Die Präsentation „Ready for Brain Transparency?“ von der Jahrestagung des Weltwirtschaftsforums in Davos im Januar ist seit einigen Wochen auch in deutscher Synchronisierung verfügbar: „Auf dem Weg zu einer Welt der Gehirntransparenz…!

Nicholas Thompson, CEO des US-Verlags The Atlantic stellt als Moderator Nita A. Farahany vor, Professorin für Recht und Philosophie an der Duke University. Fröhlich verspricht er, dass das Publikum erhellt und begeistert von ihrem Vortrag sein werde.

Die Präsentation beginnt auf der Leinwand mit einem bunten Comic voll fröhlicher Leute. Die Hauptperson freut sich im Büro darüber, wie produktiv sie heute wieder ist und checkt dann die Aufzeichnung ihrer Gehirnwellen, um sicher zu sein, dass alles in Ordnung ist.

Doch als sie sich von amourösen Gedanken an ihren Büro-Gegenüber kurz ablenken lässt, wird sie nervös, weil ihre Chefin, die ihre Gehirnwellen auch sehen kann, denken könnte, dass sie gegen das Verbot von sexuellen Beziehungen im Büro verstößt. Also schnell zurück mit den Gedanken zur Arbeit.

Prompt kommt die gute Nachricht von ihrer Chefin, dass sie wegen ihrer hervorragenden Gehirnwellen-Messergebnisse des letzten Quartals einen Bonus bekommt.

Für die meisten Menschen ist das ein Horrorszenario, das hier in munterem Ton mit bunten Bildern so erzählt wird, als wäre alles prima.

Am nächsten Tag allerdings wird ein Kollege verhaftet, der Online-Betrug begangen haben soll und die Gehirnwellen-Aufzeichnungen aller Kollegen werden beschlagnahmt, um etwaige Komplizen zu finden. Unsere Hauptperson bekommt es mit der Angst, weil sie heimlich mit dem Übeltäter über eine mögliche Startup-Gründung nachgedacht hat, was bei den Behörden einen falschen Eindruck erzeugen könnte.

Nachdem auf diese Weise per Comic auf locker-flockige Weise auch die dunkle Seite der zu präsentierenden neuen Technologie kurz angedeutet ist, darf sich die nun auf die Bühne federnde Professorin Farahany, die leicht als professionelle Entertainerin durchgehen würde, ganz auf die positiven Seiten konzentrieren. Sie fragt „Was denken Sie, sind sie bereit für diese Zukunft?“ und macht dann gleich klar, dass das schon die Gegenwart sei, denn alle gezeigten Techniken gebe es schon. Es folgt eine lebhafte Beschreibung dessen, was an Dekodierung von Gedanken und Gefühlen selbst mit kleinen Geräten am Körper bereits möglich ist und in naher Zukunft möglich sein werde.

Farahany singt ein Loblied auf die Gehirnwellenüberwachung am Arbeitsplatz, weil sich damit Unfälle vermeiden ließen. Die Technik merke frühzeitig, wenn jemand abgelenkt oder müde ist, und schlage dann Alarm. Sie wirbt:

„Wir als Gesellschaft sollten das wollen. Wir sollten eine Technologie wollen, die es uns ermöglicht, sicherer zu sein, die es uns allen möglich macht, in einer Umwelt zu leben, in der Berufsfahrer oder Individuen, die besonders wach sein müssen, so wach sind, wie sie sein sollten. Denn, wenn sie es nicht sind, können die Konsequenzen schrecklich sein.“

Gehirnwellenkontrolle für viele Arbeitnehmer schon Alltag

Über 5.000 Unternehmen verlangten bereits von ihren Angestellten, Helme zu tragen, die die Gehirnwellen kontrollieren, berichtet sie und gibt ein Beispiel aus – natürlich – China, dem Mutterland der Totalüberwachung.

„Es schüttelt sie vielleicht“, so wie mich am Anfang, gibt sie zu, aber sie wirbt für eine „viel nuanciertere Diskussion“ über das technologische Gedankenlesen. Denn:

„Wenn sie gut gemacht wird, hat Neurotechnologie außerordentliches Potential. Wenn es schlecht gemacht wird, könnte sie die schlimmste Unterdrückungstechnologie werden, die wir je eingeführt habe. Wir haben noch die Chance, es richtig zu machen.“

Farahany berichtet davon, dass die Beschäftigten bei Amazon und anderen Unternehmen sogenannte Bossware hassen. Bossware sind am Körper tragbare Geräte für den Arbeitsplatz, die Körperfunktionen messen oder steuernde Signale geben. Ohne zu zögern sagt sie den in sich widersprüchlichen, und dadurch so verräterischen Satz: „Sie lehnen es ab, auch wenn es ihr Leben besser macht“. Sie weiß also besser als die Betroffenen, was für diese zu einem guten Leben gehört. Selbstbestimmung offenbar nicht.

Bossware treibt an

Seit Corona gäben 80 % der befragten Firmen an, eine Form von Bossware zur Produktivitätskontrolle zu verwenden, erzählt Farahany, und sie hätten allen Grund dazu, denn neun von zehn Beschäftigten gäben zu, gelegentlich bei der Arbeit „Zeit zu verschwenden“. Lebenszeit, die nicht produktiv im Sinne der Maschine genutzt wird, ist verschwendete Zeit.

Ohnehin hätten wir uns so an Fitbits, Apple Watches und andere „Wearables“ (kleine am Körper getragene vernetzte Computer) gewöhnt, die unsere Körperfunktionen aufzeichnen, dass wir das gar nicht mehr so schlimm finden. Allerdings spricht sie sich dafür aus, diese Technik nicht zur Überwachung von außen zu nutzen, sondern sie den Beschäftigten an die Hand zu geben, als Hilfestellung, konzentriert bei der Arbeit zu bleiben.

Oder noch besser: Ein Roboter in der Fabrik kann feststellen, wenn das Stressniveau seines menschlichen Kollegen steigt und „die Frequenz reduzieren, mit der er ihm Aufgaben gibt“. Das heißt bei Farahany „Kognitive Ergonomics“ und ist „der gesündere Arbeitsplatz der Zukunft, ein Arbeitsplatz, der sich an unsere Fähigkeiten anpasst, langsamer wird, wenn wir das brauchen“. Dass er auch schneller wird, wenn er merkt, dass der Mensch, den er steuert, noch etwas mehr leisten kann, ohne gleich zusammenzubrechen, erwähnt sie nicht.

Resümierend stellt sie fest, dass technologisches Gedanken- und Gefühlelesen ein wirksames Instrument sein kann, um unser Leben besser zu machen, aber auch ein mächtiges Instrument der Unterdrückung. Ihre Lösung:

„Wir können uns entscheiden, es gut einzusetzen. Wir können uns entscheiden, es zu etwas zu machen, was Individuen hilft, Einsichten in ihre eigene geistige Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu bekommen, ihre eigene Produktivität und ihr Wohlbefinden zu steigern und das Potential für Menschlichkeit freisetzt.“

Wer ist „wir“? Diese Frage bleibt offen. Sie spricht zur Davoser Wirtschaftselite. Man darf annehmen, dass diese gemeint ist. Die Konzernbosse sollen also entscheiden dürfen, ob die neue Technologie für größeres Wohlbefinden der Arbeitnehmer (und Kunden) eingesetzt wird, oder um sie zu kontrollieren und maximale Leistung aus ihnen herauszuquetschen.

Der Mensch als Rädchen einer Maschine

Ein wohliges Schaudern, wie es Farahany zum Weglachen auf die Leinwand projiziert, dürfte das nur in der Davoser Szene verursachen, normalen Menschen dagegen kalte Schauer über den Rücken jagen.

Nachdem sie abgeklungen sind, frage ich mich, welches Menschen- und Weltbild dieser Erzählung zugrunde liegt und stelle fest: Es ist genau die Maschinenideologie, die unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Dass sich hier die Technik ganz offen dem Zentrum des Menschseins annähert und sich anschickt die Kontrolle darüber zu übernehmen, bietet eine Chance, die menschenfeindlichen Annahmen und Strukturen unserer Gesellschaft offenzulegen.

In dieser Ideologie ist der Mensch ein Teil des Räderwerks einer fast unendlich produktiven Maschine, die längst zum Selbstzweck geworden ist. Was sie produziert und für wen, ist egal. Hauptsache, sie läuft wie geschmiert und wird immer effizienter. Hauptsache die körperlichen und geistigen Schwächen des Menschen, seine unproduktiven Bedürfnisse und Ziele behindern den Produktionsprozess so wenig wie möglich. Gesellschaftliche Werte jenseits eines leeren Freiheits- und Selbstbestimmungsbegriffs gibt es nicht.

Jegliche Technologie, die es dem Menschen ermöglicht, ein besserer, produktiverer Teil im Räderwerk der Maschine zu sein, ist zu begrüßen. Besser als mit einem Roboter, der das Tempo, in dem er seinem dienstbaren Hilfs-Menschen Aufgaben zuweist, optimal auf dessen Leistungsfähigkeit abstimmt, kann man das kaum bebildern.

Meist kommt diese, den Menschen zum Instrument degradierende Ideologie verdeckter daher, indem sie es dem unter Leistungsdruck stehenden Menschen aufgibt, sich selbst im Sinne der Maschine zu optimieren und ihm dafür Werkzeuge an die Hand gibt, vom Fitnesstracker bis zum Gehirnwellenmessgerät.

Perverser Fortschritt

Wenn eine Technik präsentiert wird, die auf bestem Wege ist, etwas zu schaffen, was fast alle Menschen ablehnen, dann ist die Reaktion eines gesunden, verantwortungsvollen Menschen, zu sagen: das müssen wir stoppen. Denn es wird eine Technik zur Überwachung und Manipulation unsere Gehirnaktivität präsentiert, mit dem anerkannten Risiko, dass „ein extrem mächtiges Unterdrückungsinstrument“ daraus werden kann. Doch eine kritische Reaktion fand in Davos nicht statt, wo Regierungschefs und Minister, Parteipolitiker und Konzernchefs andächtig zuhörten und am Ende unaufgeregt die Details diskutierten.

Und die Schlussfolgerung der „Technik-Ethikerin“ Farahany lautete: Wir entwickeln das weiter. Weil es technisch anspruchsvoll ist, und weil wir es können. Wir gehen davon aus, dass es schon gutgehen wird. Weil wir – in unserem technokratischen Weltbild – alles gut finden, was dazu führt, dass die Maschine gut funktioniert und effizienter wird, und weil wir davon ausgehen, dass Technokraten an den Hebeln der Macht es schon gut meinen und machen werden.

Genau so ist unser Umgang mit Technik generell. Was erfunden und entwickelt werden kann, muss entwickelt und eingeführt werden. Es zu verhindern oder in eine menschenfreundliche Richtung steuern zu wollen, wäre Technikfeindlichkeit.

Disruption wird uns, ganz in diesem Sinne, als etwas Positives vermittelt. Der aus dem Englischen übernommene Begriff bedeutet übersetzt „Aufbrechen“. Er soll ausdrücken, dass durch eine wirtschaftlich-technische Innovation bestehende ökonomische oder gesellschaftliche Strukturen zerstört und passend zur neuen Technik neu aufgebaut werden. Dabei werden die Menschen und ihre Bedürfnisse, die das Bestehende geformt haben, als Störfaktoren für den Einsatz einer neuen Technik betrachtet. Mehr Übersteigerung der technokratischen Fixierung auf Effizienz um der Effizienz willen geht kaum.

Den Schrecken über die Gefahr für das, was dafür zurückgedrängt werden muss, das Menschliche, das Unproduktive (im Maschinensinne), das Irrationale, lachen die Davoser Technokraten und ihre akademischen und politischen Hilfstruppen einfach weg. Denn es ist klar: die Technik kommt auf jeden Fall, egal wie hoch die Kosten sind. Die Kosten werden auf ein Konto des Irrationalen gebucht, das von den Technokraten eher als eine Kuriosität als ein ernst zu nehmender Faktor angesehen wird.

Das gute Leben ist ein produktives Leben. Wenn Menschen, wie die Amazon-Arbeiter, eine Technologie ablehnen, die ihr Leben in diesem Sinne besser macht, dann muss man sie ihnen eben auf eine Weise nahebringen, die sie nicht mehr ablehnen: zum Beispiel mit einen Bonus für gute Gehirnaktivität, der sich dann allmählich verwandelt in Gehaltsabzug oder Kündigung für schlechte Gehirnhygiene und unzureichende Selbstoptimierung.

Ich lade Sie ein, sich das halbstündige Video im Lichte des Bildes vom Menschen als zu optimierendem Rädchen einer Maschine anzuschauen und sich zu fragen: Ist das eine abseitige Phantasie einer durchgeknallten Philosophieprofessorin oder die konsequente Fortschreibung der Prinzipien, nach denen unsere Gesellschaft zunehmend gestaltet wird?

Wer ist „wir“?

Was die Technik-Ethikerin zur Vermeidung der schlimmsten Unterdrückungsmaschinerie anbietet, ist ein Witz, über den sie selbst am lautesten lacht (siehe unten). Sie geht davon aus, dass noch während unserer Lebenszeit viele gesunde Menschen implantierte Gehirnwellentechnologie nutzen werden. Dann werde man in der Lage sein, Gedanken auszulesen. Der Staat, so sagt sie, hat keine Chance, mit Regulierungen dem angeblich unaufhaltsamen und viel zu schnellen technischen Fortschritt hinterherzukommen.

Aber es würde reichen, behauptet sie, wenn die Konzerne in bewährt verantwortungsvoller und uneingennütziger Manier Best Practices (Beste Praktiken) entwickeln und beachten:

„Wir müssen uns entscheiden auf eine Weise voranzuschreiten, die für die Menschheit am besten ist, die Technologie auf eine Weise nutzen, die uns befähigt anstatt uns zu unterdrücken. Ich meine, das ist eine Möglichkeit, die wir immer noch wählen können. Ich hoffe, sie schließen sich mir bei dieser Wahl an.“

Dieses „wir“, also die in Davos versammelte Elite des Konzernkapitalismus, der sie sich zugehörig fühlt, müsse auch nicht darauf warten, dass der Staat (weltweit) ein Recht auf mentale Privatheit entwickelt und durchsetzt:

„Wir können einfach schon so agieren, als gäbe es dieses Recht schon. Wenn ein Unternehmen sich entscheidet, die Gehirnwellen der Beschäftigten zu überwachen, entscheidet es sich, diese nur auf Anzeichen von Müdigkeit zu überwachen, nicht auf Liebesgefühle. Man betreibt Datenminimierung und befolgt Beste Praktiken, die die Autonomie des Individuums respektieren. Man verändert ihre Gedankenprozesse nicht, um sie produktiver zu machen, weil man anerkennt, dass sie ein Recht auf Gedankenfreiheit haben.“

Dass das nur Sprüche sind, zur Beruhigung für diejenigen, die Skrupel haben, und Stichworte für diejenigen, die Entwicklung und Einsatz dieser gruseligen Technologie rechtfertigen müssen, macht Moderator Thompson gut gelaunt deutlich: „Und als CEO sage ich dazu: Ich bin sicher, dass alle CEOs diese Technologie komplett verantwortlich nutzen werden.“

Das Publikum lacht, Farahany lacht am längsten und lautesten.

Sand im Getriebe

Dass diese Präsentation der wirtschaftlichen, medialen und politischen Elite präsentiert und der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden konnte, ohne dass es einen Aufschrei der Entrüstung und Konsequenzen gab, zeigt, wie tief die technokratische Sichtweise vom Menschen als Mittel zum Zweck eines größeren Maschinenausstoßes die Gesellschaft inzwischen durchdrungen hat.

Deshalb ist es zunächst einmal wichtig, dass wir uns und anderen dieses Problem in seinem ganzen Ausmaß bewusst machen. Denn diese Einstellung gehört zu den tieferen Ursachen von vielem, was in unserer Gesellschaft schief läuft. Und sie durchdringt und korrumpiert viele Bestrebungen, die Welt zu verbessern. Zuvorderst, aber natürlich nicht nur, die Klimaschutzpolitik. Jede Ideologie, die Mensch und Natur einem Ziel unterordnet, sei es die Produktivitätsideologie, die kommunistische Ideologie oder die CO2-Ideologie, kann die Welt nur schlechter machen.

Jeder Reformer sollte sich daher fragen, ob er die Gesellschaft vielleicht zu sehr als eine Maschine begreift, zum Beispiel als eine ökonomisch-soziale Maschine, deren CO2-Ausstoß optimiert werden muss, damit eine vorgestellte Klimamaschine nicht aus dem Takt gerät.

Außerdem gilt es, sich dem Selbstoptimierungskult zu entziehen und auf unseren Körper und Geist zu hören, statt auf ein Gerät, das uns eine Norm vorgibt und uns zur Steigerung des Akkords anhält. Wer uns auffordert, in unser „Humankapital“ zu „investieren“, den sollten wir einladen, sein Menschenbild zu überdenken. Die Karotten, die er uns vor die Nase hält, sollten wir ignorieren, soweit wir können.

Wollen wir uns wirklich für eine Beförderung krummlegen, die uns im Erfolgsfall noch mehr Stress und Arbeit für etwas mehr Geld verspricht – und ein schnell vorübergehendes Erfolgserlebnis, bis wir uns wieder voll Unzufriedenheit mit dem Gehalt und Status über uns Stehender vergleichen. Lebensglück fördert ein beruflicher Aufstieg nur, wenn wir innerlich zu dem stehen, was wir tun. Tun wir das nicht, sollten wir uns entweder einen anderen Job suchen, uns selbständig machen, oder die Optimierung unserer Work-Life-Balance durch Dienst nach Vorschrift angehen.

Wenn wir kritisch hinterfragen, welche Bedürfnisse unsere eigenen sind, und welche uns von gewinnorientierten Unternehmen eingepflanzt wurden, können wir uns etwas mehr finanziellen Freiraum schaffen, um das zu tun, was wir wollen, und nicht das, was der „Arbeitsmarkt“ verlangt.

Leben wir für das, was das Menschsein ausmacht, nicht dafür, ein produktiveres Rädchen einer Maschine zu sein, die neben Wichtigem auch viel Nutzloses und Schädliches produziert! Dazu gehört, in variabler Gewichtung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit, ein selbstbestimmtes und vielfältiges geistiges und soziales Leben, eine Aufgabe, der wir uns gern widmen, das gute Gefühl, wenn wir gebraucht werden und etwas für andere tun können, Verwurzelung in und Verbundenheit mit einer Heimat, mit deren Natur und deren Menschen.

Sehr vieles davon gilt den Technokraten als rückständig und hinderlich für den technischen Fortschritt und dem Kapitalisten als gewinnmindernd. In unserer Arbeitswelt ist es nur sehr begrenzt möglich, diese Ideale umzusetzen. Aber wir sollten uns zumindest bewusst sein, wie wir gerne und lieber leben würden, damit wir unsere Energie und unser Augenmerk vorrangig auf das richten können, was zu unserem Ideal gehört. Je mehr das tun, desto mehr muss sich die Arbeitswelt danach richten.

Das klingt vielleicht übermäßig naiv und romantisch, aber das ist es nicht. Wenn unsere Produktion und unser Konsum in Einheiten organisiert würden, in denen Konsumenten und Arbeitende das Sagen haben, statt anonyme Kapital-„Geber“ und Renditenehmer, die irgendwo auf der Welt leben, würden wir diesem Ideal viel näher kommen. Unternehmen würden sich darauf konzentrieren, echte Bedürfnisse zu befriedigen, statt darauf, welche zu schaffen, die sie dann gewinnträchtig und umweltschädlich befriedigen können. Die Werktätigen wüssten, wofür sie arbeiten, und müssten nicht mit Zuckerbrot und Peitsche motiviert werden. Sie könnten ihr ureigenes Interesse an Produktion in Harmonie mit der unmittelbaren natürlichen und gesellschaftlichen Umgebung wirksam werden lassen.

So weit sind wir noch lange nicht, dass das in großem Maßstab möglich ist. Dazu hat die kapitalistische Maschine mit den Technokraten als Erfüllungsgehilfen unsere Gesellschaft und unser Denken viel zu sehr vereinnahmt. Aber wir sollten das Ideal im Kopf und im Herzen entwickeln und pflegen. Je mehr wir eine solche Welt anstreben und Bestandteile davon umsetzen oder einfordern, wo immer sich Gelegenheit dazu bietet, desto mehr davon kann irgendwann Wirklichkeit werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Norbert Häring. Vielen Dank für die Erlaubnis ihn übernehmen zu dürfen!

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