

Unilaterale Maßnahmen oder Aktionen würden sowohl durch die Volksrepublik China als auch durch die Russische Föderation abgelehnt. Dies gelte für eine unilaterale Verhängung von Sanktionen wie auch mit Blick auf die Einmischung in interne Angelegenheiten von Drittstaaten.

USA weit davon entfernt, sich die eigene Position einzugestehen

Um auf die Aussagen von Henry Kissinger zurückzukommen, so lässt sich sagen, dass diese Sichtweisen von einer gewissen Reife zu zeugen scheinen. Sollte US-Präsident Joe Biden etwas von den Empfehlungen Kissingers annehmen, so ließe sich zumindest einmal darauf hoffen, dass in Washington eine Einsicht im Hinblick auf eine sich rasant verändernde Welt wachsen würde.

Realistisch betrachtet muss hingegen vom exakten Gegenteil ausgegangen werden. Nichts weist aus aktueller Perspektive darauf hin, dass die Vereinigten Staaten dazu bereit wären, von eigenen Aggressionen abzulassen – egal ob verbal, sanktionstechnisch oder mittels einer aktiven Unterstützung von Drittstaaten, die militärischer Natur sind (zum Beispiel anhaltende Waffenlieferungen an die Ukraine oder Taiwan).

Vielmehr scheint in Washington nach wie vor die Überzeugung und der absolute Glaube daran vorzuherrschen, die einzig verbliebene Weltmacht zu sein, deren Anordnungen ohne Wenn und Aber Folge zu leisten ist.

Wer könnte es den Amerikanern verdenken? Schließlich haben auch die führenden Vertreter des britischen Empires niemals daran geglaubt, sich geografisch irgendwann einmal wieder nur auf ihre grüne Insel an der Peripherie des europäischen Kontinents beschränkt zu sehen – wenn zumindest das Commonwealth auch nach wie vor Bestand hat.

Wer erinnert sich heute noch an den alten Spruch des „It tastes salty, it must be British!“ in einem Imperium, das sich einst auf die stärkste Armee der Welt stützte und in dessen Sphäre die Sonne niemals unterging? Diese geopolitischen Verhältnisse sind aus heutiger Sicht noch nicht einmal siebzig Jahre her…

Verschärfte Rhetorik Bidens zeugt von seiner Ohnmacht

Es scheint eben nicht einfach zu sein, der Realität ins Auge zu blicken, um sich der Wahrheit gemäß das Selbsteingeständnis zu machen, den eigenen Zenit überschritten zu haben. Derlei Dinge und Entwicklungen verdrängt die menschliche Seele nur allzu gern.

Die sich wöchentlich verschärfende Rhetorik und die damit einhergehenden Drohungen der Biden-Administration legen hierüber Zeugnis ab. Schließlich weiß jedermann nur zu gut, dass bellende Hunde am Ende nicht beißen.

Es spricht momentan kaum etwas dafür, dass sich die Washingtoner Regierung einer rationaleren Denk- und Herangehensweise auf dem internationalen Parkett zuwenden würde, um endlich zu akzeptieren, dass sich vor den Augen Washingtons und des Rests der Welt längst schon ein multipolares System herausgebildet hat, in dem sowohl die Volksrepublik China als auch die Russische Föderation wieder eine tragende Rolle spielen.

Vielleicht mag sich hierin auch einer der Hauptgründe dafür finden, warum die Russophobie und Sinophobie in den Vereinigten Staaten zunehmend wachsen. Die zuletzt durch Präsident Biden ausgestoßenen, persönlichen Beleidigungen gegenüber Wladimir Putin zeugen vom Ausdruck einer zunehmenden Impotenz oder Ohnmacht. Und Ohnmacht ist nun einmal das Gegenteil von Macht.

Europa wird immer mehr zum Zankapfel

Wann haben sich die Vereinigten Staaten jemals in ihrer Geschichte einer solchen Rhetorik gegenüber staatlichen Repräsentanten von Drittnationen bedient? Die USA sind nicht mehr alleinige Supermacht, womit sich das durch Francis Fukuyama einst prophezeite „Ende der Geschichte“ als eben jener intellektuelle Rohrkrepierer erwiesen hat, für den ihn eine Vielzahl von Kritikern dieser skizzierten Ansicht bereits zum damaligen Zeitpunkt gehalten hatte.

Wie sich immer deutlicher abzeichnet, sind die aufstrebenden Rivalen der Vereinigten Staaten nicht mehr dazu bereit, die Aggressionen Washingtons einfach hinzunehmen. Darauf hatte die Amerikaner unter anderem die im letzten Monat in Alaska empfangene Delegation Chinas explizit aufmerksam gemacht.

Weder eine aus der Rolle oder den Gepflogenheiten fallende Rhetorik noch eine Hinwendung zu Gewalt würden demnach durch die Volksrepublik China akzeptiert. Inzwischen zeichnet sich mit Blick auf den europäischen Kontinent ab, dass zwischen Chinesen, Amerikanern und Russen ein Wettstreit um wirtschaftlichen und politischen Einfluss längst schon im Gange zu sein scheint.

Auch wenn die in Europa und Amerika vorherrschenden Kulturen sich nahestehen, so scheint ein gegenseitiges Verständnis in einer immer komplizierter und komplexer werdenden Welt sichtlich schwerer zu fallen. Den Amerikanern fällt sogar nichts Anderes mehr ein, als Europa in diesem mit aller Härte geführten Wettstreit zu sanktionieren (siehe Deutschland), um die langjährigen Verbündeten und Allianzpartner auch noch vor den Kopf zu stoßen.

Der gemeinsame Feind eint

Trotzdem sollte die Hoffnung auf eine Besserung der Situation nicht fahren gelassen werden. Es sei an dieser Stelle beispielsweise auf Robert Gates, den ehemaligen Direktor der CIA und einstigen US-Verteidigungsminister verwiesen, der in einem jüngsten Interview gegenüber der Washington Post eingestand, dass die durch die Vereinigten Staaten gegen die Russische Föderation verhängten Sanktionen dem eigenen Land keineswegs gut täten.

Robert Kaplan geht in einem Gespräch mit The National Interest sogar so weit, um die Russische Föderation als „Problem aus der Hölle“ zu bezeichnen. Warum? Weil das Eingeständnis folgte, dass Russland durch das eigene Land nicht unterworfen werden könne.

Es hörte sich an manchen Stellen gar danach an, als ob Kaplan den Russen einen Weg ebnen wollte, um

seine einseitige Beziehung zur und seine Allianz mit der Volksrepublik China aufzugeben, um anstelle dessen einen Ausgleich mit den USA zu finden“.

Was die USA durch ihre harsche Rhetorik und ihre verhängten Sanktionen erreicht haben, ist, dass sich Russen und Chinesen, die sich in ihrer Geschichte stets misstrauisch beäugt hatten, heute liebkosend in den Armen liegen.

Nicht nur aus wirtschaftlicher, sondern auch aus politischer Sicht scheint sich diese Allianz und neu gewonnene Freundschaft als eine Win-Win-Situation aus Perspektive von beiden Nationen zu erweisen. Zumindest für den Moment ist dies so – und gewiss so lange, wie der gemeinsame Feind USA heißen wird.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Nicht von ungefähr ist Henry Kissinger Realpolitiker genug, um Washington zu einem Strategiewechsel zu bewegen – mit dem Ziel selbst daran mitzuwirken, um wieder ein Gleichgewicht auf der Welt herzustellen.

Hierfür muss in den USA allerdings die Erkenntnis wachsen, dass der eigene Anspruch an eine Full Spectrum Dominance ad acta gelegt werden muss, weil dieses Ziel, so auch die Einsicht des inzwischen verstorbenen US-Geostrategen Zbigniew Brzezinski, aus Sicht der USA nicht mehr erreichbar sei.

Es lässt sich über die Figur des Henry Kissinger und dessen Taten gewiss trefflich streiten, doch wo der Mann Recht hat, hat er Recht. Es wäre schön, wenn die Washingtoner Regierung endlich das rasante Voranschreiten und die Ausbildung einer multipolaren Welt akzeptieren würde, auch wenn in diesem Zuge eine ganze Reihe von Doktrinen entsprechend angepasst werden müssten.

Es bleibt abschließend darauf zu hoffen, dass diese Akzeptanz in Washington mit der Zeit wachsen wird, um den durch Henry Kissinger bezeichneten Zustand eines Ausgleichs auf globaler Ebene wiederherzustellen und um das Abdriften in eine Situation, wie sie vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs vorherrschte, zu verhindern.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts basiert auf einem Bericht auf der Seite des Think Tanks globalresearch.ca, der durch Roman Baudzus inhaltlich ergänzt wurde.

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