Spekulant oder Teilhaber?

Bevor ich mit dem Auto losfahre, muss das Ziel bereits feststehen und die Route bekannt sein. Möchte ich die Seele baumeln lassen und faul am Strand liegen, ohne mir groß Gedanken zu machen, oder suche ich den Nervenkitzel und trampe durch die raue Wildnis? Was für die Urlaubsplanung gilt, gilt auch für das eigene Wertpapierdepot. Ich muss schon vor dem Kauf einer Aktie wissen, was ich damit vorhabe.

Unterscheiden Sie beim Aktienkauf ganz klar, ob Sie sich beim gewählten Titel als Spekulant auf kurzfristige Kursanstiege oder als langfristiger Investor sehen. Möchte ich den Titel langfristig halten als Aktie für mein Rentenportfolio? Oder suche ich den Nervenkitzel und möchte mit einem heißen Titel auf schnelle Gewinne spekulieren?

Auch wenn man versucht, es sich als Investition schönzureden: Ein Unternehmen aus einer heißen Branche, das zwar tolle Umsatzsteigerungen aufweist, jedoch keinen Cent (oder zumindest positiven operativen Cashflow) erwirtschaftet, ist keine Investition, sondern ganz klar eine Spekulation und der Kauf anhand des Prinzips Hoffnung.

Auf der anderen Seite muss man auch akzeptieren, dass ein dogmatisches Festhalten an ‚Buy and Hold‘ spätestens dann verworfen werden muss, wenn ein Unternehmen aus dem Rentendepot an anhaltend rückläufigen Umsätzen leidet oder dessen Produkte und Dienstleistungen durch einen gesellschaftlichen oder technologischen Wandel substituierbar werden. Waren Videothekenbetreiber in den 80er und 90er Jahren möglicherweise ein solider Value-Play, war der Ofen spätestens mit der IPO von Netflix aus.

Selbstüberschätzung

Gerade Börsenneulinge scheinen die Gabe zu haben, bei ihren ersten paar Trades meist voll ins Schwarze zu treffen. Aber auch Anleger, die bereits seit einigen Jahren mit Aktien handeln, kennen im Prinzip nur Bullenmärkte - auch wenn es 2020 zum sogenannten Corona-Crash kam. Nach nicht einmal vier Wochen sinkenden Kursen und einem dann versöhnlichen Jahresausklang war der Crash alsbald schon wieder vergessen.

Viele Anleger erlagen deshalb gerade Anfang dieses Jahres einer psychologischen Falle, die in der Behavioral Finance als ‚Overconfidence Bias‘ bekannt ist. In den Flüssen schien Gold zu fließen und jeder Kauf schien sich innerhalb kürzester Zeit als Depotwunder herauszustellen.

‚Zum Glück‘ muss man fast schon sagen, kam es zu einer anschließenden Konsolidierung im Tech- und Wachstumsaktienuniversum. Damit sollte auch dieser Anlegerschicht inzwischen bewusst sein, dass die Börse eben doch keine Einbahnstraße ist. Am Aktienmarkt gibt es schlichtweg keinen ‚Free Lunch‘ und nur, weil man im aktuellen Bullenmarkt gutes Geld verdient, heißt das noch lange nicht, dass man über jeden Zweifel erhaben ist. In Bullenmärkten kann Jeder Geld verdienen. Die wahren Profis kristallisieren sich aber erst in Bärenmärkten heraus. Bleiben Sie also demütig und gehen Sie nicht unnötig hohe Risiken ein, auch wenn Ihnen der Markt zuletzt oftmals Recht gegeben hat.

Arbeiten Sie mit Kursalarmen

Musste man früher noch ungeduldig auf den aktuellen Depotauszug seiner Bank warten, lassen sich Kurse und Depotbewegungen heutzutage schnell und komfortabel jederzeit und überall anzeigen. Das ist Fluch und Segen zugleich, denn das menschliche Gehirn kommt mit der ständigen Konfrontation mit den aktuellen Depotbewegungen gar nicht klar.

Heute zehn Prozent im Plus, morgen fünf, übermorgen sieben und danach nur noch drei Prozent. Mit dem ständigen Abrufen des Depot-Wasserstands überfordert man sich nur selbst und steigert unbewusst den Drang, etwas unternehmen zu müssen. Nicht umsonst sinkt die durchschnittliche Haltedauer von Aktien mit der voranschreitenden Digitalisierung von Jahr zu Jahr.

Es macht schon Sinn, die eigenen Aktien im Blick zu haben. Allerdings nicht auf Tages- und erst recht nicht auf stündlicher Basis. Ein Blick auf das eigene Portfolio alle paar Wochen reicht vollkommen aus. Wer noch einen Schritt weitergehen möchte, arbeitet mit Kursalarmen an charttechnischen Schlüsselmarken. So darf man sich entspannt zurücklehnen und erfährt früh genug, falls eine Aktie unter eine markante Unterstützung fällt und eventuell verkauft werden muss oder sich charttechnisch motivierte Nachkäufe anbieten.

Das Um und Auf: Risiko-Management

Zudem gilt es, handwerkliche Fehler in der Konzeption eines Portfolios zu vermeiden. Der richtigen Gewichtung der einzelnen Wertpapiere kommt dabei eine tragende Rolle zuteil. Je höher die Schwankungsintensität und das Risiko einer Aktie, desto geringer sollte diese auch im Portfolio gewichtet werden, um übertriebene Risiken zu vermeiden.

Die 80/20-Regel bzw. eine Maximalgewichtung pro Wert von fünf Prozent wurde bereits hier besprochen und diese Regeln können nicht oft genug wiederholt werden. Jemand, der sein Portfolio verdoppelt, weil er die Hälfte davon in nur einen einzigen (glücklicherweise gut gelaufenen) Titel gesteckt hat, ist deshalb kein tollkühner Held, sondern vielmehr ein leichtsinniger Dusselkopf.

Wie viel Kapital darf ich einsetzen?

Wer gerne etwas aktiver agiert und mit Stopps arbeitet, kann auch folgende Formel zur Berechnung der Positionsgröße verwenden:

 

 

Um diese Formel korrekt anzuwenden, bedarf es natürlich etwas charttechnischen Fingerspitzengefühls und des Wissens, welche Höhe an maximalem Verlust eigentlich akzeptabel ist. Die simple Denkweise „Ich verkaufe bei 20 Prozent Kursverlust“ greift zu kurz. In der Regel sollte man maximal ein bis zwei Prozent des verfügbaren Investitionskapitals riskieren. Habe ich also beispielsweise 20.000 Euro an verfügbarem Kapital, das ich in den Aktienmarkt investieren möchte, dürfte ich der Regel folgend mit maximal 200 bis 400 Euro Verlustrisiko pro Aktie agieren.

Diese Strategie empfiehlt sich vor allem bei stark schwankenden Wachstumswerten, bei denen man bei sich anbahnenden Korrekturen möglichst frühzeitig aus der Position draußen sein sollte.

Quelle: guidants.com

Ein Beispiel: Wir interessieren uns für die Aktie von Square. Bei einem Einstieg bei 211 Dollar, einem gut setzbaren Stopp bei 185 Dollar und einem maximal tolerierten Risiko von 300 Dollar, ergibt sich eine zu kaufende Stückzahl von elf bis zwölf Stück. Die Formel lautet: 300/(211-185) = 11,5

Sympathisch an dieser Formel ist nicht nur der Umstand, dass man durch die Anwendung die Verlustrisiken besser im Griff hat, sondern insbesondere die Tatsache, dass man sich VOR dem Kauf nicht nur mit dem möglichen Gewinn, sondern auch mit dem möglichen Verlust auseinandersetzt. Gerade, wenn einen wieder die Emotionen packen und man sich bereits ausmalt, was man mit den Gewinnen alles anstellen wird, sorgt die Formel dafür, dass man mit der nötigen Rationalität agiert.

Der Strategie treu bleiben und Regeln aufstellen

Hin und Her macht Tasche leer. Das gilt nicht nur beim Aktienkauf, sondern auch in Bezug auf die gewählte Strategie. Dass dies mitunter schwerfallen kann, zeigt sich anhand des Vergleichs zwischen S&P 500 Value und S&P 500 Growth.

Quelle: CNBC

Es gibt Zeiten, in denen eine Strategie besser läuft, als die andere. Wenn man aufgrund der stärkeren Performance von Value 2007 in diesen Anlagestil umgeschichtet hätte, wäre man genauso gelackmeiert gewesen, wie mit einer Umschichtung in Growth Anfang 2021. Deshalb gilt es, sich für einen der beiden Anlagestile zu entscheiden und diesem treu zu bleiben. Mit dem Kauf eines ETFs mit Schwerpunkt auf den globalen Aktienmarkt kommt man auch ohne diese Entscheidung aus.

Unabhängig vom Streit zwischen Value und Growth gibt es aber auch andere Strategien. So kann man auf Wachstumschampions setzen, charttechnische Ausbrüche handeln, ausschließlich schuldenfreie oder gründergeführte Unternehmen kaufen oder eine Trendfolgestrategie verfolgen.

Egal was Sie tun: Wichtig ist, dass Sie der gewählten Strategie treu bleiben, auch wenn immer wieder zwischenzeitliche Leerlaufphasen auftreten werden. Je nach Marktphase funktioniert die gewählte Strategie mal besser, mal schlechter. Nun ist es ganz menschlich, sich ständig umorientieren zu wollen, wenn es aktuell mal nicht so rund läuft. Hierfür liegt der Grund im menschlichen Aktionismus, welcher im steinzeitlichen Angesicht eines Säbelzahntigers zwar ganz nützlich gewesen sein mag, an der Börse aber mehr Schaden als Nutzen bringt.

Mit der Verschriftlichung eines Regelwerks steuern Sie dieser Sprunghaftigkeit am wirkungsvollsten entgegen. Ein Regelwerk könnte beispielsweise so aussehen:

Ich halte in meinem Depot nur Aktien, die…

  • eine durchschnittliche freie Cashflowmarge von 15 Prozent erwirtschaften

  • ihre Verschuldung mit dem freien Cashflow innerhalb von drei Jahren abbauen können

  • sich über dem 50-Wochen-Schnitt befinden

  • gründergeführt sind

  • den Umsatz um mindestens fünf Prozent p.a. steigern

  • eigene Aktien zurückkaufen

  • sich in einem stabilen Aufwärtstrend befinden

„Was heißt das konkret für mich!?“

Nicht Intelligenz entscheidet über den Erfolg an der Börse, sondern die Fähigkeit, die eigenen Emotionen im Griff zu haben und handwerklich sauber zu arbeiten. Hängen Sie also nicht ständig Kurs-checkend an Ihrem Smartphone, lesen Sie stattdessen gute Bücher über die Geldanlage und entwerfen Sie Ihr ganz eigenes Börsenregelwerk.

Herzlichst

Ihr Christof von Wenzl

Quellen: guidants.com, cnbc.com

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