Deutschland galt lange Zeit als das Wirtschaftswunderland Europas. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Teilung durch den Eisernen Vorhang gelang es der Bundesrepublik, sich zu einer der führenden Industrienationen der Welt zu entwickeln. Bei aller Begeisterung wird oft übersehen, was der wesentliche Faktor dieses „German Wirtschaftswunder“ tatsächlich war.

Ohne den politischen Willen und die dadurch einsetzende massive Unterstützung durch die USA hätte dieser Wirtschaftsaufschwung nie stattgefunden. Das lag aber nicht an der plötzlich entfachten Liebe der USA zu Deutschland unmittelbar nach dem Horror des Zweiten Weltkrieges, sondern an ganz pragmatischen Eigeninteressen. Es war zunächst auch gar nicht klar, wie die USA mit Deutschland nach dem Zusammenbruch umgehen wollten.

Zunächst stand der nach seinem geistigen Vater – US-Finanzminister Henry Morgenthau – benannte „Morgenthau-Plan“ im Raum. Er sah vor, Deutschland zu deindustrialisieren und zu einem in Armut gehaltenen Agrarstaat zu machen, von dem nie wieder Gefahr ausgehen sollte und dessen Zustand zu einer langanhaltenden Reue der Bevölkerung beitragen sollte. Also so ziemlich das Gegenteil eines Wirtschaftswunders.

Mehr als eine spinnerte Verirrung

Auch wenn das neue Wahrheitsministerium „Wikipedia“ den Morgenthau-Plan als eine spinnerte Verirrung abtut, die nie ernsthaft in Erwägung gezogen wurde, so stimmt das nicht ganz mit der geschichtlichen Realität überein, wie man auch in einem Beitrag der Süddeutschen Zeitung von 2019 ersehen kann.

Sowohl der britische Premier Winston Churchill, als auch der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt sahen „Deutschlands Zukunft in einem landwirtschaftlichen und pastoralen Charakter (…) auch wenn es anders kam: Im September 1944 standen die (…) Pläne, Deutschland zu deindustrialisieren, ernsthaft zur Debatte.

Doch dieser zunächst ernsthaft erwogene Plan wurde glücklicherweise sehr schnell abgelöst von einem sowohl für Deutschland als auch die USA sehr viel pragmatischeren und vorteilhafteren Plan, dem weithin bekannten „Marshall-Plan“. Er sah den schnellen und massiven Wiederaufbau Deutschlands vor. Das geschah - wie oben beschrieben -nicht aus „Freundschaft“ zu Deutschland, sondern diente direkten eigenen wirtschaftlichen und geostrategischen Zwecken.

Neben den guten Geschäften für zahlreiche US-Konzerne, die sich daraus ergaben, war es vor allem der neue Frontstaaten-Status der BRD gegenüber dem neu entstehenden gegnerischen Block Russland/Sowjetunion. Deutschland sollte als starkes Bollwerk an vorderster Front aufgebaut werden, das einerseits in der Lage ist (auch als amerikanisches Aufmarschgebiet), Russland einzuhegen. Zugleich sollte ein prosperierendes Westdeutschland als Gegenentwurf zum dahinsiechenden Ostdeutschland ein Leuchtzeichen an die Bevölkerung der UDSSR werden. „Seht an den Westdeutschen, wie wunderbar ein Leben unter amerikanischem Hegemon ist, im Vergleich zur Armut der Ostdeutschen unter dem russischen Hegemon.

Damit sollte das amerikanische Modell als direkt vergleichbar überlegen dargestellt und das russische System deklassiert werden. Zudem sollte es die Unzufriedenheit der UDSSR-Bevölkerung schüren, um Widerstand und eines Tages einen Umsturz zu erzeugen.

Massive US-Hilfen für Westdeutschland

Um das zu erreichen, wurde Westdeutschland gepampert. Es bekam Finanzhilfen, vor allem aber politische und wirtschaftspolitische Hilfe. Absatzmärkte wurden ihm eröffnet. Die US-Konzerne wurden eher zu Partnern als zu erbitterten Konkurrenten. Zu jedem großen US-Konzern gab es ein deutsches Pendant, welches es ohne den politischen Willen der USA nach 1945 nicht mehr gegeben hätte. GE/Siemens, GM/VW, JPM/Deutsche Bank, DowInc/BASF, Johnsons&Johnsons/Bayer….

Mit dieser „kalkulierenden Liebe“ der USA als warmem Rückenwind wurde Deutschland bald zum Exportweltmeister und dem erhofften „Leuchtturm nach Osten“.

Mit dem Zusammenbruch der UDSSR 1989 war die Aufgabe Deutschlands erfüllt. Mission accomplished. Die Wiedervereinigung 1990 brachte neue Herausforderungen für das Land, das seine Rolle als Frontstaat zur Sowjetunion verlor. Denn der Mohr hatte seine Schuldigkeit getan, der Mohr konnte gehen.

Es gab für die USA keinen Grund mehr Deutschland zu unterstützen oder wirtschaftlich zu beschützen. Im Gegenteil. Plötzlich war die deutsche Industrie ein Konkurrent wie jeder andere, dem man mit aller Härte begegnete. Wir erinnern uns an die seit 1990 plötzlich zahlreichen Milliardenklagen der USA gegen deutsche Konzerne wie Daimler Benz (Bestechung), VW (Abgasskandal), Deutsche Bank (Hypothekengeschäfte) oder Bayer (Monsanto).

Und während Deutschland in den letzten Jahren – inzwischen mit Gegen- statt Rückenwind aus den USA – mit einer Reihe von Problemen zu kämpfen hatte, wie z.B. der Energiewende oder der Corona-Krise, hat sich ein anderes Land in Europa zu einem neuen Wirtschaftswunderland entwickelt: Polen.

Polen wird zum neuen Frontstaat

Im Zuge des Ukraine-Krieges wird Polen zum neuen Frontstaat gegenüber Russland und seinem Verbündeten Belarus (Weißrussland). Die kleinen baltischen Staaten sind wirtschaftlich mit nur sechs Millionen Einwohnern zu unbedeutend und in welcher Form die Ukraine nach dem Krieg noch existiert, ist trotz alles Pfeifens im Walde völlig unklar. Zudem ist Polen bereits NATO-Mitglied und Teil der Europäischen Union, die Zukunft der Ukraine ungewiss.

Mit 40 Millionen Einwohnern ist Polen durchaus eine ernstzunehmende Größe und eine wunderbare Basis für die amerikanischen Pläne aus Polen ein Westdeutschland 2.0 zu machen.

Polen ist die sechstgrößte Volkswirtschaft der EU und die größte der ehemaligen Ostblockstaaten. Seit dem Fall des Kommunismus 1989 hat das Land eine bemerkenswerte Transformation durchlaufen, die auf einer Reihe von Faktoren beruht:

  • Marktwirtschaftliche Reformen: Polen führte nach 1989 einen radikalen Systemwechsel von einer zentral gelenkten Planwirtschaft zu einer marktwirtschaftlichen Demokratie durch. Der sogenannte „Balcerowicz-Plan“ umfasste unter anderem die Freigabe der Preise, die Liberalisierung des Außenhandels, die Privatisierung von Staatsbetrieben und die Einführung einer stabilen Währung. Diese Reformen waren zwar schmerzhaft und führten zunächst zu einem Einbruch der Wirtschaftsleistung und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit, legten aber auch den Grundstein für das spätere Wachstum.
     

  • EU-Integration: Polen trat 2004 der Europäischen Union bei und profitierte seither von den Vorteilen des Binnenmarktes, der Rechtsstaatlichkeit und der Kohäsionspolitik. Die EU-Mitgliedschaft eröffnete Polen den Zugang zu einem Markt von über 500 Millionen Verbrauchern und Investoren, stärkte die Rechtssicherheit und den Wettbewerb und ermöglichte den Transfer von Finanzmitteln für die Entwicklung von Infrastruktur, Bildung oder Innovation. Die EU-Integration förderte auch die Mobilität von Arbeitskräften, Kapital und Wissen zwischen Polen und anderen Mitgliedstaaten.
     

  • Unternehmertum und Innovation: Polen hat eine lebendige und dynamische Unternehmerszene, die von einer gut ausgebildeten und motivierten Bevölkerung getragen wird. Das Land verfügt über eine Reihe von erfolgreichen Unternehmen in verschiedenen Branchen, wie z.B. Sun Garden im Bereich Heimtextilien, CD Projekt im Bereich Videospielentwicklung oder Allegro im Bereich E-Commerce. Polen investiert auch zunehmend in Forschung und Entwicklung und fördert die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Das Land hat einige innovative Unternehmen hervorgebracht, wie z.B. Solaris-Bus, Asseco-Software (größter Softwarehersteller Mittel- und Osteuropas, Nr. 6 in Gesamteuropa) oder das Booksy-Buchungsportal für Friseur- und Beautysalons in zahlreichen Ländern der Welt.
     

  • Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit: Polen hat sich als ein widerstandsfähiges und anpassungsfähiges Land erwiesen, das in der Lage ist, externe Schocks zu überwinden und neue Herausforderungen anzunehmen. Polen war das einzige Land in der EU, das während der globalen Finanzkrise 2008/2009 ein positives Wirtschaftswachstum aufrechterhielt. Polen bereitet sich auch auf die Zukunft vor, indem es seine Energieversorgung diversifiziert (von russischen Importen auf US- und Katar-Importe umstellt), seine digitale Transformation beschleunigt und seine soziale Kohäsion stärkt.

Beeindruckendes Wirtschaftswachstum

Diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass Polen in den letzten drei Jahrzehnten ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum erzielt hat, das zu einem Anstieg des Lebensstandards, der Kaufkraft und der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt hat. Polen hat nach der Wirtschaftskrise in der Kaufkraftparität sowohl Ungarn als auch Griechenland überholt, 2019 sogar Portugal1. Polens Wirtschaftswachstum ist auch nachhaltiger als das vieler anderer Länder, da es auf einer soliden makroökonomischen Grundlage, einer niedrigen Staatsverschuldung und einem ausgeglichenen Außenhandel beruht.

Polen ist also das neue Wirtschaftswunderland Europas, das nicht nur von seiner geografischen Lage zwischen Deutschland und Russland profitiert, sondern auch von seiner eigenen Leistungsfähigkeit, Kreativität und Flexibilität. Polen ist ein attraktiver Partner für deutsche Unternehmen, die von den Vorteilen des gemeinsamen Marktes, der kulturellen Nähe und der komplementären Wirtschaftsstrukturen profitieren können. Polen ist (aus amerikanischer Sicht) auch ein Vorbild für andere Länder, die sich in einem wirtschaftlichen oder politischen Übergang befinden und nach einem erfolgreichen Weg suchen, um Wohlstand und Stabilität zu schaffen – in enger Kooperation mit den USA.

Mehr als nur ein wirtschaftlicher Erfolg

Doch Polen ist nicht nur ein wirtschaftlicher Erfolg, sondern auch ein geopolitischer Akteur, der seine Interessen in Europa und darüber hinaus vertritt. Polen steht nicht nur Russland, sondern auch der EU und Deutschland skeptisch gegenüber, weshalb Warschau auch nach anderen Verbündeten Ausschau hält.

Der engste militärische Verbündete Polens sind die USA, die die Fragmentierung der EU erkannt haben. Washington möchte Polen zu einer europäischen Macht aufbauen, die sowohl ein dominantes Russland als auch ein dominantes Deutschland verhindern kann. Zu diesem Zweck unterstützen die USA das sogenannte „Intermarium-Konzept“, das auf einen Bündnisgürtel durch Osteuropa abzielt, der als Alternative zur EU dienen soll2.

Die USA haben auch ihre militärische Präsenz in Polen verstärkt, indem sie mehr Truppen und Waffen stationiert haben und den Bau einer Raketenabwehrbasis vorantreiben. Die USA sehen in Polen einen verlässlichen Partner, dessen geopolitische Ausrichtung und dessen Wille, sich Russland entgegenzustemmen, in großen Teilen mit US-Interessen übereinstimmen3.

Neues geopolitisches Kraftzentrum Europas

Polen ist also nicht nur das neue Wirtschaftswunderland, sondern auch das neue geopolitische Kraftzentrum Europas, das von den USA gefördert und von Russland und Deutschland herausgefordert wird. Polen hat eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur des Kontinents sowie bei der Förderung der Zusammenarbeit zwischen den osteuropäischen Staaten. Polen ist auch ein wichtiger Akteur bei globalen Themen wie dem Klimawandel, dem Kampf gegen den Terrorismus oder der Entwicklungszusammenarbeit.

Die (US-) Karawane zieht also weiter nach Osten, baut ihre Ressourcen in Deutschland ab und in Polen wieder auf. Mitsamt ihren Konzernen und Truppenstützpunkten.


Deutschlandfunk 23.03.23:

US-Armee hat ihre Militärpräsenz in Polen verstärkt“


Der Merkur im November 2022:

Unser wichtigster Partner“: Polen verdrängt wohl Deutschland als zentralen Militär-Verbündeten in Europa.“


Heise im Juni 2023:

Intel baut Chip-Verarbeitungswerk in Polen für 4,6 Mrd US-$“


Für Deutschland wird es eisiger. Wir müssen inzwischen ohne die Liebe und Unterstützung der USA auskommen, im Gegenteil wird aus dem Rückenwind inzwischen ein Gegenwind, den wir bereits an allen Ecken spüren. Dieser Rückenwind wird jetzt den Polen zuteil, weshalb es durchaus Sinn macht, sich bereits heute Gedanken über frühe Aktieninvestments in zukunftsstarke polnische Unternehmen zu machen.

Der vermutlich noch länger anhaltende Krieg um die Ukraine und eine durchaus nicht unrealistische weitere Eskalation, in deren Folge auch die Gefährdung Polens in die Diskussion kommen könnte, würden den dortigen Aktienmarkt vermutlich erst mal unter Druck bringen. Aber auch dieser Krieg wird eines Tages enden, das ist klar. Tun wir alles dafür, dass das so schnell wie möglich geschieht, wobei angesichts des unermesslichen Leides der betroffenen Menschen, die finanziellen Themen dabei der kleinste Beweggrund sind.

 

Mit den besten Wünschen für eine friedliche und glückliche Zeit

Ihr

Dirk Müller

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