(Welt-)Konjunktur: Ab Frühjahr geht es bergauf, wenn auch langsam

Der US-Immobilien- und Industriesektor haben spürbar an Schwung verloren. Dem Konsum als Haupttreiber der US-Wirtschaft setzen teure Verbraucherkredite, die endgültige Aufzehrung der Ersparnisse aus der Pandemiezeit und die Wiederaufnahme der ausgesetzten Rückzahlung von Studentenkrediten zu. Aufgrund der Spaltung im Kongress sind zwar kaum Ausgaben- und Verschuldungsoffensiven vor der Präsidentenwahl im November 2024 zu erwarten. Immerhin wirken die bereits aufgelegten Programme weiter, während ein mittelfristig wieder günstigeres Zinsniveau das soft landing der US-Wirtschaft absichert.

In China bleibt der Immobiliensektor eine Wachstumsbremse. Jedoch wirkt Peking einer fatalen Krise entgegen, die das Land im geopolitischen Wettstreit mit Amerika zurückwerfen würde. Und so wird der Konjunktur mit fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen auf die Sprünge geholfen, was ebenso der weltkonjunkturellen Stabilisierung zugutekommt.

Das hilft der Eurozone ihre Konjunktur-Malaise im Frühjahr allmählich hinter sich lassen. Angesichts vieler struktureller Baustellen ist der Aufschwung jedoch schwach. Immerhin wirkt die Inflationsentspannung stabilisierend auf den Konsum. Um Wirtschaftspotenziale zu vergrößern, müssen Infrastruktur, Digitalisierung und ökonomische Transformation beherzter angepackt werden.

Doch befördert die akute Haushaltskrise die bereits kränkelnde deutsche Wirtschaft in die Notaufnahme. Grundsätzlich darf kein Kaputtsparen betrieben werden. Neuverschuldung darf jedoch nur zur Beseitigung der eklatanten Strukturprobleme (Infrastruktur, Digitalisierung, Bildung, Bürokratieabbau, Energiesicherheit) verwendet werden. Vor allem steht die wirtschaftliche Anpassung an die Künstliche Intelligenz an.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die ideologischen und planwirtschaftlichen Wirtschafts-Experimente gestoppt werden müssen. Ansonsten verlieren wir endgültig den Anschluss und verunsicherte Unternehmen und Verbraucher werden Investitionen und Konsum auf die lange Bank schieben oder sogar Exodus praktizieren.

Rohstoffe: Stabil, aber kein Hype

Für die Opec+ scheint ein Ölpreis um die 80 US-Dollar je Barrel die rote Unterstützungslinie zu sein. Da der Ölpreis aktuell in etwa auf diesem Niveau verläuft, werden die Produktionskürzungen in Saudi-Arabien und Russland wohl noch solange anhalten, bis die weltkonjunkturelle Nachfrage ansteigt. Zudem werden die Industriestaaten ihre Ölreserven wieder ausweiten.

Dennoch wird der Ölpreis nicht in Richtung 100 Dollar-Marke oder darüber springen. Die dann stattfindende Revitalisierung von Fracking, Kernkraft und Kohle sowie der beschleunigte Ausbau von alternativen Energien sprechen dagegen.

Aufhellungen der Weltkonjunktur werden im Laufe von 2024 das Ende der Nachfrage- und Investitionsschwäche der globalen Auto-, Maschinenbau- und Elektroindustrie einleiten und insofern für Preiserholungen bei konjunkturzyklischen Industriemetallen sorgen. Längerfristig spricht das Megathema Klimaschutz ohnehin für zunehmende Metallnachfrage.

Gold bleibt der sachkapitalistische Klassiker mit Perspektive. Mit der Zinsentspannung in Amerika und insofern Dollar-Beruhigung ist die Bühne für einen Goldpreis deutlich über 2.000 Dollar je Unze im nächsten Jahr bereitet. Stützend wirkt zudem, dass die internationalen Notenbanken weiter Goldbestände anhäufen. Insbesondere China treibt seine „Unabhängigkeitsbewegung“ von US-Anleihen voran und kauft so viel Gold wie kein anderes Land.

Geldpolitik: Aus Zinssenkungsphantasie wird -wirklichkeit

In den USA und der Eurozone sind Kerninflationsraten von zwei Prozent bis Mitte 2024 möglich.

Wenig verwunderlich hat die Fed ihre Zinserhöhungspolitik beendet. Und nach einer der Glaubwürdigkeit geschuldeten Karenzzeit auf dem aktuellen Zinsplateau rechnen aktuell die Finanzmärkte ab Juni mit drei Zinssenkungen. Mit Blick auf eine verhaltene Konjunkturstimmung und Überschuldung wäre aber auch ein früherer Start, größere Zinsschritte nach unten und ein Ende des Liquiditätsabzugs möglich.

Damit ist der Zeitpunkt für eine nachhaltige Trendumkehr bei US-Anleiherenditen und damit Kreditzinsen gekommen.

Konkret rechnen die Terminmärkte damit, dass auch die EZB genau wie die Fed ihre Leitzinsen dreimal senkt. Wegen der vergleichsweise schwächeren wirtschaftlichen Verfassung der Eurozone wäre es aber möglich, dass die EZB noch vor der Fed mit Zinssenkungen beginnt.

Auch ihre Liquiditätsausstattung bleibt üppig. So wird die Bilanzsumme der EZB laut ihrem Chef-Volkswirt Lane nicht wieder auf das Niveau vor Corona zurückkehren, um den Risiken für die Finanzstabilität vorzubeugen. Im Übrigen verfügt die EZB über ein „Transmission Protection Instrument“ (TPI), sozusagen ein „SEK“, das bei potenziellen Zinsschocks ohne Zögern zum Einsatz kommt. Die EZB wird neue Schulden-, Finanz- und Euro-Krisen verhindern.

Zinsen: Ihr Image als Kellerkind haben sie abgelegt, aber…

Zinspapiere kauft man, wenn die Renditen oben sind. Da wir uns in der Gegend des Zinsgipfels mit anschließendem Abstieg befinden, gehören möglichst langlaufende Staats- und Unternehmensanleihen ins Depot. Je länger die Laufzeit, desto größer der Kurshebel, wenn die Renditen nachgeben. Tatsächlich kommt es vor allem auf den Kurshebel an, um ordentliche Performance zu erzielen. Denn was bleibt nach Inflation vom laufenden Zinsertrag übrig? Während der reale Ertrag bei US-Staats und -Unternehmensanleihen positiv ist, ist das reale Bild in Deutschland und der Eurozone immer noch nicht wirklich freundlich.

Insgesamt muss kein Glaubenskrieg zwischen (langlaufenden) Zinspapieren und Aktien geführt werden. Aktuell gehört beides in ein ausbalanciertes Portfolio. Aber bitte Vorsicht mit Festgeldern. Mit dem Ende der Zinserhöhungen der EZB und der anschließenden Zinswende werden die Geldmarktzinsen nicht nur nicht weiter steigen, sondern fallen.

Stand heute werden Fed und EZB bis Ende 2024 ihre Zinsen gleichermaßen senken. Das spricht für eine grundsätzliche Seitwärtsbewegung des Euro gegenüber US-Dollar. Zwischenzeitliche Spekulationen, ob die Fed oder die EZB mit ihrem Zinssenkungstempo die jeweils andere Seite überbietet, können allerdings für vorübergehend höhere Schwankungsbreiten sorgen.

Aktienmärkte: Europa wird etwas zu Amerika aufschließen

Wenn Zinsen der natürliche Feind der Aktien sind, verliert der Feind 2024 an Wehrkraft. US-Aktien bleiben gegenüber der Konkurrenz aus Deutschland und der Eurozone beim Vergleich der Gewinn- mit Staatsanleiherenditen als Attraktivitätsmaß gegenüber Zinspapieren zwar zunächst benachteiligt.

Allerdings profitieren US-Aktien von attraktiven Standortqualitäten in Form vergleichsweise niedriger Unternehmenssteuern und Energiepreisen bei gleichzeitiger -sicherheit, Infrastrukturmaßnahmen und natürlich wegen eines gewaltigen Digitalisierungs- und damit Wettbewerbsvorsprungs.

Doch sollten Anleger nicht den Fehler machen und europäische und deutsche Aktien mit den „suboptimalen“ Wirtschaftsbedingungen in ihren Heimatländern gleichsetzen. So erwirtschaften im DAX bzw. MDAX gelistete Unternehmen jeweils rund 80 Prozent ihrer Umsätze im Ausland. Das macht sie klar unabhängiger von den nationalen Rahmenbedingungen.

Grundsätzlich spricht eine weiche US-Konjunkturlandung sowie eine allmähliche Wirtschaftsstabilisierung in China für längerfristiges Aufwärtspotenzial vor allem bei deutschen Export- und Industriewerten aus der zweiten Reihe. Sie sind besonders konjunkturreagibel und haben nach einem schwachen Börsenjahr 2023 Nachholpotenzial gegenüber der ersten Riege.

Sowieso sind deutsche Titel sowohl gegenüber US-Aktien als auch gegenüber den eigenen historischen Durchschnitten mit deutlichen Bewertungsabschlägen günstig zu haben. Diese werden sich zwar nicht angleichen, aber über die Export- und Industrieaktivitäten zumindest reduzieren.

Nicht zuletzt wird auch 2024 wieder ein Jahr mit soliden Dividendenzahlungen. Vergleicht man die Renditen des reinen Kurs-DAX mit dem bekannteren Performance-DAX, der Dividenden einrechnet und Wiederanlage unterstellt, erkennt man die Attraktivität des Ausschüttungseffekts.

Ein politisches Risiko für Europa ist jedoch die US-Präsidentschaftswahl Ende 2024, bei der nach Umfragen ein Republikaner in das Weiße Haus einziehen könnte. Dann wird auch die amerikanische Unterstützung für die Ukraine zurückgefahren, was aus Sicht der Börse positiv für ein Einfrieren des Konflikts spricht.

Für japanische Aktien sprechen solide Bilanzen und ein erwartetes Gewinnwachstum, das auf 12-Monats-Sicht mit der Konkurrenz des S&P 500 mithalten kann. Auch Japans Export-Unternehmen profitieren von der Reflation 2024. Ohnehin steht Japan im Zentrum aller asiatischen Freihandelsabkommen. Zudem bleibt die Bank of Japan der beste Freund des japanischen Finanzministers, dessen Konjunkturpaket über umgerechnet 100 Mrd. Euro sie zur Ankurbelung der Binnenwirtschaft finanziert. Und weil Zinssenkungen von EZB und Fed für einen wieder festeren Yen sorgen, können ausländische Investoren aus dem Euro- und Dollarraum sogar währungsseitig profitieren.

Schwellenländer: Aufatmen angesagt

Aufgrund der zurückhaltenden Zinspolitik der Fed können die Börsen der Schwellenländer aufatmen. Ihre Währungen werten wieder auf, was Kapitalflucht nach Amerika bremst und Zuflüsse erhöht. Zudem lässt der importierte Preisdruck nach, so dass Zinsrestriktionen obsolet sind. Da die Schwellenländer gleichzeitig einen Großteil ihrer Verschuldung in Dollar aufgenommen haben, entspannt sich ebenso ihr Schuldendienst. Von der Zinsentspannung profitieren insbesondere zyklische oder Tech-lastige Märkte wie z.B. Südkorea, Taiwan oder Indien, dessen Aktienmarkt aber bereits teuer ist. Und Mexiko und Brasilien profitieren von der fortschreitenden Verschiebung der US-Lieferketten von China in die direkte amerikanische Nachbarschaft. Apropos China, die aktuelle Lethargie seines Aktienmarkts läuft bei Konjunkturstabilisierung aus. Zu einem echten Durchbruch kommt es aber erst dann, wenn plan- durch marktwirtschaftliche Ambitionen ersetzt werden.

Branchenbetrachtung: Wachstums- und Substanzwerte sind beide gefragt

Die voranschreitende Zinsberuhigung verleiht Wachstumsaktien weiterhin Rückenwind. Da sich mit den Konjunktur- auch die Gewinnperspektiven stabilisieren, stehen aber auch zyklische Konjunkturwerte im Fokus.

Gerade in Europa haben zyklische Sektoren vielfach noch immer eine sehr niedrige Bewertung: Sie haben Value-Charakter vor allem bei Unternehmen aus den Sektoren Industrie, Banken und Automobile mit Kurs-Gewinn-Verhältnissen, die auf ihren tiefsten Niveaus seit 2011 liegen.

Tech-Aktien bleiben angesichts der Mega-Themen Digitalisierung und KI bei gleichzeitig ungebrochener Preissetzungsmacht langfristig aussichtsreich. Dabei sollte auch auf Werte aus der zweiten Tech-Reihe geschaut werden, die immer noch günstig zu haben sind. Interessant sind zudem Kommunikationsdienstleister, die u.a. von Ausstrahleffekten des KI-Booms profitieren und teilweise mit zweistelligem Gewinn-Wachstum glänzen.

Kryptos: Frühlingserwachen nach Krypto-Winter?

Die Pleite der großen Krypto-Börse FTX ist verdaut, der Skandal um Geldwäsche und Sanktionsverstöße um Binance scheint keine Stimmungsbremse mehr zu sein und die Flurbereinigung durch ein weniger üppiges geldpolitisches Umfeld abgeschlossen. Tatsächlich kommt es mit den Zinssenkungsphantasien nun sogar zu Tauwetter im „Krypto-Winter“. Zudem liegen der US-Börsenaufsicht mittlerweile eine Vielzahl von Anträgen auf Bitcoin- und Ethereum-ETFs unterschiedlicher Anbieter vor, so dass für diese Kryptos ordentliche Mittelzuflüsse zu erwarten sind. Offensichtlich halten Kryptos die zunehmende Regulierung aus, was sicherlich auch zu ihrer Professionalisierung als Anlageklasse beiträgt. Dennoch, aufgrund der im Vergleich z.B. von Aktien erschwerten politischen und wirtschaftlichen Einschätzung sind Kryptos weiterhin als spekulative Investments zu betrachten.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725

Beitrag senden

Drucken mit Kommentaren?



href="javascript:print();"