Über die letzten Wochen hatte ich das ein oder andere Mal einen Blick nach Saudi-Arabien geworfen, um die aktuellen Entwicklungen im Rohölförderland Nummer 1 eingehender zu beobachten.

Es ließ sich damit rechnen, dass der extreme Ölpreis- und Wirtschaftseinbruch Saudi-Arabien große Probleme verursachen würde. Zu Beginn dieses Monats hob die saudische Regierung ihre strengen Lockdown-Bedingungen auf, obwohl die offiziell bestätigten Infektionszahlen nach wie vor am Klettern sind.

Verdreifachung der Mehrwertsteuer führt zu Vorzieh-Effekten

Wie dem auch sei, nach Aufhebung der Wirtschaftsrestriktionen setzte ein Run auf Geschäfte und Einkaufszentren unter der saudischen Bevölkerung ein, der einem einfachen Grund geschuldet ist: Seit dem 1. Juli hat sich die Mehrwertsteuer im Königreich verdreifacht!

Betroffen von der massiven Mehrwertsteueranhebung mit dem Ziel einer Verringerung der immer größer werdenden Budgetlücken der saudischen Regierung sind nahezu alle wichtigen Alltagsprodukte, angefangen bei Lebensmitteln über Bekleidung bis hin zu Elektronikgütern und Fahrzeugen.

Der Kaufrausch, der sich vor der am 1. Juli einsetzenden Verdreifachung der Mehrwertsteuer unter der saudischen Bevölkerung beobachten ließ, lässt stark darauf schließen, dass der heimische Konsum über die nächsten Wochen und Monate deutlich sinken dürfte.

Bereits im Mai hatte die Regierung in Riad die Mehrwertsteueranhebung von damals fünf auf nunmehr 15 Prozent bekannt gegeben. Analysten warnen davor, dass es über die diesjährigen Sommermonate zu einem Konsumboykott unter der saudischen Bevölkerung kommen könnte, der sich in seiner Intensität noch nie zuvor in der Landeshistorie habe beobachten lassen.

In verschiedenen Lokalberichten hieß es, dass eine Vielzahl an örtlichen Autohäusern Ende Juni komplett ausverkauft gewesen sei. Im Juni seien laut Händlern mehr Fahrzeuge im Land abgesetzt worden als in den sechs Monaten zuvor.

Kürzungen im öffentlichen Dienst, Verschiebung von Projekten der „Vision 2030“

Neben der Mehrwertsteueranhebung ist es im Bereich der Vergünstigungen unter Mitarbeitern im öffentlichen Dienst zudem zu drastischen Kürzungen gekommen. Bloomberg berichtet, dass es inzwischen auch zu einer Verschiebung von Projekten, die Teil der Vision 2030 von Mohamed bin Salman gewesen sind, gekommen sei.

Dabei soll es allerdings nicht bleiben. Mehrheitlich wird damit gerechnet, dass die saudische Regierung weitere Kürzungen und Einsparungen wird verkünden müssen, um den völlig auf dem Ruder laufenden Haushalt wieder in den Griff zu bekommen.

Neben den weltweiten Shutdowns der Wirtschaft haben auch die stark gesunkenen Ölpreise den Druck auf die saudischen Finanzen deutlich erhöht. Die Bank Nomura warnt in ihrem jüngsten Ausblick davor, dass die Austeritäts-Maßnahmen schwerwiegende Auswirkungen aus Sicht der saudischen Wirtschaft zur Folge haben werden.

Ausländische Arbeitnehmer verlassen das Land in Richtung Heimat…

Befeuert werden diese düsteren Prognosen auch aufgrund der Tatsache, da viele ausländische Arbeitnehmer – wie sich dies über die letzten Wochen im Übrigen auch in den Vereinigten Arabischen Emiraten beobachten ließ – das Land in Richtung von ihren Heimatländern in Scharen verließen.

Nach wie vor zu niedrige Ölpreise, die momentan im Bereich von 40 US-Dollar pendeln und eine nie zuvor erlebte Mehrwertsteueranhebung bei einer anhaltenden Pandemie dürften die Entwicklungen in Saudi-Arabien und den Golfländern im Allgemeinen weiter verschlimmern.

Neben der massiven Mehrwertsteueranhebung werden wohl auch sinkende frei verfügbare Einkommen eine ganze Reihe von heimischen Konsumindustrien unter Druck setzen. Die nun in einem extrem hohen Ausmaß vorgezogenen Käufe werden sich laut Analysten dramatisch auf ganze Wirtschaftssektoren auswirken, wenn die Käufe nun bis in den Herbst hinein in erhöhtem Ausmaß ausbleiben sollten.

Sinkende Ölpreise führen in Negativspirale

Andere Analysten halten die verabschiedeten Fiskaleinschnitte und sonstigen Maßnahmen zur Ausbalancierung der heimischen Regierungsbudgets in den Golfstaaten für vollkommen unverantwortlich. Private Haushalte, die ohnehin schon unter deutlich steigenden Job- und Arbeitsplatzverlusten litten, würden angesichts von Austeritäts-Maßnahmen nun noch stärker unter finanziellen Druck geraten.

Prognosen hinsichtlich eines deutlich einbrechenden Konsums über die nächsten Monate würden sich dann wiederum stark negativ auf die allgemeinen Geschäftsaktivitäten unter den heimischen Unternehmen auswirken, was dann wiederum noch mehr Arbeitsplatzverluste zur Folge haben könnte.

Im ersten Quartal kam die saudische Wirtschaft mit einem BIP-Rückgang in Höhe von einem Prozent noch recht glimpflich weg. Doch der Einbruch wird, wie in vielen anderen Regionen der Welt, angesichts der Lockdowns erst ab dem zweiten Quartal so richtig spürbar werden.

Schätzungen sehen eine Ausweitung des saudischen Budgetdefizits auf bis zu 15 Prozent in Relation zum Bruttoinlandsprodukt im laufenden Jahr vor. Die saudischen Konsumausgaben brachen sowohl im April als auch im Mai um mehr als dreißig Prozent ein, bevor es dann aufgrund der massiven Mehrwertsteueranhebung zu einem Kaufrausch über den Monat Juni gekommen war.

„Was heißt das für mich konkret!?“

Sollten die Rohölpreise abermals nachgeben, werden die in Saudi-Arabien und anderen Golfstaaten verabschiedeten Austeritäts-Maßnahmen bei Weitem noch nicht das Ende der Fahnenstange gewesen sein. Es lässt sich noch nicht einmal absehen, ob diese Kürzungen und Einsparungen tatsächlich auch zum Ziel einer deutlichen Budgetreduzierung führen werden. Vielmehr muss damit gerechnet werden, dass die nun verabschiedeten Austeritäts-Maßnahmen, ähnlich wie in den 1930iger Jahren, zu herben Einbrüchen des heimischen Konsums, weiter steigenden Bankrotten im Unternehmenssektor und einer Zunahme von Arbeitsplatzverlusten führen werden – ein Teufelskreis, aus dem sich nun schwer wieder entrinnen lässt…

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