Dirk Müller ist seit vielen Jahren das Gesicht der Börse. Kompetent und charismatisch versteht er es, das Börsenlatein so zu übersetzen, dass es auch Normalsterbliche begreifen. Er nimmt kein Blatt vor den Mund und spricht Klartext. Für den NATURSCHECK beantwortet er regelmäßig Fragen unserer Leser zu den Themen Politik, Wirtschaft und Finanzen.

Lieber Herr Müller, wieder sind drei Monate ins Land gegangen, und – oh Wunder – die Erde dreht sich noch immer. Auch wenn die Medien bisweilen die Apokalypse ausrufen, sobald ein Politiker es wagt, neue Ideen in die Polit-Arena zu werfen. Daher starten wir gleich mit einer Leserfrage: „Was hält Dirk Müller von den Enteignungs- und Verstaatlichungsplänen von Juso-Chef Kevin Kühnert?“ Der schlägt vor, Großkonzerne wie BMW zu kollektivieren und den Besitz von Immobilien zu beschränken.

Dirk Müller: Eigentlich haben wir ja beim Kommunismus gesehen, dass das so nicht funktioniert. Ich bin ein großer Freund der sozialen Marktwirtschaft, wobei die Betonung auf sozial liegt. Vor allem in Europa ist es uns gelungen, ein System zu etablieren, das auch die Schwächeren mitnimmt. Was eine Besonderheit Europas ist, wie ich finde.

Das aktuelle Problem ist, dass der sogenannte Raubtierkapitalismus dieses System aus dem Gleichgewicht bringt. Doch der Kommunismus ist dazu keine echte Alternative. Es geht um ein gesundes Mittelmaß, das sowohl das Soziale als auch das Wirtschaftliche integriert.

Ich bin genauso gegen die Monopolbildung der amerikanischen Großkonzerne wie Facebook oder Amazon und kann daher auch die Argumente von Kevin Kühnert nachvollziehen, der quasi einen Gegenpol anregt. Ich selbst würde mich allerdings weder über das eine noch über das andere Extrem freuen. Ich fühle mich in der Mitte sehr wohl.

Wir haben uns ja schon oft über das Thema „ungleiche Verteilung“ unterhalten. Und wenn – wie gerade kolportiert - 45 deutsche Familien mehr besitzen als die 20 Millionen der weniger Betuchten zusammen, stellt sich ja immer dieselbe Frage: Kann man für mehr Gerechtigkeit sorgen, ohne umzuverteilen und die Superreichen zu enteignen? Denn große Vermögen vermehren sich ja quasi zwangsläufig. Und welche Möglichkeiten haben die anderen, zu mehr Wohlstand zu kommen?

Dirk Müller: Ein gewisses Maß an Umverteilung findet ja in einer sozialen Marktwirtschaft permanent statt. Die „Enteignung“ ist jedoch kein demokratisches Mittel. Und es geht in einer sozialen Marktwirtschaft meines Verständnisses auch nicht darum, jedem Bürger zu garantieren, Millionär zu werden. Die Basis der sozialen Marktwirtschaft ist, dass man auch die Menschen mitnimmt und unterstützt, die nicht aus eigener Kraft in der Lage sind, ihr Leben zu meistern. Und dass dennoch der Antrieb, sich selbst weiterzuentwickeln und die eigenen Ideen zu verwirklichen, gefördert wird.

Um auf den Kommunismus zurückzukommen: Dort wurde dieser Antrieb unterdrückt, denn man hielt ihn nicht für nötig. Dabei ist dieser Wunsch nach Weiterentwicklung ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Etwas zu erschaffen, etwas zu erreichen – und das ist nicht immer nur im Materiellen zu sehen.

Das kann auch sein: Ich möchte mehr Zeit für mich oder die Familie haben. Ich möchte mehr Muße haben. Ich möchte mehr Bildung haben. Bei einigen Menschen kann es natürlich auch der materielle Wunsch nach mehr Geld, mehr Haus, mehr Auto etc. sein. Doch dieser Antrieb nach Weiterentwicklung hat uns vom Steinzeitmenschen bis zum dem gebracht, was wir heute sind.

Die Kunst in einer Demokratie ist, einen Ausgleich zu schaffen zwischen denen, die in dem, was sie tun, sehr gut sind, und zwischen denen, die es nicht auf die Reihe bekommen – aus welchen Gründen auch immer. Und dieser Ausgleich ist das „Soziale“ in unserem System und sollte gefördert werden.

Dem kann ich nur zustimmen. Nicht in jedem Menschen schlummert die Motivation, sich finanziell zu verwirklichen. Dafür hat der Besagte vielleicht ganz andere Fähigkeiten. Doch – um bei Kevin Kühnert zu bleiben – noch eine weitere Leserfrage: „Was würde an der Börse geschehen, wenn BMW plötzlich nicht mehr kapitaler Großbetrieb, sondern Staatsunternehmen wäre?“

Dirk Müller: Wenn so etwas einmal passieren würde, hätten wir an der Börse einen großen Einbruch. Sobald die Rechtssicherheit nicht mehr gegeben ist, wäre auch die Planungssicherheit für Investoren dahin. Die würden aus solchen Unternehmen aussteigen.

Ein Blick auf die Weltwirtschaft: Donald Trump attackiert ja derzeit in alle Richtungen. Strafzölle gegen China, Drohgebärden gegen den Iran und die kalte Schulter gegen Europa. Was hat Trump vor? Blufft er, oder verfolgt er ein klares Ziel?

Dirk Müller: Er verfolgt genau das klare geostrategische Ziel, über das wir beide ja in den vergangenen Monaten oder gar Jahren mehrfach gesprochen haben. Nämlich den Aufstieg Chinas zu verhindern und China den Stecker zu ziehen. Und genau das tut er. Er wird auch weiterhin alles tun, um die amerikanischen Wirtschaftsinteressen zu bedienen. Das ist aus seiner Sicht vollkommen logisch, und er macht das mit aller Konsequenz.

Er bremst China aus, bevor die an Amerika vorbeiziehen und die Weltherrschaft übernehmen. Im Übrigen auch durchaus in unserem Interesse. Denn ich möchte nicht in einem chinesischen Menschenrechtssystem leben. Sie etwa? Und große Wirtschaftsmächte üben von jeher Druck auf ihre „Vasallenstaaten“ aus.

Wir hier in Europa haben das amerikanische System übernommen - von der amerikanischen Lebenseinstellung bis zu deren Wirtschaftswerten. Natürlich mit unserem europäischen Einschlag – siehe „soziale Marktwirtschaft“. Jenseits des „Eisernen Vorhangs“ haben die Sowjetstaaten bis 1989 das russische System übernommen. Und wenn man sich nun umschaut, so wird durch die Hegemonialmacht China das chinesische Modell auf immer mehr asiatische Staaten übertragen.

Wir können uns vorstellen, was geschehen würde, sollte China Amerika tatsächlich ablösen. Dann müssten wir zukünftig die chinesische Vorstellung von Politik und Staatskontrolle übernehmen. Daher rumort es überall.

Wenn man sich ein bisschen mit Geostrategie beschäftigt, dann ist es gar nicht so schwierig, die Abläufe zu antizipieren und auch richtig einzuordnen. Denn die Staatschefs der großen Staaten wie USA, China oder Russland haben nur sehr wenige Möglichkeiten, sich überhaupt zu bewegen. Daher ist meist voraussehbar, welchen Schritt sie als nächstes tun.

Um auf Ihre Frage zurückzukommen: Trump verfolgt einen klaren Plan. Zuerst wurden die Milliarden an Auslandsgeldern nach Hause geholt, um damit die heimischen Unternehmen vor Ort zu stärken. Dann wurden die Steuern massiv gesenkt, damit die eigenen Unternehmen etwas Winterfett anlegen können, um im Falle einer Weltwirtschaftskrise z. B. europäische oder asiatische Unternehmen übernehmen zu können, wenn diese in Schwierigkeiten geraten.
Denn wenn ich einmal Bayer oder Volkswagen übernehmen kann, dann gehören mir auch die entsprechenden Patente. Und weitere Maßnahmen werden folgen ...

Damit haben Sie die nächste Frage fast schon mitbeantwortet. Denn unser legendärer „Fettnäpfchentreter“ Günter Oettinger sagte ja einmal sinngemäß in einem Interview, dass die Chinesen nicht nur Schlitzaugen hätten, sondern auch Schlitzohren seien. Unterschätzen wir die Chinesen noch immer?

Dirk Müller: Ich glaube, dass man China nicht mehr unterschätzt. Zumindest die Amerikaner nicht, denn die Europäer unterschätzen ja grundsätzlich alles (lacht). Die Amerikaner agieren da sehr viel strategischer. Sie waren es ja, die den chinesischen Aufschwung erst möglich machten. Sie haben mit Kissinger angefangen, das Reich der Mitte zu öffnen und dem Westen zugänglich zu machen. Und sie haben diesen Aufstieg auch über lange Zeit befördert und massiv von den billigen Produktions- und Arbeitskräften profitiert.

Darüber hinaus sollte ein sich rasch modernisierendes und starkes China mit westlicher Orientierung den damaligen Hauptfeind des Westens – Russland – an dessen Südostflanke eindämmen und unter Druck setzen. Das hat zunächst prima geklappt.

Nun droht aber der „Lehrling“, der eine Zeit lang hilfreich war, übermächtig zu werden. Und jetzt sagen die Amerikaner: „Genug Spaß gehabt! Jetzt reicht es! Wir ziehen euch den Stecker und zeigen euch eure Grenzen auf.“

Und dasselbe hat man ja auch Ende der 80er Jahre mit Japan gemacht. Man hat Japan hochgepäppelt, hat wahnsinnig profitiert von der Werkbank Japan, hat es als Bollwerk zwischen Russland und der amerikanischen Westküste etabliert – und als die plötzlich anfingen, zu dominant zu werden und Machtansprüche anzumelden, hat man das Land in die Wirtschaftskrise getrieben. Durch steigende Zinsen und Handelszölle. Dasselbe wird nun bei China gemacht!

Dann ist ja Trump gar nicht so doof, wie alle behaupten?

Dirk Müller: So ist es. Bewusst oder unbewusst macht er alles, was er tun muss. Auch seine Strategie der Unberechenbarkeit ist die raffinierteste Strategie, die er fahren kann. Weder Freund noch Feind weiß, was er als nächstes tun wird. Solange die Welt glaubt, „der hat sie nicht mehr alle“, so lange sitzt er am längeren Hebel. Denn niemand weiß wirklich, wie man sich auf ihn einstellen soll. Alle reagieren nur noch.

Um nochmal auf China zurückzukommen. Dort geht 2020 das „Social Scoring“ System an den Start, bei welchem alle Menschen gelistet und „bewertet“ werden. Wer staatstreu ist, bekommt viele Punkt. Wer nicht mit dem Strom schwimmt, wird „abgestraft“. Getestet wurde es ja bereits in einigen chinesischen Provinzen. So ist der gläserne Mensch in China bereits Wirklichkeit. Was halten Sie von diesem System, und wann wird es bei uns eingeführt?

Dirk Müller: Das ist der absolute Wahnsinn und schlimmer als alles, was sich Orwell einst vorgestellt hat. Und es ist genau meine Befürchtung, dass so etwas irgendwann auch bei uns kommt. Aber eben unter westlicher Prägung.

Während die chinesischen Machthaber direkten Druck ausüben, könnte es bei uns über indirekten Druck geschehen, wie etwa über den Geldbeutel. Jobs wird es zukünftig für viele Menschen nicht mehr geben. Man könnte dann z.B. aus einem „bedingungslosen Grundeinkommen“ ein „bedingtes Grundeinkommen“ machen, das nur jene erhalten, die einen bestimmten Verhaltenskodex einhalten. Oder etwas Ähnliches.

Und mit 5G und anderen „Überwachungsmaßnahmen“ werden ja derzeit Infrastrukturen geschaffen, die eine permanente Kontrolle möglich machen …

Dirk Müller: Ganz genau! Und das ist dann eine Welt, in der ich mich nicht mehr wirklich wohlfühle. Die junge Generation kennt das wahrscheinlich gar nicht anders. Für uns Freigeister jedoch, die wir in den 70er oder 80er Jahren aufgewachsen sind, die ja ein ganz anderes Verständnis von freier Welt vermittelt haben, für uns ist das eine Horrorvision. Und ich gehe dem aus dem Weg, wo ich nur kann.

Ich vermeide Bluetooth, ich vermeide WLAN, ich verbringe so viel Zeit als möglich in der Natur, habe mein Büro weit außerhalb der nächsten Ortschaft. Hier habe ich meine Ruhe! Auch was Mobilfunk- Strahlung angeht. Das einzige, was noch strahlt, ist der Kirchturm, in dem eine Mobilfunkantenne installiert ist (lacht).

Als freiheitsliebender Mensch tue ich vor allem Dinge, bei denen ich noch selber der Chef bin. So verbringe ich inzwischen auch lieber sieben Stunden im Auto als eine Stunde auf dem Flughafen, um mich dort behandeln zu lassen wie ein potentiell Krimineller.

(Alle lachen) Schuhe aus, Gürtel raus, abtasten … Ja, es ist jedes Mal ein seltsames Gefühl. Was waren für Sie die wichtigsten Ereignisse der letzten drei Monate?

Dirk Müller: Wirtschaftlich geht es natürlich um die Auseinandersetzung zwischen den USA und China, die sich immer weiter zuspitzt. Wenn ich an mein Buch „Machtbeben“ denke, so erlebe ich derzeit, dass alles, was ich vor eineinhalb Jahren beschrieben habe, nun auch in den Medien berichtet wird. Alles geschieht eins zu eins so, wie im Buch angekündigt. Wenn Sie den Irankonflikt betrachten, der von den USA, Saudi-Arabien und Israel ausgeht - oder den Konflikt um Nordkorea.

Das zeigt mir, dass ich mit meiner persönlichen Einschätzung der geostrategischen Geschehen richtig liege. Man kann zwar nicht alles voraussehen, aber vieles, wenn man ernsthaft will.

Sie sind ja – trotz vielerlei Hintergrundwissen – ein echter Optimist. Was sollte uns alle optimistisch stimmen angesichts der aktuellen Weltlage?

Dirk Müller: Die aktuelle Weltlage können wir sowieso nicht ändern - die ist, wie sie ist. Und das war in allen Jahrhunderten so, dass wir als Einzelne wenig Einfluss auf die Weltlage hatten. Was wir beeinflussen können, ist unsere ganz eigene, private Welt. Die können und sollten wir so sinnvoll und angenehm als möglich gestalten.

Ich persönlich versuche an mir zu arbeiten und mich selbst als Mensch und auch meine Ansichten und Einstellungen immer weiter zu optimieren. Das kann jeder tun. Und man wird dadurch auch immer zufriedener. So versuche ich, eine gute Einstellung zu allen Dingen zu entwickeln, glücklich zu sein, zufrieden zu sein – egal, was draußen gerade passiert.

Und was ich ebenfalls für mich festgestellt habe, ist, dass mir die viele Gewalt, wie sie z.B. in Krimis und anderen Filmen als ganz selbstverständlich dargestellt wird, nicht guttut. Daher schaue ich seit einigen Monaten kein Fernsehen mehr, auch keine Spielfilme. Und ich spüre, wie sich meine Grundeinstellung dadurch verändert hat. Selbst wenn ich die Nachrichten lese, lese ich nur noch selektiv. Und ich frage mich bei jeder Nachricht: Ist es langfristig relevant oder betrifft es mich wirklich? Den Rest blende ich aus!

Lieber Herr Müller, ganz herzlichen Dank für das interessante und wieder sehr offene Gespräch. Wir freuen uns schon auf das nächste Mal!

Das Interview führte Michael Hoppe

Der Text erscheint in Kürze in der Zeitschrift „Naturscheck“.

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