Wie Facebook mit griechischen Journalisten umgeht
Die sozialen Netzwerke im Internet bestimmen immer mehr die politische Agenda. Als im Januar die größten sozialen Netzwerke die Profile des damals noch amtierenden US-Präsidenten Donald Trump sperrten, gab es innerhalb der Gesellschaft - von den Anhängern Trumps abgesehen - große Zustimmung.
Das, was dem PotUS seinerzeit vorgeworfen wurde, der Aufruf zu Gewalt und Revolten, wog schwerer als die Reaktionsmechanismen gegen Zensur. Was, wenn es beim nächsten Mal einen von uns trifft? Diese Frage stellten sich wenige. Sie ist nun hochaktuell. Wer bestimmt, was gesagt, gesehen und gelesen werden darf? Wer kontrolliert die Kontrolleure?
Schauplatz dieses Berichts ist Griechenland, also weit weg von Deutschland, möchte man meinen. Allerdings sind die Mechanismen und der Anlass ebenso besorgniserregend, wie die von der Zensur betroffenen Personenkreise. Diesmal werden Journalisten und Fotoreporter systematisch gesperrt.
Die Hintergründe – Hungerstreik und juristische Patzer
Anlass ist der Hungerstreik des wegen zahlreicher Attentate und Morde, sowie der Mitgliedschaft in der Organisation 17. November verurteilten Dimitris Koufontinas. Koufontinas wurde zu elf Mal lebenslänglich plus 25 Jahren Zuchthaus verurteilt. Die Organisation 17. November wurde vom Staat als Terrorgruppe eingestuft. Koufontinas sitzt seit dem September 2002, als er sich freiwillig stellte, in Haft.
Er wurde in erster und zweiter Instanz verurteilt. Ebenso wie die weiteren gefassten und verurteilten Mitglieder der Gruppe wurde er zunächst in den eigens für die Gruppe umgebauten Kellertrakt der Frauenabteilung des Gefängnisses Korydallos eingesperrt. Das Gefängnis liegt im Hauptstadtbereich von Athen.
Koufontinas erhielt, so wie es das Gesetz vorsah, zwischenzeitlich Hafturlaub und wurde auch in ein landwirtschaftliches Zuchthaus verlegt. Diese Zuchthäuser sind ein griechisches Unikum. Dort arbeiten die Häftlinge in einem landwirtschaftlichen Betrieb und jeder Gefängnistag zählt doppelt. Für den heute dreiundsechzigjährigen Koufontinas war dies durchaus eine willkommene Hafterleichterung. Im Zivilleben war er als Imker tätig.
Die Verlegung ins begehrte landwirtschaftliche Gefängnis fand 2018 unter der SYRIZA-Regierung statt. Der damaligen Opposition und heutigen Regierung war sie von Anfang an ein Dorn im Auge. Denn zu den Opfern von Koufontinas zählt, neben US-Militärs, sowie kollateralen Opfern auch Pavlos Bakoyiannis.
Bakoyiannis war Schwager des heute amtierenden Premiers Kyriakos Mitsotakis und ist Vater des heutigen Athener Bürgermeisters Kostas Bakoyiannis. Seine Witwe, Dora Bakoyiannis, sitzt für die Nea Dimokratia im Parlament und war mehrfach Ministerin sowie ebenfalls Athener Bürgermeisterin. Diese familiären Bindungen polarisieren Griechenland. Die Opfer von Terrorattentaten sinnen aus auf persönlicher Ebene durchaus nachvollziehbaren Gefühlen auf Rache, sprich eine harte Bestrafung der Täter.
Dem gegenüber steht der Anspruch eines Rechtsstaats, die Bestrafung von Tätern allein nach Gesetz und nicht aufgrund von Gefühlen zuzulassen. Ein Konflikt, welchen die Regierung Mitsotakis mit einem eigens dafür verabschiedeten Gesetze löste.
Mit dem Artikel 3 des Gesetzes 4760 von 2020 wurde eine eigens für Koufontinas Fall zugeschnittene Regel erlassen. „Es ist verboten, wegen Terrorismus verurteilte in Agrargefängnisse und in die Geschäfte der Haftanstalten zu verlegen“, heißt es im Gesetz. Der einzige wegen Terrorismus verurteilte Häftling, der in einem Agrargefängnis war, war Dimitris Koufontinas.
Ein Detail, dass er pro Forma nicht als Terrorist, sondern als gemeiner Mörder und Bandenmitglied verurteilt wurde, weil es zum Zeitpunkt des Urteils den Antiterrorparagraphen 187A des Strafrechtskodex nicht gab, den hatte die Regierung übersehen. Laut dem Gesetz müsste Koufontinas nun in die Haftanstalt zurückkehren, aus der er ins Agrargefängnis überstellt wurde, nach Korydallos.
Das geschah nicht. Koufontinas beschwerte sich mit einer Eingabe und erhielt keine schriftliche Antwort, welche ihm den Rechtsweg ermöglicht hätte. Ergo trat er als letztes Mittel in den Hungerstreik. Selbst das Eingreifen des Bürgerobmanns, der auf das Recht des Häftlings in diesem Fall pochte, brachte den Staat nicht dazu, Koufontinas das gesetzlich vorgesehene Dokument auszustellen.
Die zuständige Staatssekretärin im Bürgerschutzministerium, Sofia Nikolaou, die übrigens zu den Anhängern Donald Trumps gezählt wird, steht auf dem Standpunkt, dass ein Nachgeben gegenüber Koufontinas das Eingeständnis wäre, dass der Staat sich erpressen lässt. Eine Meinung, welche von der Regierung geteilt wird.
Tastatur-Revolution - Es bleiben nur die sozialen Medien, doch…
In Pandemiezeiten sind große Demonstrationen oder weitere Solidaritätsaktionen nicht sehr leicht möglich. Die sozialen Medien dienen vielen „Revolutionären der Tastatur“, wie sie oft scherzhaft oder verächtlich genannt werden, als Ventil, Organisationsmittel, aber auch als Organ, um ihren Beitrag zum Diskurs zu veröffentlichen. In Zeiten von Ausgangssperren, geschlossenen Parkanlagen, Bars und Restaurants, fehlt es in Griechenland auch an den Diskussionen im Kafeneion, dem Kaffeehaus.
Die griechischen Medien schwiegen und schweigen zu einem großen Teil hinsichtlich der Causa Koufontinas. Auch hier spielt die Pandemie eine mittelbare Rolle. Denn die staatlichen Hilfsgelder für Medien wurden nach einem Muster verteilt, welches oppositionelle Medien mit weniger oder überhaupt keinen Hilfsgeldern bedacht hat. Liberale Medien der Mitte können sich offene Regierungskritik daher im wahrsten Sinn des Wortes, nur beschränkt leisten.
Facebook gilt in diesem Zusammenhang als eines der größten sozialen Medien. Das Medium, in dem kleinere Blogs, einzelne Journalisten und Pressefotografen, sowie Bürger ihr Publikum erreichen können. Im aktuellen Fall wäre ein Konjunktiv angebrachter, erreichen könnten.
Private Sheriffs im Interessenkonflikt zensieren unkontrolliert
Denn die Veröffentlichungen in sozialen Netzwerken können vom privaten Betreiber gestoppt werden. Nun hat Facebook kein Heer von der griechischen Sprache mächtiger Mitarbeiter. Dies ist ein Job, der mit Outsourcing an ein in Griechenland operierendes Unternehmen übertragen wurde. Medienberichten zufolge handelt es sich um das Unternehmen, welches im Auftrag der Regierung die Bürger hinsichtlich der Pandemie informiert und potentiell infizierte Bürger nach telefonischem Kontakt mit Testterminen versorgt.
Es ist ein Dienstleister, der für mehrere Kunden, also auch die Regierung, Facebook oder sonstige Kunden tätig ist. Ob dies im vorliegenden Fall einen Interessenkonflikt herbeigeführt hat, lässt sich juristisch nicht belegen. Die Vermutung, dass es einen solchen Interessenkonflikt geben könnte, liegt aber nah.
Denn alle Veröffentlichungen, welche zum Fall Koufontinas mit Kritik an der Vorgehensweise der Regierung veröffentlicht wurden, wurden von Facebook - beziehungsweise der damit beauftragten Firma - entfernt. Dies war mit weiteren Disziplinarmaßnahmen verbunden. Je nachdem, wie viele Veröffentlichungen entfernt wurden, wurden Profile aber auch Seiten von Medien für 24 Stunden, eine Woche oder einen Monat gesperrt.
Es läge ein Verstoß gegen die Richtlinien der Gemeinschaft vor, hieß es in der Information, welche unter anderen der Jurist Thanassis Kampagiannis erhielt. Kampagiannis - ein durchaus bekannter Anwalt - hätte mit seinem Posting den Terrorismus verherrlicht, hieß es. Tatsächlich aber hatte der Jurist schlicht die Rechtslage in der Causa Koufontinas analysiert. Kampagiannis steht pars pro toto für Juristen, die sich ihre Sperrung wegen der Diskussion über die rechtlichen Hintergründe des Geschehens einfingen. Sie hatten den Fehler gemacht, im sozialen Netzwerk öffentlich über ein brennendes Thema ihres Berufsstands zu diskutieren.
Bekannte Journalisten und Internetmedien wurden gesperrt, weil sie über den Hungerstreik berichteten - oder aber, weil sie die Presseerklärung der Anwältin von Koufontinas in Artikeln veröffentlichten, und diese Artikel dann bei Facebook posteten. Immer gab es den gleichen Grund für die Sperrung: Verherrlichung oder Werbung für den Terrorismus. Gleichzeitig wurden die Zensierten belehrt, dass eine neutrale Berichterstattung über Terrorismus natürlich gestattet wäre. Nur, was ist neutral? Denn die einschlägigen Veröffentlichungen der Regierung und der regierungsnahen Medien, die in der Causa alles andere als neutral sind, blieben veröffentlicht.
„Demonstration im Zentrum von Athen wegen des Hungerstreiks von D.K.“, war der einzige Text, der ein Foto der erwähnten Demonstration begleitete. Die entsprechende Veröffentlichung von einem bekannten griechischen Pressefotografen, der seinen Beruf im Profil korrekt eingetragen hat, führte zu dessen Sperrung.
Eine Aufzählung einzelner Namen von Fotografen und Journalisten, die ihrer Profile mit ähnlichen Postings verlustig wurden, hätte wahrscheinlich den Charme des Athener Telefonbuchs. Was, wenn nicht der Grund über eine der seltenen Demonstrationen zu berichten, kann Pressefotografen in Pandemie- und Lockdownzeiten auf die Straße bringen? Welchen Sinn hat ein Profil im sozialen Netzwerk, wenn die Profis damit nicht mehr für ihre Arbeit werben können?
Die Vielzahl der gesperrten Presseprofis brachte die Verbände auf den Plan und sorgte dafür, dass am Dienstagnachmittag zumindest die diesbezüglichen Sperrungen kommentarlos zurückgenommen wurden.
„Was heißt das konkret für mich!?“
Die Frage bleibt, wer kontrolliert die Kontrolleure?
"Verfall der Pressefreiheit in China beklagt" ist in deutschen Medien zu lesen. Doch wir sehen, dass die Zensur auch in Griechenland bereits bizarre Züge angenommen hat und ein privater Dienstleister, der im Auftrag von Facebook griechische Veröffentlichungen zensiert, gehörig über das Ziel hinausschießt. Der Autor des Textes hat aus Überzeugung kein Facebook-Profil.
Kommentare
Nun, es scheint, die Gesellschaften in Europa sind damit sehr zu frieden und schlafen weiterhin den Schlaf der geistig Umnachteten. Mein Nachbar sagte zu mir: "Bevor ich mich diesen Wahnsinnigen geistig und körperlich unterwerfe, gehe ich freiwillig sterben, vorher vernichte ich jedoch noch Alles was ich mir aufgebaut habe, diesen Irren werde ich Nicht`s von meiner Hände erschaffenen Vorsorgeaufwendung hinterlassen". Jeder entscheidet selbst, wann die Grenze des Ertragbaren erreicht ist, ich versuche mir auch schon darüber klar zu werden.
»Die Irren führen die Blinden.«
lieber Herr Aswestopoulos herzlichen Dank für Ihre Mühe, die Sie beim Erstellen des Artikels aufgewendet haben.
Lücken-Presse sei Dank!
Seit März 2020 stehen alle negativen Beiträge, die CORONA oder den Kapitalismus oder die großen Fische des 197 Staaten-Ozianiums betreffen, auf der roten Liste. Die Superkomputer von google & co. sind um einiges mächtiger als Aladdin von Blackrocks (Aladdin ist das Analysesystem, mit dem BlackRock die einzelnen Geldanlagen bewertet, und Entscheidungen für Ver- oder Zukäufe von Aktien diesem System anvertraut).
Zur Erinnerung: 5 der 10 größten Superhirn-Computer stehen in USA (SUMMIT; SIERRA; FRONTIER; TRINITY; LASSEN) in Deustchland steht einer davon SUPERMUC-NG, einer ist in der Schweiz: PIZ DAINT; die Japaner haben 2 und teilen sich den Platz mit den Chinesen (SUNWAY UND TIANHE). Diese "Superhirne" brauchen keine Menschen mehr - sie sperren die Profile der Verdächtigen automatisch. Natürlich mit einer vorherigen völlig automatisierten Verwarnung.
Die Lücken-Presse gibt es und gab es schon immer und nicht nur zu DDR-Zeiten. Und einen Unterschied gibt es meiner Meinung nach doch: in der DDR hat Jeder den im Raum stehenden Elefanten gesehen.
Bleibt lieber Quer als doof, und denkt daran: Lügen haben immer kurze Beine!
Herzliche Grüße
Lisa
so stelle ich mir die 1930er vor, eben nur besser, weil es technisch möglich ist. (Propaganda mit Softskills)
So stelle ich mir den Anfang vom Ende vor.
Nicht nur in einzelnen Ländern, nein, auf der ganzen Welt ist "1984" & die "Schöne neue Welt".
"Die Wahrheit steht von ganz alleine, nur die Lüge braucht die Stütze der (Staats-)Gewalt." (amerik. Präsident, habe vergessen welcher)
Niemand sollt mehr überrascht sein.
Alles wurde gesagt.
Über alles wurden "Wir", die Untertanen, aufgeklärt!
Wir sollten schon mal neue Gruß-Formeln üben, oder?
In diesem Sinne, alles Gute, Gesundheit
und einen besonderen Gruß an unsere Führer, die eventuell auch hier auf CK lesen.