Gerade vor diesem Hintergrund muss man das Einfrieren der russischen Devisenreserven bei ausländischen Notenbanken und Kreditinstituten mit Sorge betrachten. Letztlich droht so dem russischen Staat die Zahlungsunfähigkeit, weil Rückzahlungen und Zinsen für Anleihen nicht mehr gezahlt werden können.

Anders als beispielsweise bei der argentinischen Staatspleite ist Russland aber nicht überschuldet oder hat keine Vermögenswerte mehr, sondern der – auch im internationalen Vergleich reiche – russische Staat kommt nicht mehr an sein Vermögen. Es ist also keine Staatspleite „mangels Masse“, sondern mangels Verfügbarkeit.

Natürlich verhindert man so, dass Russland weitere Waffen kaufen kann, durch Verträge mit Staaten, die die Sanktionen nicht mittragen. Der Schritt des Einfrierens von staatlichem Vermögen schädigt aber auch alle, die Russland Geld zur Verfügung gestellt haben. Dies waren nicht nur russische Oligarchen, sondern auch internationale Banken und Kapitalsammelstellen.

So werden auch nicht wenige Anleger in Fondsprodukten großer Anbieter Beimischungen russischer Staatsanleihen haben, bei denen derzeit keine wirkliche Kursfeststellung stattfindet und bei denen das Rückzahlungsrisiko besteht.

Auch diesen Kollateralschaden kann bzw. muss man vielleicht in Kauf nehmen, um einen Krieg zu stoppen. Allerdings geschieht noch wesentlich mehr. Mit dem Einfrieren der ausländischen Devisenreserven Russlands hat man ein sehr gefährliches Instrument eingesetzt. So kann man bonitätsstarke Staaten in die Knie zwingen, weil sie eben nicht mehr an ihr im Ausland gelagertes Vermögen herankommen.

Jetzt mag dies gerechtfertigt sein. Aber wäre dieses Instrument beispielsweise schon zur Amtszeit von Donald Trump in den USA erprobt und sogar vielleicht akzeptiert gewesen, hätte der damalige US-Präsident möglicherweise mexikanisches Staatsvermögen, das in den USA verwahrt wurde, festgesetzt. Auch gegenüber China hätte dies eine Maßnahme sein können, zumal der Schritt, fremdes Vermögen einzufrieren, nicht mehr weit davon entfernt ist, Schulden nicht mehr zurückzuzahlen.

Anleihen sind Kredite, die Staaten, Institutionen und Unternehmen gewährt werden. Kredit kommt von „credere“ – aus dem Lateinischen übersetzt „glauben“. Der Kreditgeber glaubt an die Zahlungsfähigkeit und Zahlungsbereitschaft des Schuldners. Wenn dieses Vertrauen verloren geht, wird es an den Kapitalmärkten schwierig. Die Euro-Schuldenkrise hat dies gezeigt. Das gegen Russland eingesetzte Instrument geht noch weiter: Hier wird dem Schuldner die Zahlungsfähigkeit durch den Lagerort des Vermögens genommen. Es hebt das Instrument einer Vermögenspfändung auf ein völlig anderes Niveau.

Die Kapitalmärkte basieren aber auf Vertrauen, das verloren geht, wenn die Regeln nicht eingehalten werden. Kurzfristig mag es daher ein Erfolg werden und Russland nicht in eine Staatspleite durch Überschuldung, sondern durch mangelnden Zugang führen, langfristig ist dieses Instrument aber durchaus gefährlich. Um ein höheres Ziel zu erreichen, greifen insbesondere westliche Staaten tief in Eigentumsrechte eines Dritten ein. Es bleibt zu hoffen, dass dies kein gängiges Instrument wird, um Interessen – egal, wie gut diese gemeint sein mögen – durchzusetzen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Für Anleger sind diese Entwicklungen auf zwei Eben interessant. Zum einen definiert sich ein Stück weit die Zahlungsunfähigkeit neu. Sie muss nicht mehr entstehen, weil keine Vermögenssubstanz vorhanden ist, sondern resultiert hier aus der Nicht-Verfügbarkeit. Diese ist dann auch noch künstlich herbeigeführt worden, was aus Anlegersicht zu einer Neudefinition von Liquidität und Fungibilität führen muss.

Anleihen müssen jetzt also nicht nur unter dem Blickwinkel „sicher, substanzstark und rentabel“ definiert, sondern müssen auch stärker unter einem Blickwinkel des übergeordneten moralischen Wertes gesehen werden. Wenn dieser nicht hinreichend gegeben ist, besteht das Risiko, dass es Rückzahlungsschwierigkeiten gibt.

Die zweite Ebene ist aber auch die Frage der Lagerung von Anlagen, die unter diesen Kriterien ausgewählt wurden. Bislang galt, dass unabhängig von der Bonität eines Kreditinstituts immer ein Aussonderungsrecht für alle Formen von börsennotierten Wertpapieren besteht.

Wie aktuell bei den ausländischen Devisenreserven Russlands kann auch dieses Aussonderungsrecht untergraben werden. In diesem Fall kann ein Anleger hervorragende Wertpapiere in seinem Besitz haben, dennoch sind sie für ihn nicht verfügbar. Daher müssen neben den Anlagen selbst zukünftig auch die Lagerstellen wie Depotbanken und Kreditinstitute so ausgewählt werden, dass sie einem „moralischen Wertekompass“ entsprechen.

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