Am 15. Juni 2023 schlug der tschechische Präsident Petr Pavel im veröffentlichten Interview des US-finanzierten Senders „Radio Freies Europa“ (RFE) in Prag vor, im Westen lebende Russen zu überwachen: „Sie sind Bürger einer Nation, die einen aggressiven Krieg führt“(1), sagte der frühere NATO-General. Die Ausland-Russen könnten einem leid tun, so der in transatlantischer Wolle gefärbte Präsident. Aber das sei schlicht der „Preis des Krieges“, den Russland seit mehr als 15 Monaten gegen die Ukraine führt. Als Beispiel erinnerte Pavel an die Überwachung japanisch-stämmiger Amerikaner in den USA während des Zweiten Weltkriegs.

Der ehemalige Karriere-Soldat Petr Pavel – er war 2012 mit 51 Jahren bereits Drei-Sterne-General – besaß bis zur Wende das Parteibuch der Kommunisten und nahm dann seine Chancen in der NATO wahr. Von 1995 bis 1996 besuchte er die Generalstabsakademie für Offiziere der britischen Armee in Camberley und 2005 das Royal College of Defence Studies in London. Von 1999 bis 2002 war er Verbindungsoffizier im Hauptquartier für die NATO-Streitkräfte Mitteleuropa (AFCENT) sowie Stellvertreter des Befehlshabers des aus AFCENT hervor gegangenen Regionalkommandos AFNORTH. Anschließend bekleidete er bis 2018 das Amt des Vorsitzenden des Militärausschusses der NATO. Der eloquente Präsident Tschechiens gibt sich woke und versucht seine skeptischen Landsleute davon zu überzeugen, noch mehr Waffen ins Kriegsgebiet zu schaffen.(2)

Die Forderung, die im Westen lebenden und aus Russland stammenden Menschen ähnlich zu überwachen wie die Vereinigten Staaten nach dem Angriff Japans auf Pearl Harbor die in den USA lebenden Japaner, offenbart bei Pavel gefährliche Geschichtslücken oder menschenverachtendes Gedankengut. 

“Überwachung” japanisch-stämmiger Amerikaner nach dem 7. Dezember 1941

Am Tag des Angriffs Japans auf Pearl Harbor war das Verfahren zur Internierung feindlicher Ausländer schon lange ausgearbeitet. Unverzüglich erließ Präsident Roosevelt mehrere Presidential Proclamations, die den Verhaltenskodex festlegten, der zunächst für die Japaner und – nachdem Deutschland und Italien am 11. Dezember 1941 den Vereinigten Staaten den Krieg erklärt hatten – für alle ausländischen Feinde gelten sollte. Um den Status der Staatsangehörigen der Achsenmächte und die Regeln, die für diese gelten sollten, weiter zu klären, gab US-Generalbundesanwalt Francis Biddle am 19. Dezember 1941 eine Erklärung heraus(3). Mittlerweile war das FBI aber bereits in Aktion getreten. Innerhalb von zwei Stunden nach dem japanischen Angriff wurden in 35 Staaten 2.303 Ausländer festgenommen (1.291 Japaner, 865 Deutsche und 147 Italiener); in Hawaii benötigte das FBI gerade mal drei Stunden, um die gesamte deutsche Gemeinde zu verhaften(4).

Der Kommissar der Einwanderungsbehörde “Immigration and Naturalization Service” (INS), Earl G. Harrison, gab die Zahl der Verhafteten mit „mehr als tausend […] vor Tagesende am 8. Dezember 1941″ an.(5) An diesem Tag hatte der Kongress mit einer überwältigenden Mehrheit für den Eintritt des kürzlich noch auf Isolation pochenden Amerikas in den Zweiten Weltkrieg gestimmt.

Am 19. Februar 1942 bevollmächtigte der damalige Präsident Roosevelt mit seiner „Executive Order 9066“ den US-Kriegsminister und seine Kommandeure, „einzelne oder alle Personen von militärischen und/oder militärisch sicherheitsrelevanten Gebieten zu verweisen“.(6) Obwohl in der Executive Order keine bestimmte Gruppe oder ein bestimmter Ort erwähnt wurde, führte sie zur Internierung japanisch-stämmiger Amerikaner an der Westküste der Vereinigten Staaten und zu ihrer Umsiedlung ins Landesinnere (War Relocation Centers).

Die meisten Verhafteten wurden mitten in der Nacht in Polizei- oder INS-Bussen zu einem der mehr als 50 provisorischen Arrestzentren gebracht. Dies waren Polizeistationen, Kreisgefängnisse, INS-Zentren, Zeughäuser der National Guard oder Lager des Civilian Conservation Corps (CCC). Nicht ohne Ironie ist der Umstand, dass manche auch in den heruntergekommenen Empfangshallen von Ellis Island untergebracht wurden, an einem Ort, an dem in besseren Zeiten so viele Millionen Einwanderer voller Hoffnung angekommen waren. Die Verhafteten, viele von ihnen mit Familie, drängten sich zusammen und warteten angstvoll ab, was weiter mit ihnen geschehen würde. Die meisten hatten keine Gelegenheit mehr gehabt, irgendwelche Habseligkeiten zusammenzupacken, und mussten nun versuchen, die folgenden Monate mit dem Nötigsten zu überstehen.

Die endgültige Internierung wurde schließlich im Sommer und Herbst 1942 in den 10 „Relocation Centers“, die sich in den abgelegensten Gegenden Amerikas befanden und der War Relocation Authority (WRA) unterstanden, vollzogen.(7) Die mit Stacheldraht eingezäunten Lager bestanden aus etwa 20 x 120 Fuß breiten Baracken, die jeweils vier bis sechs Räume hatten. Eine Familie wohnte in einem etwa 20 x 20 Fuß großen Zimmer, in dem sich nur eine Glühbirne, ein Ofen und ein mit einem Leintuch versehenes Armeefeldbett befanden. Bewaffnete Soldaten, nächtliche Scheinwerfer, Zensur der Post, Anwesenheitskontrollen und gemeinschaftliche Benutzung jeglicher Einrichtungen – besonders in der japanischen Kultur kommt dies einem enormen Verlust der Privatsphäre gleich – prägten den Alltag der in die USA eingewanderten Japaner: Issei (in Japan Geborener) und Nisei (Andere mit voller Staatsbürgerschaft).

Ein großer Teil der Internierten hatte seine Wurzeln in den europäischen Ländern. Der amerikanische Historiker Arnold Krammer hat die Anzahl der Internierten für diesen Zeitraum mit insgesamt 31.275 angegeben(8): 18.849 Japaner, 10.905 Deutsche, 3.278 Italiener, 52 Ungarn, 25 Rumänen, fünf Bulgaren und 161 Bürgern anderer europäischer Länder. Diese Zahlen schließen freilich amerikanische Ehefrauen und andere Familienangehörige nicht ein, die den Internierten in die Lager folgten. Um Handschellen angelegt zu bekommen, brauchten die Verdächtigen noch nicht einmal amerikanischen Boden betreten zu haben. Viele Deutsche und Japaner wurden in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern verhaftet und in die USA verschleppt. Dort wurden sie in die Internierungslager Fort Lincoln/Bismarck, Fort Missoula/Missoula, Santa Fe/New Mexico und Crystal City/Texas eingeliefert. Die Entlassung der Japaner und der japanisch-stämmigen US-Bürger konnte erst im Juni 1946 abgeschlossen werden, während sich die Europäer und europäisch-stämmige US-Bürger bis Juli 1948 gedulden mussten. Am 10. August 1988 unterschrieb Präsident Reagan den „Civil Liberties Act“ und entschuldigte sich öffentlich für die Ungerechtigkeit von damals.(9) Die Regierung sprach allen Japanern – einschließlich der vor dem Februar 1942 verhafteten – eine Entschädigung von 20.000 US-Dollar pro Person zu.

Die ersten Schecks wurden allerdings erst 1990 ausbezahlt, obwohl bekannt war, dass monatlich etwa 200 ehemalige „Internees“ starben. Dennoch war der „Civil Liberties Act“ einmalig in der amerikanischen Geschichte: Noch nie zuvor hatte sich die Regierung bei einer Minderheitengruppe für ihr Vorgehen entschuldigt.(10)

Die ehemaligen nicht-japanischen Inhaftierten kämpfen seit dem Ende des 20. Jahrhunderts um Anerkennung und Aufarbeitung der Internierung. Sie werfen den Verantwortlichen Verstöße gegen die Menschlichkeit vor und fordern finanzielle Entschädigung. 2005 gründete sich die Organisation „German American Internee Coalition“ mit dem Ziel, die Inhaftierung, Heimführung sowie den Austausch von Zivilisten deutscher Herkunft während des Zweiten Weltkrieges publik zu machen und politische Anerkennung zu erwirken.(11) 2001 wurde mit dem sogenannten „European Americans and Refugees Wartime Treatment Study Act“ ein Gesetzentwurf eingebracht, der es einer unabhängigen Untersuchungskommission ermöglichen sollte, während des Zweiten Weltkrieges getroffene politische Entscheidungen gegen Staatsangehörige verfeindeter Nationen zu untersuchen. Dieses Gesetz wurde zwar 2007 vom Senat verabschiedet, scheiterte aber im Repräsentantenhaus.

Sämtliche deutschen Regierungen waren in vorauseilendem Gehorsam stets bestrebt, die Wünsche Washingtons zu erfüllen. Zur Unterstützung des ersten Irakkriegs (er wurde mit der sogenannten „Brutkastenlüge“ inszeniert) forderte die US-Regierung zusätzlich insgesamt 18 Milliarden D-Mark. Die letzte Rate wurde am 28. März 1991 gezahlt (Anm. d. Red.: Die Jahreszahl wurde korrigiert, vorher stand hier fälschlicherweise 2021).(12) In diesem Zusammenhang ist es schon verwunderlich, dass keine Regierung die berechtigten Forderungen der deutschen Internierten unterstützt hat. 

Was hatte den damaligen US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt dazu bewegt, insgesamt 77.000 amerikanische Staatsbürger(13) – die zufällig japanischer Abstammung waren(14), aber an die amerikanischen Ideale meist aus voller Überzeugung glaubten – einige Jahre ihres Lebens in abgelegenen Internierungslagern verbringen zu lassen?

Das Internierungsprogramm während des Zweiten Weltkriegs und die Massenverhaftungen stellen gerade heute einen bedrohlichen Präzedenzfall für die Zukunft Amerikas dar. Es dürfte im krassen Widerspruch zur amerikanischen Verfassung stehen, wenn eine US-Regierung geheime Listen mit den Namen Tausender von amerikanischen Bürgern sowie legal in den USA ansässigen Ausländern anlegt, die auf bloßen Verdacht hin in Internierungslagern zusammengepfercht werden. 

Wie kann der Präsident Tschechiens vor diesem Hintergrund die Überwachung der im Westen lebenden Russen nach dem aufgezeigten Vorbild fordern?

Pavel fordert damit die Stigmatisierung aller Russen im Westen. Die Eskalationsstufen sind dann nicht mehr aufzuhalten: Diffamierung – Ausgrenzung – Überwachung – Internierung – am Ende „zum Abschuss“ freigeben. Vielleicht folgen dann auch noch jene Menschen, die es wagen, selbständig zu denken und Alternativlösungen anzuregen. Da der türkische Präsident Erdogan einen privaten Krieg in Syrien und Nordirak gegen Kurden führt, könnte dann zwangsläufig auch für die im Westen lebenden Türken die “Überwachung” gefordert werden. 

Mit seiner ungeheuerlichen Forderung bestätigt Pavel den Vorwurf der Russophobie des Westens, den Putin, Lawrow, Nebensja und andere zu Recht geäußert haben. Will Pavel Tschechien zu einem Überwachungsstaat umfunktionieren oder hat sich der ehemalige Vorsitzende des Militärausschusses der NATO in der Dramaturgie der Eskalation nur zum Sprachrohr des NATO-Generalsekretärs machen lassen?

Im Gegensatz zu dem ehemaligen Berufsoffizier Pavel, der sich klar zur NATO und zum angestrebten Sieg der Ukraine bekannte, hatte der unterlegene Präsidentschaftskandidat und Ex-Regierungschef Andrej Babis im Präsidentschaftswahlkampf Gespräche mit Moskau gefordert und angekündigt, Polen bei einem Angriff nicht mit Soldaten beizustehen. 

Am 21. Juli 2023 bereitete der russische Staatschef Putin seine Landsleute auf den Ausbruch eines möglichen russisch-polnischen Krieges in unmittelbarer Zukunft vor. Am gleichen Tag begann das russische Staatsfernsehen die “Nachrichten der Woche” mit einem 30-minütigen Dokumentarfilm über die polnisch-russischen Beziehungen seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und während des russischen Bürgerkriegs, als die Regierung von Marschall Pilsudski erhebliche Gebiete der russischen Kontrolle entriss. Auch Polens gut dokumentierte Rolle als Aggressor und Besetzer tschechoslowakischer, litauischer, ukrainischer und weißrussischer Gebiete vor Beginn des Zweiten Weltkriegs und bis zum Überfall Hitlers auf Polen wurde ausführlich behandelt. Sollte der ehemalige NATO-General Pavel die aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sichtbar gewordenen tschechisch-polnischen Befindlichkeiten nicht kennen oder sogar verdrängt haben? 

Unter geschichtsbewussten Tschechen dürfte eine Unterstützung Polens jedenfalls auf wenig Gegenliebe stoßen.(15) 

Quellen und Anmerkungen:

Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als Pionierhauptmann bei der Bundeswehr tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld“ in Europa. Nach zwölfjähriger Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft sowie Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik) und unterrichtete bis 2000 an der Fachschule für Bautechnik. Seitdem publiziert er zur jüngeren deutschen Geschichte und zur US-Geopolitik. 

Als Autor setzt sich Wolfgang Effenberger seit seinem ersten Buch „Pax americana“ (2004) engagiert für den Frieden ein. Im April 2022 erschien von ihm “Die unterschätzte Macht: Von Geo- bis Biopolitik – Plutokraten transformieren die Welt”. Weitere Bücher von ihm zum Thema:

“Wiederkehr der Hasardeure” (2014, Koautor Willy Wimmer), die Trilogie „Europas Verhängnis 14/18“ (2018/19) sowie “Schwarzbuch EU & NATO” (2020).

Quellen:

1) https://web.de/magazine/politik/russland-krieg-ukraine/krieg-ukraine-live-ticker-tschechiens-praesident-ueberwachung-russen-westen-38324246

2) https://www.zeit.de/2023/10/petr-pavel-tschechien-waffenlieferungen-ukraine

3) Francis Biddle, Axis Aliens in America – Statement of Policy Issued December 19, 1941, in: Survey Graphic, Januar 1942, S. 13, 47

4) Peter B. Sheridan, The Internment of German and Italian Aliens Compared with the Internment of Japanese Aliens in the United States during World War II. A Brief History and Analysis, vervielfältigtes Arbeitspapier, in: Library of Congress, Congressional Research Service, Main File, D-521, USA, und JV-6201 USA-Japanese. Vgl. auch Houston Post, 10.12.1941, S. 1, und 11.12.1941, S.2.

5) Earl G. Harrison, Civilian Internment – American Way, in: Survey Graphic, Mai 1944, S. 229-233, 270.

6) https://www.britannica.com/topic/Executive-Order-9066

7) In Kalifornien gab es die Lager „Manzanar“ und „Tule Lake“, in Arizona „Poston“ und „Gila River“, in Arkansas „Rohwer“ und „Jerome“, in Idaho „Minidoka“, in Wyoming „Heart Mountain“, in Utah „Topaz“ und in Colorado „Granada“. Vgl. Hatamiya, L.T.: Righting a Wrong, S. 19. Im Anhang, Seite III, findet sich eine Karte der verschiedenen Lager.

8) Zitiert wie Wolfgang Effenberger: Pax americana. München 2004, S. 235

9) Eine Grundlage für den „Civil Liberties Act“ war unter anderem „Public Law 96-317“, ein Gesetz, das 1980 von Präsident Carter unterschrieben wurde und die „Commission on Wartime Relocation and Internment of Civilians“ (CWRIC) ins Leben rief. Aufgabe der Kommission war es, die Umstände, die zu „Executive Order 9066“ geführt hatten, zu untersuchen und geeignete Rechtsmittel für eine eventuelle Entschädigung zu finden. In Hearings wurden 750 Zeugen gehört. In dem 467-seitigen Abschlussbericht stellte die Kommission fest, dass die Maßnahme nicht mit dem Argument der „militärischen Notwendigkeiten“ zu rechtfertigen sei. DeWitt wurde neben Stimson und Roosevelt zum Hauptverantwortlichen erklärt. Vgl. Matyas, Irene: Die Internierungjapanisch-stämmiger Amerikaner während des Zweiten Weltkrieges. Vorgeschichte, Ereignisse und Folgen. Wien/ Köln 1990, S. 169 ff

10) Petra Fröschl (Autorin), 2000, Die Internierung der in Amerika lebenden japanischen Minderheit während des Zweiten Weltkriegs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105781

11) https://gaic.info/

12) https://www.bremeneins.de/audios/chronik-deutschland-zahlung-irakkrieg-100.html

13) Petra Fröschl (Autorin), 2000, Die Internierung der in Amerika lebenden japanischen Minderheit während des Zweiten Weltkriegs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105781 

14) Eva C. Schweitzer gibt in ihrem Artikel Internierte japanische Einwanderer in den USA die Zahl aller Japaner (Issei wie Nissei) mit 120.000 an unter https://www.spiegel.de/geschichte/george-takei-und-die-japanischen-einwanderer-in-den-usa-a-1077647.html

15) Der kommende Krieg zwischen Russland und Polen https://seniora.org/politik-wirtschaft/der-kommende-krieg-zwischen-russland-und-polen

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