Folgende Frage haben die Katalanen am 1. Oktober zu beantworten:

„Wollen Sie, dass Katalonien ein unabhängiger Staat in Form einer Republik ist?“

So wurde es auf dem Stimmzettel formuliert, der dem Volksentscheid vom 1. Oktober zu Grunde liegt. Wenige Tage vor dem Referendum liegen in Madrid die Nerven blank. Der spanische Staat stockt die Sicherheitskräfte in Katalonien massiv auf und verzichtet dabei auf Augenmaß und historische Sensibilitäten.

Guardia Civil im Einsatz

Neben regulären Polizeieinheiten werden auch Angehörige der Guardia Civil in den Nordwesten entsandt. Ferner schießt die Zentralregierung juristisch scharf. Dem Chef der Generalität in Barcelona wurde Haft angedroht, auch eine Inhaftierung des katalanischen Ministerpräsidenten Carles Puigdemont wurde nicht ausgeschlossen.

Das ganze spielt sich in Europa ab, in der EU, nicht in einer Bananen-Republik.

Katalanischer Separatismus gefährlich für Spanien als Ganzes

Der katalanische Separatismus ist für die staatliche Existenz Spaniens eine reale Bedrohung. Nicht umsonst wurde von Madrid die Unabhängigkeit Kosovos nie anerkannt, da es die Autonomiebewegungen im eigenen Land zu sehr fürchtet.

Der Nationalismus Kataloniens unterscheidet sich fundamental  von dem in anderen Regionen Europas. Er tritt selten xenophob auf, tangiert alle politischen Lager, die extreme Linke ist besonders engagiert und wird von einem demonstrativen Internationalismus flankiert. Was erwarten Unterstützer der Unabhängigkeit von einem Staat Katalonien, in einer EU die offene Grenzen beinhaltet? Handelt es sich nicht um einen historischen Anachronismus?

Der Ursprung Kataloniens Wunsch nach Unabhängigkeit liegt in der Geschichte begründet

Die Ursachen dieses Wunsches nach Unabhängigkeit liegen in der jüngeren Geschichte Spaniens begründet. Der Ursprung Kataloniens als Nation ist keine Ethnie, sondern  die katalanische Sprache, ein eigenes romanisches Idiom, welches sich stark vom Kastilianischen, also dem Spanischen unterscheidet. Katalanisch wird weit über die Grenzen der gleichnamigen Autonomen Region -so nennt man in Spanien diese Verwaltungseinheiten- Katalonien gesprochen, die nach Unabhängigkeit strebt.

Auch an der Westküste Sardiniens spricht man Katalanisch

Bis nach Valencia und auf den Balearen wird in katalanischen Dialekten kommuniziert. Im Süden Frankreichs, dort Okzitanisch genannt und über die Weiten des Mittelmeers hinweg, bis an die Westküste der zu Italien gehörigen Insel Sardinien reicht die katalanische Sprachgrenze.

Die katalanische Sprache ist der Schlüssel zum Verständnis dieses Phänomens. Katalanische Aktivisten beklagen, dass sie zwar in einer Demokratie leben, sich als Volk aber besetzt fühlen, da die spanische Nationalidentität sich auf die kastilische Sprache bezieht. “Es ist offensichtlich, dass der kastilische Nationalismus eisern ist, unflexibel und intolerant, vor allem aber unfähig, das Problem zu verstehen. Mein Problem ist nicht Spanien, sondern dass Katalonien auf einer Identität aufgebaut wurde, die nicht die meine ist“, äußerte ein Aktivist diesbezüglich kürzlich in Barcelona.

Katalonien ging schon früher eigene politische Wege

Die Sprache schweißte die Katalanen in den dunklen Phasen der Geschichte zusammen. Zur Zeit der Franco-Diktatur kämpften die Katalanen mit Hilfe ihrer Kultur, durch Musik, Gedichte, Satire und Sarkasmus, gegen das Verbot ihrer kulturellen Identität. Schon während des Bürgerkrieges ging man auch politisch eigene Wege. Während des Kampfes gegen die Frankisten vollzog sich in Barcelona, bisher weltweit einmalig, eine anarchistische Revolution.

George Orwell beschrieb damals die Atmosphäre in seinem Buch “Mein Katalonien“ wie folgt: “Viele normale Motive des zivilisierten Lebens – Snobismus, Geldschinderei, Furcht vor dem Boss und so weiter – hatten einfach aufgehört zu existieren. Die normale Klasseneinteilung der Gesellschaft war in einem Umfang verschwunden, wie man es sich in der geldgeschwängerten Luft Englands fast nicht vorstellen kann. Niemand lebte dort außer den Bauern und uns selbst, und niemand hatte einen Herrn über sich.“

Doch damit war es damals schnell vorbei. Dieses anarchistische Experiment wurde nicht etwa durch Francos Schergen in Blut und Tränen aufgelöst, sondern durch die Agenten Stalins, hinter dem Rücken der Front.

Katalonien ist heute die reichste Region Spaniens

Doch zurück in die Gegenwart. Katalonien ist heute die reichste Region Spaniens. Die hohen Transferzahlungen in die ärmeren Landesteile verärgern viele Bewohner. Gleichwohl ist die Hälfte der Katalanen gegen eine Unabhängigkeit, wobei die Mehrheit die Abhaltung des Referendums wünscht. Auf allen Seiten meldet sich die Reaktion zu Wort. Die politische Rechte in Spanien pocht auf die unteilbare Einheit Spaniens. Reaktionäre Kreise in Madrid pflegen seit Langem antikatalanische Ressentiments, die in Teilen der katalanischen Gesellschaft nie überwunden wurden, wonach Katalanen leichtlebige und gottlose Küstenbewohner seien, die auf Gott und Vaterland pfeifen, stattdessen zu Hedonismus und sexueller Libertinage neigen.

Madrid ist beunruhigt

Aus der Perspektive der Regierenden in Madrid ist die Lage äußerst beunruhigend. Was wäre, wenn das Beispiel Schule macht und andere Autonome Regionen Spaniens folgen, vorne weg die Basken? Madrid findet keine angemessene Antwort, alle Beteiligten verhalten sich unangemessen und spielen mit dem Feuer.   

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