Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank. Mit Wertpapieranalyse und Anlagestrategien beschäftigt er sich seit Abschluss seines betriebswirtschaftlichen Studiums 1990. Robert Halver verfügt über langjährige Erfahrung als Kapitalmarkt- und Börsenkommentator und ist durch regelmäßige Medienauftritte bei Fernseh- und Radiostationen, auf Fachveranstaltungen und Anlegermessen sowie durch Fachpublikationen präsent.
Der Realitäts-Check an den Börsen setzt sich fort. Halten Inflations-, Zins- und Konjunktursorgen die Aktienmärkte weiter im Schwitzkasten? Oder ist angesichts der bereits extrem pessimistischen Grundhaltung und einiger fundamentaler Hoffnungsschimmer allmählich der Boden für eine Stabilisierung gelegt?
Die Gemeinschaftswährung ist einst mit den allerhöchsten Ansprüchen gestartet. Sie sollte die große Ersatzleitwährung zum US-Dollar werden. Tatsächlich stieg der Euro 2008 bis auf ca. 1,60 Dollar. Aktuell jedoch liegt er auf einem Fünf-Jahrestief und das Erreichen der Parität ist nicht ausgeschlossen. Manche (Geld-)Politiker stört das überhaupt nicht. Sie glauben sogar, dass ein schwacher ein wirtschaftlich starker Euro ist.
Auf den ersten Blick haben die Krisen, Konflikte und Unsicherheiten die Börsen weiter fest im Griff. Selbst ein harter Gibraltar-Fels wie die freizügige Geldpolitik scheint wie ein Keks in der Hand zu zerbröseln. Droht Aktien die neue harte Sachlichkeit? Doch sollte auch der zweite Blick nicht zu kurz kommen.
Der Glaube an Aktien ist aktuell schwach. Kein Wunder, Unsicherheiten und Risiken wohin man schaut. Woher kommen mögliche Lichtblicke und wie sollten sich die Anleger verhalten?
Da die Inflation doch nicht nur vorübergehend, sondern nachhaltig ist, muss sich die Fed jetzt als beherzte Kämpferin gegen Preisdruck präsentieren. Zuviel geldpolitische Restriktion würde die kreditabhängige US-Konjunktur jedoch in eine Rezession führen. Gleichzeitig Preissteigerungen über Zinsanhebungen und Liquiditätsverknappung einzudämmen und Wirtschaftswachstum zu stabilisieren - also ein soft landing zu erreichen - ist ein Experiment, das auch scheitern kann.
Gibt es wirklich Börsenregeln, an denen man sich wie an „Heiligenbildern“ festhalten kann? Eine der bekanntesten lautet: Im Mai, vor den schwachen Börsenmonaten im Sommer, sind Anleger gut beraten, ihre Aktien zu verkaufen. Im September sollten sie zurückkommen, um von der Jahresendrallye zu profitieren. Hat diese Regel in der Vergangenheit funktioniert - und wenn ja, lässt sich daraus auch eine Gesetzmäßigkeit für die aktuelle Börsenentwicklung ableiten?
Die Börsen bleiben angeschlagen. In der Ukraine-Krise dreht sich die Teufelsspirale aus Sanktionen und Gegensanktionen mit Folgen für die Energieversorgung immer weiter. Und selbst die geldpolitischen Lebensretter sind vermeintlich immer weniger hilfsbereit. Mittlerweile lässt die Inflation scheinbar selbst die EZB nicht mehr kalt.
Viele Franzosen haben Macron nur als das kleinere Übel gegenüber Le Pen gewählt. Weiteren Reformstau und damit Wohlfahrtsverluste kann sich der alte und neue Staatspräsident nicht mehr erlauben. Sonst würden extreme Parteien bei der nächsten Präsidentenwahl in fünf Jahren doch noch zum Zug kommen. EU-relevant wie Frankreich ist, könnte Europa dann - zumal in geopolitisch und wirtschaftlich schwierigem Fahrwasser - irreparabler Schaden zugefügt werden.
Nicht nur der unberechenbare Ukraine-Krieg ist ein Konjunkturrisiko vor allem für Europa. Hinzu kommen strukturelle Handicaps im weltwirtschaftlich relevanten China. Dort sorgt die Null Covid-Politik für massive Lieferengpässe. Zu allem Übel für die Aktienmärkte scheint jetzt auch die US-Notenbank vehement gegen Inflation mobilzumachen. Trotz der Vielzahl an Risiken sollten Anleger dennoch nicht aufhören, zwischen den Zeilen zu lesen.
Deutsche Anlagezinsen sind zuletzt gestiegen und nicht mehr negativ. Da aber die Inflation viel schneller ansteigt, sinken die Realzinsen dennoch weiter. Wird denn die EZB zukünftig ihrem Auftrag gemäß Inflation konsequent bekämpfen und Zinssparen wieder attraktiver machen? Ja, und die Erde ist eine Scheibe. Nein, wenn die große Liebe zu Zinspapieren und die Abneigung gegenüber Aktien sich nicht endlich umkehren, führt Altersvorsorge wie auf einer Einbahnstraße direkt zur Altersarmut.
Auch im nächsten Quartal wird die Ukraine-Krise ein stark bestimmendes Börsenthema sein. Doch ist eine Prognose über die Kriegsentwicklung und ihre Folgen für Konjunktur und Kapitalmärkte schwierig. Real ist aber die Gefahr einer „Rezflation“. Eine Rezession bei hohen Preisen stürzt die Geldpolitik in ein massives Dilemma. Da sie nicht gleichzeitig offensiv und defensiv handeln kann, wird sie sich entscheiden müssen.
Seit Beginn der Globalisierung ist Deutschland einer ihrer größten Profiteure. In dieser Ära gab es zwar auch Wirtschaftsabschwünge. Doch mit sintflutartig billigem Geld wurden die konjunkturellen Dinge wie beim Orthopäden wieder geradegerückt. Die Inflation war dabei kein Engpassfaktor, denn die internationale Arbeitsteilung machte Preisanstiege zu Duckmäusern. Doch schon mit Corona, vor allem aber wegen des Ukraine-Kriegs, zeigt das gute alte Globalisierung-Bild deutlich Risse.