Zur Wochenmitte blicken wir in die osteuropäischen Staaten. Im Verlauf des vergangenen Jahres sorgten vor allem die durch den Krieg in der Ukraine unterbrochenen Weizen- und Getreidelieferungen aus der Ukraine an den Rest der Welt für mediale Schlagzeilen.

Nachdem auch die Russische Föderation ihre Getreide- und Weizenausfuhren zumindest temporär ausgesetzt hatte, wuchs vielerorts die Furcht vor dem möglichen Ausbruch einer Welthungerkrise.

Erwähnt sei, dass die Verbraucher in den westlichen Industrieländern die teils deutlich gestiegenen Lebensmittelpreise und den dadurch ausgelösten Finanzdruck noch immer weit besser wegzustecken wissen als deren Pendants in den Schwellen- und Entwicklungsländern.

Ukrainische Agrarexporte überschwemmen EU-Märkte

Seit Herbst letzten Jahres häufen sich die Vorwürfe, laut denen die Europäische Union nun völlig untätig dabei zuschauen würde, wie billiges Getreide aus der Ukraine die europäischen Agrarmärkte überschwemmt.

Zudem heißt es, dass seit der durch den türkischen Staatspräsidenten Recep Erdogan mit ausgehandelten Vereinbarung zu einer Wiedereröffnung der ukrainischen Häfen mit dem Zweck einer Wiederaufnahme der ukrainischen Agrarexporte fast all diese Exporte in der Europäischen Union gestrandet seien, ohne von dort weiter in den Rest der Welt transportiert zu werden.

Ungarn nimmt die Dinge deshalb jetzt in die eigenen Hände. Fortan werden ukrainische Agrarexporte dort nur noch zu festgesetzten Quoten ins Land gelassen, um die heimische Agrarindustrie gegen eine plötzliche Überschwemmung des eigenen Marktes abzuschirmen, wie der ungarische Landwirtschaftsminister István Nagy kürzlich mitteilte.

Rückblickend hatte sich die Europäische Union nach dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine gegenüber der Kiewer Regierung dazu bereit erklärt, die bis dahin bestehenden Einfuhrzölle für ukrainisches Getreide fallen zu lassen.

Nachdem sich das Angebot von Agrarprodukten aus der Ukraine angesichts der inzwischen veränderten Situation sukzessive wieder erhöht hat, fließen diese Agrarprodukte nun nahezu ohne Kontrolle an die Mitgliedsländer der Europäischen Union, was den in diesen Ländern beheimateten Landwirten angesichts von stark sinkenden Preisen das Geschäft verhagelt.

Die ursprünglichen Pläne sahen anders aus

Ursprünglich war einmal vorgesehen, die an Häfen in der Europäischen Union ausgelieferten Agrarprodukte aus der Ukraine vor Ort umzuverladen und schnellstens an den Rest der Welt weiter zu verschiffen.

Auf diese Weise sollte einer unter anderem auch durch die Vereinten Nationen in New York an die Wand skizzierten Welthungerkrise vorgebeugt werden. Gleichzeitig sollte eine schnelle Wiederaufnahme der ukrainischen Getreideausfuhren ermöglicht werden.

Experten kritisieren zunehmend, dass die jetzt seit einiger Zeit zollfrei in die Europäische Union strömenden Agrarprodukte aus der Ukraine bisher nur in einem höchst überschaubaren Volumen, wenn überhaupt, an den Rest der Welt weiterverschifft worden seien.

Als unübersehbarer und aus Sicht der Landwirte in der Europäischen Union schmerzhafter Nebeneffekt erweist sich die Tatsache, dass die aus der Ukraine in die Europäische Union einströmenden Agrarprodukte dort jetzt systematisch die Agrarmärkte der Mitgliedsländer zerstören.

Es empfiehlt sich an dieser Stelle, einen Vergleich zu ziehen. Im Gesamtjahr 2021 beliefen sich die ukrainischen Getreideexporte an die Europäische Union auf ein Volumen von knapp 290.000 Tonnen.

Im Jahr 2022 explodierte dieser Wert dann auf gut 2,8 Millionen Tonnen, woraus fast eine Verzehnfachung der in die Europäische Union einströmenden Exporte resultierte. Es gehört zu den Hauptproblemen der Bauern in den EU-Mitgliedsländern, mit den niedrigen Anbau- und Produktionskosten im Getreidebereich in der Ukraine nicht mithalten, geschweige denn konkurrieren, zu können.

Osteuropäische Staaten wollen finanzielle Unterstützungsleistungen aus Brüssel

Mittlerweile haben sich mehrere osteuropäische Staaten, darunter Polen, die Slowakei, die Tschechische Republik, Bulgarien, Ungarn und Rumänien, eine gemeinsame Deklaration verfasst, um sich mit dem Ersuchen nach finanzieller Unterstützung an Brüssel zu wenden.

In aller Schärfe hatte kürzlich der ungarische Agrarminister István Nagy die Dinge auf den Punkt gebracht. Danach sähen die Planung Brüssels vor, der Ukraine dabei zu helfen, die Getreidenachfrage an den Weltmärkten wieder bedienen zu können.

Doch in der Realität liefen die aktuellen Entwicklungen viel eher auf eine Zerstörung des EU-Marktes hinaus. Die Brüsseler Führung müsse zwischen den einzelnen Interessen abwägen, um bei allen Hilfsgesuchen der Ukraine auch die Interessen der heimischen und europäischen Landwirte und Bauern zu protegieren.

István Nagy kritisierte weiter, dass Brüssel nicht auf Seiten der ungarischen, rumänischen, polnischen, slowakischen, tschechischen oder bulgarischen Landwirte oder Produzenten stehe.

Problem daran sei, dass diese in der Europäischen Union ansässigen Landwirte und Bauern wirtschaftlich nicht mehr überlebensfähig sein werden, wenn sich die Dinge nicht alsbald änderten.

Anstatt die finanziellen Lasten auf viele Schultern – und damit auch auf die Schultern der Ukraine – zu verteilen, werden die Landwirte und Agrarproduzenten in Zentralosteuropa dazu gezwungen, den Preis für zollfrei in die Europäische Union strömende Agrarexporte allein zu bezahlen.

Aus diesem Grund ist es in Ungarn jetzt zu einer unilateralen Einführung von strikten Einfuhrkontrollen im Bereich von Agrarprodukten gekommen. Wie es hierzu weiter heißt, seien all diese Einfuhrrestriktionen in Ungarn im Einklang mit den in der Europäischen Union bestehenden Gesetzen und Regularien verabschiedet worden.

Der ungarische Außenminister machte zusätzlich darauf aufmerksam, dass neben Getreide auch billiger Honig und Geflügelprodukte aus der Ukraine die Landwirte in der Europäischen Union in Mitleidenschaft ziehen würden. Denn auch diese Produkte flössen nun schon seit einiger Zeit in rauen Mengen in die EU.

Blick nach Polen

Unterdessen droht sich der zwischen Brüssel und der polnischen Regierung schwelende Konflikt zu intensivieren. Denn die Entscheidung der Brüsseler Kommission, Polen aufgrund seiner Verfassungsgerichtsurteile vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen, lasse den Europäischen Gerichtshof de facto zu einem (Obersten) Europäischen Gerichtshof avancieren.

Seitens der Brüsseler Kommission werden die zuletzt durch das polnische Verfassungsgericht gesprochenen Urteile nicht anerkannt. Einerseits beruft man sich darauf, dass europäisches Recht über dem Recht in einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stünde.

Andererseits erkennt die Brüsseler Kommission die richterliche Zusammensetzung am polnischen Verfassungsgerichtshof nicht an. Selbstverständlich hat diese Entwicklung die diplomatischen Spannungen zwischen Brüssel und Warschau zuletzt verschärft.

Weiterhin wird seitens der Brüsseler Kommission argumentiert, dass der polnische Verfassungsgerichtshof effektiv aufgehört habe als unabhängige Institution zu existieren. Vielmehr habe die Politik in Polen die volle Kontrolle über den Bereich der Judikative des Landes übernommen.

In diesem Zusammenhang ist selbst von „einer durch die Regierung geschaffenen Kreatur“ die Rede. Zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union wird es nun also dazu kommen, dass der Europäische Gerichtshof über die Funktionsfähigkeit und Rechtmäßigkeit eines Verfassungsgerichtshofs in einem der Mitgliedsländer zu befinden haben wird.

Diese Situation schließt natürlich auch die durch diesen Verfassungsgerichtshof erlassenen Urteile mit ein. Es lässt sich leichterdings vorstellen, mit welchen Folgen und Konsequenzen es einhergehen würde, falls der Europäische Gerichtshof der Brüsseler Kommission inhaltlich Recht geben sollte.

Nicht nur, dass der Bereich der Judikative in Polen ab diesem Zeitpunkt völlig auf den Kopf gestellt würde. Ferner stellt sich die Frage, ob die Warschauer Regierung und der polnische Verfassungsgerichtshof überhaupt dazu bereit wären, sich einem Diktum des Europäischen Gerichtshofs zu beugen.

Noch gravierender könnte sich das zu treffende Urteil durch den Europäischen Gerichtshof auf alle anderen Mitgliedsländer der Europäischen Union auswirken. Denn sollte es zu einem Schulterschluss zwischen dem Europäischen Gerichtshof und der Brüsseler Kommission in dieser wichtigen Frage kommen, so würde der Europäische Gerichtshof auf diese Weise de facto signalisieren, auch das Recht zu einer Überprüfung von Verfassungsurteilen in anderen Mitgliedsländern des europäischen Staatenblocks für sich zu beanspruchen.

Heißt also, dass es zukünftig nicht auszuschließen wäre, dass ein durch das deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verlautbartes Urteil zu einem späteren Zeitpunkt durch den Europäischen Gerichtshof revidiert und wieder aufgehoben und / oder inhaltlich verändert werden könnte.

Ob die einzelnen Mitgliedsstaaten tatenlos dabei zuschauen werden, wie der Europäische Gerichtshof sich mit einem Paukenschlag praktisch zu einem (Obersten) Europäischen Verfassungsgericht aufschwingen würde, steht auf einem anderen Blatt.

Um die polnische Regierung zu disziplinieren und zu einem Mehr an Kooperation zu bewegen, sieht sich der auf Polen entfallende Anteil an dem Wiederaufbaufonds der Europäischen Union nach wie vor blockiert.

Überdies würde ein zugunsten Brüssels ausfallendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs mit der Gefahr einhergehen, die ausgeklügelten Prozesse im Bereich der polnischen Judikative für einen unbestimmten Zeitraum lahmzulegen.

Dass zwischen der Brüsseler Kommission und der Warschauer Regierung eine Vertiefung des bestehenden Konflikts bis hin zu einer Eskalation droht, warnen Experten vor einer möglichen Kettenreaktion, die dadurch in der Europäischen Union in Gang gesetzt werden könnte.

Möglich sei dann nämlich auch, dass der polnische Gerichtshof die Entscheidung treffen könnte, seine Arbeit auszusetzen. Der polnischen Regierung stünde in einem solchen Fall Tür und Tor offen, um es gegenüber der Brüsseler Kommission auf eine möglicherweise aus dem Ruder laufende Konfrontation anzukommen zu lassen.

Es würde wahrscheinlich vor allem dann zu einer solchen Entwicklung in Polen kommen, falls sich die Vertreter der Warschauer Regierung und des polnischen Verfassungsgerichtshofs darüber einig werden sollten, dass die Aktionen und Maßnahmen der Brüsseler Kommission die Souveränität des eigenen Landes bedrohen.

Diese Zusammenfassung für CK*Wirtschaftsfacts von Roman Baudzus nimmt unter anderem Bezug auf einen Bericht auf der Seite von rmx.news.

„Was heißt das für mich konkret!?“ (Roman Baudzus)

Nicht nur die bei jeder Gelegenheit durch die US-Regierung gepriesene Sanktionspolitik gegenüber der Russischen Föderation, die wie ein Bumerang wirkt, sondern auch die internen Zwistigkeiten zwischen der Brüsseler Kommission und einzelnen Mitgliedsstaaten der EU in Osteuropa drohen die Staatengemeinschaft vor große Herausforderungen zu stellen.

Es wird interessant sein zu beobachten, wie weit man den daraus resultierenden Fliehkräften noch freien Lauf lassen wird, und ob ab einem bestimmten Zeitpunkt dann nicht doch eine mögliche Abkehr einzelner osteuropäischer Staaten von Brüssel erfolgen könnte. Die Zeit wird es zeigen.

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