Ich schätze es sehr, gute Freunde in Amerika zu haben. Nicht zuletzt sind sie für mich auch eine unkonventionelle, volksnahe Quelle für tiefer gehende Einschätzungen der Empfindlichkeiten der US-Amerikaner abseits der ansonsten verfügbaren, offiziellen Informationen. Und wie viele Jahre vorher habe ich auch in diesem Sommer meine Freunde wieder mit Freude besucht.

 

Amerika mit kritischer Brille betrachtet

Allerdings war in diesem Jahr etwas anders. Wurde man früher zügig und deutlich daran erinnert, dass Amerika „untouchable“, „an economic powerhouse“ und „the leader of the free world“ sei, war jetzt eine deutlich leisere, zurückhaltende Stimmung bei meinen Freunden spürbar. Sie berichten nicht nur ernüchtert, dass der früher so berühmte Jobmotor bislang nicht angesprungen ist. Viel schlimmer, selbst für College- oder sogar Universitätsabsolventen ist eine Beschäftigung im Fast Food-Bereich mittlerweile nichts Außergewöhnliches mehr.

Das Bestreiten des täglichen Lebens wird für viele Amerikaner schwieriger. Dabei treibt die soziale Notlage immer seltsamere Blüten. So wird in den Lokalzeitungen Amerikas schon einmal angemahnt, vorausschauend zu fahren. Die Begründung ist, so erläuterte man mir, dass der ein oder andere Gullideckel auf der Straße aufgrund der immer noch hohen Metallpreise über Nacht verlustig gehen könnte. Außerdem kann es auf wenig befahrenen Landstraßen mitunter vorkommen, dass ein Lebensmittel transportierender LKW gekapert wird. Im Mittleren Westen hat sich mittlerweile wieder eine Tauschwirtschaft etabliert, bei der z.B. eine Arztbehandlung gegen Anstrich des Wohnhauses gang und gäbe geworden ist. Und um an Medikamente zu gelangen, sind auch schon Krankenwagen - mit Patient - abhanden gekommen. Besonders bemerkenswert ist auch, dass die großen Hypothekenfinanzierer angefangen haben, die ihnen über Zwangsvollstreckung angedienten Häuser wegen mangelnder Verkaufsfähigkeit abzureißen. Sie sparen damit deutlich Immobiliensteuern.

 

US-Politik hinterlässt verbrannte Erde

Zunehmend dämmert es den Amerikanern, dass die Happy Hour des schuldenfinanzierten Daueraufschwungs tatsächlich beendet ist. Kürzlich zeigte ein Foto in der New York Times einen verrosteten Einkaufswagen ohne Räder, aus dem das Unkraut wuchert. Ein Bild sagt wohl mehr als tausend Worte. Angesichts dieser Sackgasse ist es für meine Freunde unerträglich, dass Demokraten und Republikaner in den USA es nicht mehr verstehen, wie früher in Notsituationen ihre Kräfte zu bündeln und für positive Aussichten zu sorgen. Dieser Grundkonsens, der zu Zeiten der großen Depression in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts, nach dem Platzen der Dotcom-Blase oder nach der Lehman-Pleite noch zu beobachten war, wird derzeit leider ersetzt durch politische Schlammschlachten. So hat das unerträgliche Drama um die Anhebung der amerikanischen Schuldengrenze jedem vor Augen geführt, dass Amerika ein wirklich ernstes Problem hat. Was man hiermit - ich sehe die enttäuschten Gesichter meiner Freunde vor meinem geistigen Auge - an wirtschaftlichem Urvertrauen und Sicherheit zerstört hat, lässt sich kaum beziffern. 50 Prozent der Rating-Herabstufung Amerikas durch S&P gehen auf das Konto dieses Vertrauensverlustes.

Schlimmer als die Art der Schuldendebatte ist allerdings, dass Amerika nicht mehr perspektivisch denkt. Natürlich hat Amerika mehr Schulden als Florida Sand an seinen Küsten, aber Schuldenabbau allein ist keine Lösung. Denn immerhin sind Schulden spätestens seit den good old days von Ronald Reagan, und bei beiden Präsidenten Bush und nicht zuletzt bei Obama immer das hochwirksame Zauberelixier gewesen, um aus den wirtschaftlichen Ruinen aufzuerstehen. Würde jetzt Amerika mit Sparen tatsächlich Ernst machen und einen ausgeglichenen Haushalt anstreben, müsste die Hälfte aller Staatsausgaben - die Republikaner lehnen ja selbst die Erhöhung der Hundesteuer kategorisch ab - gestrichen werden. Dies würde, da der private Verbrauch keine Wachstumsimpulse liefert, zu einer ausgewachsenen Depression führen.

 

Wo bleibt der New Deal 2?

Das Schuldenproblem muss grundsätzlich im Zusammenhang mit der Nachfrageschwäche in den USA gesehen werden. „It’s the demand, stupid“, so ein amerikanischer Freund. Man muss also an den Wachstumsperspektiven ansetzen. Wo bleibt aber die Politik mit ihrem Plan B, ihrem New Deal 2, der Amerika - wie unter Roosevelt in den 30er-Jahren - zukünftig das Geld verdienen lässt, um die Schulden nachhaltig zurückzuzahlen ohne die Wirtschaft kaputtzusparen? Still ruht der See. Würde man jetzt z.B. den Fokus auf ein umweltfreundliches „Green America“ ähnlich stark legen wie in der Vergangenheit auf High Tech und Internet, könnte eine neue klare Vision für Arbeitsplätze entstehen. Das erfordert zunächst sicherlich neue Schulden. Dieses Geld wäre jedoch zukunftsträchtiger investiert als die bislang verabreichten, unzulänglichen Aufbauspritzen, die dem lahmenden Gaul des überschuldeten Konsums nur vorübergehend wieder auf die Beine helfen können. Bill Clinton konnte u.a. mit New Economy nahezu ausgeglichene Haushalte vorweisen. Warum sollte man diesen Pioniergeist nicht wieder an den Tag legen?

 

Amerikanische Schuldigensuche kein sinnvoller Lösungsweg

Unwürdig ist es für Amerika in jedem Fall, die Schuldigen für die Misere in der Euro-Krise zu suchen, die grundsätzlich nicht zu leugnen ist. Aber jeder muss seine Hausaufgaben selbst machen. Die USA als der ungeschlagene Weltmeister in positiver Wirtschaftspsychologie sollte sich bewusst werden, dass US-Konzerne ihre gewaltigen Liquiditätsberge auch deshalb nicht in Amerika investieren, weil die unsicheren politischen Rahmenbedingungen nicht gerade einladend wirken.

Es sei hier daran erinnert, dass die Pleite der Lehman-Bank an sich nicht Schuld an der Finanz- und weltweiten Wirtschaftskrise hatte. Es war vor allem die folgende massive Unsicherheit, die den Banken und der Realwirtschaft den Garaus gemacht hat. Oder wie drückt es einer meiner Freunde in den USA immer so treffend aus: „Chickens do not lay eggs if they have no rest“.

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