Russland schlägt zurück

In der vergangenen Woche wurde der EU-Außenbeauftragte Josep Borell - auf einer Pressekonferenz vom russischen Außenminister Sergej Lawrow - harsch kritisiert. Als Reaktion auf die EU-Vorwürfe, über gravierende Polizeigewalt in Russland, ließ der russische Außenminister eine Sammlung von Videoaufnahmen veröffentlichen, die Polizeiübergriffe in der EU und in den USA in jüngster Zeit dokumentierten.

Borell gestand darauf kleinlaut ein, dass es auch im Westen Polizeiübergriffe gäbe, aber dass es den Opfern im Westen stets offenstehe, die Täter vor Gericht zur Rechenschaft zu ziehen, so Borell.

Das Informationsportal German Foreign Policy schrieb dazu:

Die Fakten stützen Borrells Behauptung nicht. So wurden nach Zählung von Bürgerrechtlern im vergangenen Jahr 1.127 Personen von US-Polizisten getötet; davon landeten lediglich 16 Fälle vor Gericht. Bei der Niederschlagung der Proteste der gilets jaunes ("Gelbwesten") durch Frankreichs Polizei verloren 24 Demonstranten durch Gummigeschosse ein Auge; auch Todesopfer waren zu beklagen. Justizielle Folgen hatte dies kaum.“

Der EU-Außenbeauftragte hatte sich nach Moskau begeben, um trotz der angespannten Ausgangslage wichtige Themengebiete zu erörtern. Besonders die Bundesregierung drängte auf diese Reise, da Berlin - trotz der ständigen Sanktionsdrohungen gegenüber Moskau - in vielen Bereichen auf eine Kooperation mit dem Kreml angewiesen bleibt, zum Beispiel beim Thema Nord Stream 2 oder der Situation in Libyen.

Ferner blickt Berlin aus einem anderen wichtigen Grund in Richtung Moskau. Die Merkel-Regierung versucht den dramatischen Mangel an Covid-19-Impfstoffen durch den Erwerb des russischen Vakzins Sputnik V zu beheben, welches bis vor Kurzem in der Bundesrepublik abfällig beurteilt wurde.

Im Kreml ist der Geduldsfaden geplatzt

Die strenge Reaktion des russischen Außenministers, die man eventuell als undiplomatisch bezeichnen könnte, deutet aber darauf hin, dass Moskau nicht mehr gewillt ist, sich auf westliche Spielchen einzulassen, ja dass im Kreml der Geduldsfaden geplatzt ist. Jörg Kronauer schreibt diesbezüglich:

Dass es zwischen Brüssel und Moskau kracht wie kaum zuvor, ist allerdings kein abstrakter »Tiefpunkt«. Die Ereignisse Ende vergangener Woche haben vielmehr eine neue Phase eingeleitet. War man bisher gewohnt, dass die EU – wie der Westen insgesamt – stets von neuem auf Russland eindrosch, mal wegen Syrien, mal wegen Libyen, mal wegen Nawalny, der Anlass spielte letztlich keine Rolle, so setzt sich Moskau nun offensiv zur Wehr: Das Außenministerium hat pünktlich zu Borrells Besuch ein Video veröffentlicht, das brutale Polizeigewalt im Westen dokumentiert. Lawrow hat zudem die Sanktionsorgien des Westens als »Werkzeuge aus der kolonialen Vergangenheit« attackiert, und die Ausweisung der Diplomaten hat klargestellt, dass Moskau eine direkte Einmischung in seine inneren Angelegenheiten nicht mehr toleriert. Soll heißen: Eine punktuelle Kooperation, wie sie Borrell mit Lawrow besprach, gibt es nur unter der Bedingung, dass Mindeststandards eingehalten werden – vor allem die Achtung auch der russischen Souveränität.

Irische EU-Abgeordnete: "Nawalny ist ein bösartiger, einwanderungsfeindlicher Rassist mit vielleicht vier Prozent Unterstützung..."

Nach seiner Rückkehr aus Moskau war Borell wieder starker Kritik ausgesetzt, dieses Mal von vielen Abgeordneten im EU-Parlament. Nur die irische EU-Abgeordnete Clare Daly, von der Partei Independents 4 Change, betrachtete in einer emotionalen Rede die Situation aus einer anderen Perspektive:

"Nawalny ist ein bösartiger, einwanderungsfeindlicher Rassist mit vielleicht vier Prozent Unterstützung, der in Millionenstädten ein paar Hundert oder Tausend Menschen zusammenbringt – das ist keine Massenbewegung. Mittlerweile ist Julian Assange seit fast zehn Jahren eingesperrt, weil er US-Kriegsverbrechen aufgedeckt hat. Wir dürfen seinen Namen nicht erwähnen. (...) Wo bleibt (...) der Aufschrei über die Hunderte von Menschen, die vor einer Woche bei einem Protest hier in dieser Stadt verhaftet wurden? Nicht ein einziges Wort – denn hier geht es nicht um Menschenrechte. Es geht um eine geopolitische Agenda gegen Russland, angeheizt durch einen militärisch-industriellen Komplex, der einen Feind braucht, um seine Millionen (Ausgaben) zu rechtfertigen."

"Was bedeutet das konkret für mich!?"

Wird es in Berlin und Brüssel nicht bald gelingen, einen Ausgleich mit Moskau zu finden, könnte aus den angespannten Beziehungen eine offene Feindschaft entstehen, mit dem größten Flächenstaat der Welt, vor den Toren der EU.

Russland scheint mit seiner Geduld am Ende und die EU scheint unfähig, eine eigene außenpolitische Strategie gegenüber Moskau zu finden, unabhängig von den Zielsetzungen in Washington. Langfristig ist dieses für die EU hochriskant, denn nicht nur Moskau wird sich immer mehr nach Osten wenden, hin zu den boomenden Märkten Asiens, sondern auch Washington blickt immer mehr in Richtung Pazifik, statt über den Atlantik. Europa könnte dann in naher Zukunft ziemlich einsam, ja ziemlich erbärmlich dastehen.  

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