Relativ ist nicht absolut

Die Stabilisierung der ifo Geschäftsklimazahlen zeigt, dass das Schlimmste für die deutsche Wirtschaft wohl hinter uns liegt. Die klare Verbesserung der ifo Geschäftserwartungen zum zweiten Mal in Folge ist sicherlich erfreulich. Doch erfolgt diese von sehr geringem Niveau aus. Und historisch liegen die Erwartungen noch unter den Indexständen der Eurokrise 2012 oder des Handelskriegs in der Trump-Ära. Und ein Ende der Rezession im Sommerhalbjahr ist noch kein Aufschwung.

Die Erwartungen auf Branchenebene zeigen ein gemischtes, aber insgesamt stabileres Bild. Im Bausektor hält die Krise an. Man wartet sehnsüchtig auf Schmerzlinderung durch wieder bessere Zinskonditionen der EZB.

Der Handel profitiert von der wieder etwas besseren Kaufkraft der Konsumenten. Und während Dienstleister ihre Stabilisierung fortsetzen, schaut auch die Industrie vom Maschinenbau bis hin zu den besonders energieintensiven Bereichen weniger pessimistisch in die Zukunft. Die Neuaufträge lassen allerdings zu wünschen übrig.

Immerhin kommt Schützenhilfe von der sich aufhellenden Stimmung der Weltkonjunktur und damit Auslandsnachfrage. Die ifo Exporterwartungen gewinnen an Schwung.

Im Vergleich zu früheren Erholungszyklen profitiert der deutsche Wirtschaftsstandort von der anstehenden Konjunkturstabilisierung in den USA und China ab etwa Mitte des Jahres aber deutlich weniger.

Das „Heimatproblem“ irritiert den DAX nicht

unächst ist das deutsche Industrie-Know-how durch die massive Aufholung unserer Konkurrenten nicht mehr einzigartig. Insbesondere jedoch werden die offenkundigen Standortdefizite der letzten Jahrzehnte nicht nur nicht behoben, sondern noch verstärkt. Geradezu toxisch wirken sich Planungsunsicherheit, krankhaft adipöse Bürokratie, Vernachlässigung des Leistungsprinzips und die immer staatswirtschaftlichere Orientierung aus. Weniger arbeiten bei gleichem Lohn wird am Ende nur ausländische Wirtschaftsstandorte freuen.

Tatsächlich suchen immer mehr Unternehmen ihre Zukunft im Ausland, übrigens auch in der Schweiz, die zwar höhere Löhne als in Deutschland hat, aber deutlich produktiver ist. Aus Gründen der Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Konkurrenzunternehmen haben sie keine andere Wahl. Vogel friss oder stirb. Einzelne Investitionsentscheidungen pro Deutschland, denen mit kräftigen Subventionen auf die Beine geholfen wird und die von der Politik groß gefeiert werden, können diesen allgemeinen Negativtrend nicht kompensieren. Das sind Potemkinsche Dörfer.

Natürlich sind die Außeneinflüsse eine schwere Belastung. Wenn aber eine früher beeindruckende Volkswirtschaft immer mehr auf links gedreht wird, darf man sich über Pessimismus in Deutschland nicht wundern. Bleibt der wirtschaftspolitisch unbehandelt, wird er chronisch. Dann geht der Exodus deutscher Industriegüterkultur mit Verlust an Jobs munter weiter.

Der rational operierenden Börse ist es gleichgültig, wo deutsche Aktiengesellschaften gute Umsätze und solide Gewinne erwirtschaften, solange sie sie machen. Das erklärt die Diskrepanz zwischen der deutschen Wirtschaftsstimmung und der guten Laune des DAX.

Geldpolitik, die Zinsen senkt und mehr Inflation zulässt, kommt Aktien zugute

Die voranschreitende Erholung der Weltkonjunktur schlägt sich bereits in einer Befestigung der Rohstoffpreise nieder. Bei Rohöl trifft die Nachfragestabilisierung auf Angebotssorgen aufgrund geopolitischer Risiken (siehe Krise am Roten Meer, Angebotsausfälle nach Anschlägen auf russische Raffinerien). Zwar fehlt das Drohpotenzial für sprunghafte Ölpreisanstiege und ein Aufflammen massiver Inflationsängste. Doch tragen Energiepreise auf dem aktuell erhöhten Niveau ab April im Vorjahresvergleich wieder zur Inflation bei, anstatt wie bislang zu desinflationieren. Die letzten Preissteigerungsdaten haben wieder „überrascht“.

Notenbanken lassen sich davon nicht irritieren. Sie wissen, dass sie zinspolitisch nicht überreizen dürfen, um Systemkrisen wie Überschuldung mit Folgeschäden wie Finanzkrisen zu verhindern. Die reine Stabilitätslehre kann nicht mehr ex cathedra verkündet werden.

Trotz eines latenten Inflationsdrucks bleiben also die Zinssenkungsphantasien intakt. Zuletzt hat die Schweizerische Nationalbank als erste Notenbank der G10-Staaten ihre Zinsen gesenkt. Diesem Beispiel dürften auch Fed und EZB ab Juni folgen. Dies wird die Attraktivität von geldmarknahen Anlagen schwächen, weil Zinsanbieter jede Zinssenkung unverzüglich an die Kundschaft weitergeben. Die Aktienmärkte wird es freuen, die es mit weniger Attraktivität des größten Anlagekonkurrenten zu tun haben.

Zudem zeigt sich die nachlassende Zinsangst in einer weiter rückläufigen Schwankungsbreite bei US-Staatsanleihen auf dem mittlerweile niedrigsten Stand seit gut zwei Jahren. Auch das kommt „über Bande“ den Aktien zugute.

Nicht zuletzt, Inflation, die von Notenbanken nicht mehr konsequent wie früher bekämpft wird, kommt den sachkapitalistischen Anlageklassen Gold und Aktien zugute. Inflation macht sie teurer.

Marktlage - Die Konjunktur kommt und die Aktienbreite nimmt zu

Auf der fundamentalen Ebene erwartet Zacks Investment Research im Rahmen der US-Berichtssaison für das erste Quartal 2024 zwar noch eine leichte Gewinndelle. Doch liegt die Hürde so niedrig, dass kaum Enttäuschungs-, aber Überraschungspotenzial für die Aktienmärkte vorhanden ist.

Perspektivisch arbeiten sich die Gewinne wieder deutlich in den unteren zweistelligen Wachstumsbereich vor. In den weiteren Quartalen geht es dann im Einklang mit einer besseren Weltkonjunktur nach oben.

Branchenseitig zeigt sich ein gemischtes Bild. Tech-Werte - sie tragen ein Drittel zum Gewinnwachstum im S&P 500 bei - sind wieder fest im Wachstumsmodus, der sich fortsetzen dürfte. Aber auch der Einzelhandel sowie zyklische Konsumwerte werden überzeugen. Dem stehen Rückgänge bei Energie, Autos, Grundstoffen und Transport gegenüber. Besonderes Augenmerk ist auf die Ausblicke gerichtet, die sich unter dem Strich aufhellen.

Kursnachholbedarf besteht vor allem bei Firmen, die lange unter den globalen Konjunktursorgen gelitten haben und die besonders positiv auf das bald wieder günstigere Zinsumfeld reagieren. Antizyklische Investoren suchen daher frühzeitig den Einstieg bei Unternehmen aus der zweiten und dritten Reihe. Während der amerikanische Mittelstandsindex Russel 2000 bereits angezogen hat, wird auch der MDAX mit seinen international gefragten Titeln mehr und mehr Fahrt aufnehmen.

Stützende Wirkung kommt von der bevorstehenden Dividendensaison im April und Mai. Mit 52,3 Mrd. Euro werden die 40 Dax-Konzerne in diesem Jahr so viel ausschütten wie noch nie. Insgesamt haben 24 Unternehmen ihre Ausschüttungen angehoben, während nur fünf Senkungen bekanntgaben. Bei deutschen Einzelaktien lassen sich momentan Dividendenrenditen von bis zu gut sieben Prozent erzielen.

Der Vergleich von „Brutto- und Netto-Dax“ zeigt die Bedeutung der Dividendenrendite, die seit Einführung des DAX 1988 durchschnittlich 2,7 Prozent jährlich ausmacht. Ausschüttungsstarke Aktien bieten zudem ein Risikopolster gegen Kursschwankungen.

Sentiment und Charttechnik DAX - Wir sind überkauft!

Aus Sentimentsicht wischen Anleger, die zuletzt noch abwartend an der Seitenlinie standen, ihre Bedenken beiseite und treiben durch ihre Engagements die Kurse weiter in die Höhe. Welcher Vermögensverwalter will schon vor seine Anleger treten und mitteilen, dass die Rallye verpasst wurde? Dadurch hat sich nach der DAX-Rallye von gut 1.800 Punkten in rund zehn Wochen allerdings klares Korrekturpotenzial aufgestaut.

Als Kontraindikator dient auch der im Bereich der Gier liegende Fear & Greed Index von CNN Business, der die Gefahr von gesunden Gewinnmitnahmen nährt, die den Druck im Aktien-Kessel abbauen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Damit allerdings bieten sich Anlegern wieder günstige Kaufgelegenheiten. Denn aufgrund der Rahmenbedingungen für das verbleibende Jahr (Zinssenkungsphantasie, weltkonjunkturelle Erholung) sind Konsolidierungen Kaufgelegenheiten.

Charttechnisch liegen bei Fortsetzung der Aufwärtsbewegung die nächsten Widerstände bei 18.643 und 18.657 Punkten. Im Falle einer Korrektur trifft der DAX bei 18.468, 18.466, 18.410 und 18.360 Punkten auf Unterstützungen.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"