Auf der einen Seite hätten wir da das Problem der grassierenden Inflation, welche die Konsumlaune deutlich dämpft. Das sorgt wiederum dafür, dass viele Unternehmen gestiegene Produktionskosten nicht vollumfänglich an die Konsumenten weiterreichen können. Im Resultat sehen wir vielfach geringer ausfallende Umsatzanstiege, bei gleichzeitig sinkenden Margen.

Steigende Zinsen – zumindest in den USA – sorgen zudem dafür, dass Aktien mit höheren Diskontsätzen abgezinst werden müssen und sich dadurch die faire Bewertung reduziert. Gerade Wachstumsaktien, bei welchen der Rubel erst in vielen Jahren rollen wird (darf man das eigentlich noch sagen?), mussten dies in aller Deutlichkeit schmerzlich feststellen.

Eine deutliche Abkühlung des Immobilienmarkts ist ebenso wenig vorteilhaft und sorgt für negative Strahlkraft auf verschiedenste Sektoren.

Und dass wir geopolitisch aktuell nicht gerade auf Rosen gebettet sind, müssen wir erst gar nicht groß diskutieren. Für Aktien spricht die aktuelle Gemengelage also gerade nicht wirklich, oder?

Stealth-Crash

Die Korrektur, in der wir seit einigen Monaten sitzen, mag mit einem Minus von 20 Prozent im S&P 500 zwar vergleichsweise moderat ausgefallen sein. Schaut man aber auf viele Einzelwerte, ist von Kursverlusten zwischen 30 bis 80 Prozent und mehr so ziemlich alles dabei, was das Leerverkäuferherz höherschlagen lässt. Der Markt befindet sich inmitten eines ‚Stealth-Crashs‘, wie es Dirk Müller vor einigen Monaten treffend bezeichnet hat.

Dies hat bei nicht wenigen gecrashten Titeln dafür gesorgt, dass wir es inzwischen mit Bewertungssituationen zu tun haben, die wir so seit vielen Monaten, teilweise Jahren nicht mehr gesehen haben. Kann man aber bereits jetzt zuschlagen, oder geht der Markt noch ein oder mehrere Stockwerke tiefer, bevor der Boden da ist? Vielleicht hilft Ihnen ja der Ansatz, den ich persönlich verfolge. Im Folgenden ein kurzer Überblick darüber.

Wie viele Gelegenheiten finden wir?

Ein für mich persönlich guter Marktindikator, der in der Vergangenheit oftmals gut funktionierte, ist, wie leicht es mir fällt, attraktiv bewertete Analysekandidaten ausfindig zu machen.

Während es Mitte 2021 bis Anfang 2022 einiger Recherchearbeit bedurfte, um überhaupt ein paar interessant bewertete Aktien zu finden, fliegen mir derzeit aussichtsreiche und gleichzeitig günstig bewertete Titel regelrecht zu.

Gewiss habe ich hier aufgrund meines Berufes einen Vorteil, da ich unzählige Aktien bzw. deren Bewertung am laufenden Band begutachte.

Es spricht aber nichts dagegen, dass auch jeder Privatanleger regelmäßig sein eigenes Depot bzw. die Watchlist durchsieht und prüft, wie es um die Bewertung der enthaltenden Titel bestellt ist.

Alternativ dazu kann man sich auch bei den großen Werten der diversen Aktienmarktindizes umsehen. Sind die Titel in Summe deutlich höher bewertet als im historischen Schnitt, könnte eine Marktkorrektur bevorstehen. Notieren viele Titel in der Nähe historischer Bewertungstiefs, könnte ein Boden nicht mehr allzu weit entfernt sein. Auf morningstar.com unter dem Reiter ‚Valuation‘ findet man die hierfür nötigen Daten.

Quelle: morningstar.com

Der Industriekonzern 3M notiert gerade deutlich unterhalb des historischen Bewertungsschnitts

Allerdings hat diese Betrachtung auch ihre Tücken. Schließlich stellt das KGV nur eine Momentaufnahme dar. Wenn sich der Gewinn infolge einer Rezession beispielsweise halbiert, verdoppelt sich schließlich auch das KGV und kann sich schnell von ‚gnadenlos günstig‘ in ‚viel zu hoch‘ wandeln.

Allen Rezessionsängsten zum Trotz muss man sich aber stets vergegenwärtigen, dass Rezessionen irgendwann auch einmal vorübergehen. Und Unternehmen, zumindest die qualitativ hochwertigen, kehren oftmals schneller in die Gewinn-Schiene zurück, als es die meisten Anleger und Analysten prognostizieren. Und spätestens dann stimmt auch das KGV wieder.

Ob sich dieser Indikator auch dieses Mal bewährt, und der Markt nun einen Boden einzeichnen kann, wird sich zeigen. Zumindest ist es aber schon mal ein guter Anfang.

Wie steht es um das Sentiment?

Neben dem Bewertungscheck verschiedener Aktien kann es auch von großem Nutzen sein, ein Gespür für die aktuelle Stimmung der Marktteilnehmer zu entwickeln.

Dabei hilfreich kann der Fear & Greed Index sein, welcher vom Nachrichtenportal CNN durch die Kombination verschiedener Indikatoren tagesaktuell berechnet wird.

Der Fear & Greed kann zwischen einem Wert von 100 (Greed = Gier) und 0 (Fear = Angst) notieren. Bei einem Wert von 50 wird ein Gleichgewicht zwischen ängstlichen und euphorischen Anlegern vermutet. Derzeit steht der Index bei einem Wert von 21 und damit im Angstbereich. Frei nach Warren Buffett’s „Sei gierig, wenn andere ängstlich sind und sei ängstlich, wenn andere gierig sind“ spräche dies also für den Ausbau des Engagements am Aktienmarkt.

Was machen die großen Adressen?

Aufschlussreich ist auch stets der Blick auf die Stimmung bei Profi-Investoren. So kann man sich über die Seite der NAAIM ein Bild über die aktuellen Positionierungen von US-Vermögensverwaltern machen, welche ihre Investitionsquoten wöchentlich an die Vereinigung weitermelden.

 

Quelle: https://www.naaim.org/programs/naaim-exposure-index/#

Zum 25. Mai lag die Investitionsquote lediglich bei etwas über 33 Prozent. Viel Geld, das hier an der Seitenlinie wartet und den nächsten Börsenanstieg mit frischer Liquidität befeuern wird

Immer wieder interessant sind auch die monatlichen Auswertungen der ‚Fund Manager Survey‘, welche die Bank of America monatlich unter US-Fondsmanagern durchführen lässt.

So sind diese derzeit pessimistischer als während des ersten Corona-Lockdowns (!) und ähnlich pessimistisch wie zu Zeiten des Platzens der Immobilienblase. Wenn es aber eines gibt, dass ich in meiner Zeit an der Börse gelernt habe, dann ist es die Tatsache, dass es in der Regel anders kommt, als die Mehrheit es erwartet.

Was sagen die Schlagzeilen?

Eigentlich tut man sich als langfristig orientierter Investor keinen Gefallen, wenn man tagtäglich die Börsenschlagzeilen verfolgt. Schließlich stammen diese von Schreibern, welche naturgemäß an Börsen-Tops stets zu optimistisch und kurz vor Bodenbildungen am Markt zu negativ argumentieren.

Ersteres führt dazu, dass man Aktien zu teuer einkauft. Zweiteres führt dazu, dass man entweder zum denkbar ungünstigsten Moment verkauft oder den Einstieg verpasst, wenn die Kurse so attraktiv sind wie lange nicht.

Nichtsdestotrotz lässt sich durch ein kurzes Überfliegen der Börsenschlagzeilen aber auch ein guter Eindruck über die Marktstimmung gewinnen. Denn gerade dann, wenn jeder ‚weiß‘, dass die nächste Rezession schon anklopft, bietet der Markt meist die besten Einstiegsgelegenheiten. Umgekehrt gilt natürlich dasselbe Prinzip.

Der Markt findet eben nicht dann seinen Boden, wenn sich die Meldungslage bereits wieder verbessert, sondern bereits Monate vorher. Wie sollte man sich sonst die Rallys der Jahre 2009 und 2020 erklären?

Und bestimmt können Sie sich noch an die ‚Alternativlosigkeit‘ von Investments im Aktienmarkt erinnern, welche vor nicht allzu langer Zeit noch groß proklamiert wurde - möglicherweise von denselben Leuten, welche jetzt gerade gegen Aktien und für kurzfristige Staatsanleihen trommeln. Je öfter ich gerade das Wort „Bärenmarkt“ in den täglichen Schlagzeilen lese, desto optimistischer werde ich.

Was sagen die Charts?

Last but not least macht auch der emotionslose Blick auf die Charts Sinn. Aus dem Mund eines Fundamentalanalysten mag dies zwar wie blanke Blasphemie anmuten. Jedoch bin ich inzwischen lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass die am besten recherchierte Fundamentalanalyse nichts nützt, wenn man den Chart außer Acht lässt.

Aktien, die attraktiv bewertet sind, können noch viel attraktiver werden. Aktien, die teuer bewertet sind, können noch viel teurer werden. Den Satz können Sie sich gerne ausdrucken und einrahmen!

Quelle: guidants.com

Die Fibonacci-Retracements zwischen dem 38er und 61er Retracement eignen sich hervorragend dazu, um Einstiegsniveaus zu definieren. Ob ein Kurs an solchen Marken hält, weiß niemand. Allerdings stehen die Chancen für Trendwenden innerhalb dieser Bereiche sehr gut. Idealerweise sollten sich diese Zonen mit horizontalen Unterstützungen sowie gleitenden Durchschnitten überschneiden.

Quelle: guidants.com - Adobe im Wochenchart

Wo wir schon beim Thema der gleitenden Durchschnitte sind. Auch diese - besonders die langfristigen gleitenden Durchschnitte - können für den Aufbau von Positionen genutzt werden, vorausgesetzt, dass auch das fundamentale Bild überzeugt. Gerade die 50- und 200-Wochen-Linie sowie die 50-Monats-Linie fungieren oft als gute übergeordnete Unterstützung, von denen oftmals deutliche Kursreaktionen ausgehen.

„Was heißt das konkret für mich?!“

Ob es zu einer Rezession kommt und die Märkte in den nächsten Monaten weiter fallen werden, kann Ihnen niemand seriös voraussagen, ich ebenso wenig. Allerdings mehren sich so langsam aber sicher die Zeichen dafür, dass wir dem Boden wesentlich näher sein könnten als die Mehrheit der Anleger vermutet. Zumindest anhand der vorgestellten Indikatoren, welche ich nutze, sieht es ganz danach aus. Aber was weiß ich schon, hören Sie besser erst gar nicht auf mich.

Herzlichst, Ihr Christof von Wenzl

Quellen: naaim.org, bloomberg.com, guidants.com, morningstar.com, edition.cnn.com/markets/fear-and-greed

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