Erster Teil: Kasachstan - eine aufstrebende Macht

Einen Tag später. Es ist Donnerstag, der 8.Juni 2023, das Astana International Forum (AIF) beginnt. Kasachstan definiert dieses Forum als Plattform, um eigene Ansichten und Positionen zu den brennenden Fragen der Zeit zu diskutieren und eigene Lösungsansätze jenseits der Vorgaben der alten und neuen Supermächte zu konzipieren.

Kasachstan erwirtschaftet schon jetzt weit mehr als die Hälfte des gesamten BIP in der Region. Das neuntgrößte Land der Erde strebt, basierend auf einem robusten Wirtschaftswachstum und diplomatischem Feingefühl auf die Weltbühne.

Aufgrund des umfangreichen Rohstoffvorkommen in dem zentralasiatischen Land, wird Kasachstan für China, aber auch Indien und Europa immer wichtiger. Durch den Krieg in der Ukraine profitiert Kasachstan als neuer Energielieferant, denn der Westen ist auf der hektischen Suche nach neuen Energielieferanten.

Was den Ölexport aus Kasachstan angeht, so hat sich dieser nach Europa verfünffacht. Nach Deutschland flossen im April 50.000 Tonnen. Zulfiya Suleimenova, die Ministerin für Ökologie und natürliche Ressourcen, steht plötzlich vor mir.

Bild: Ramon Schack

Ich bitte die erst 32-jährige Politikerin um ein Interview.

Frau Suleimenova, seit Anfang des Jahres wird die PCK-Raffinerie im deutschen Schwedt mit Öl aus Kasachstan versorgt. Wie sicher ist diese Versorgung für die dortige Raffinerie, welche auch die deutsche Hauptstadt Berlin und das Umland zu 95 Prozent mit Benzin, Heizöl sowie Kerosin versorgt?

Ich kann Sie und Ihre Leser in Deutschland diesbezüglich beruhigen, Kasachstan wird dieses Jahr etwa 1,5 Millionen Tonnen Öl nach Schwedt liefern, von wo aus, Sie hatten es gerade erwähnt, Berlin, der dortige Flughafen, aber auch Teile Westpolens mit Treibstoff versorgt werden. Wir halten uns an die gültigen Verträge.

Kasachische Ministerin Zulfiya Suleimenova: Die Beschaffenheit unseres Öls ist der russischen sehr ähnlich

Zum Astana International Forum, welches 2 Tage andauert, sind neben tausenden Teilnehmern, auch über hundert Redner und Diskussionsteilnehmer aus 70 Ländern angereist. In den Sälen treffen sich Menschen aus aller Welt.

Bilder: Ramon Schack

Ich treffe Kollegen aus Kanada, Mexiko, Serbien, Italien, Iran und Äthiopien, ich aber bin der einzige deutsche Journalist weit und breit.

Themengebiete, die auf der globalen Agenda weit oben stehen, sind auch in Astana präsent: Außen- und Sicherheitspolitik, Entwicklung und Nachhaltigkeit, Energie und Klimawandel, Wirtschaft und Finanzen.

Weit über tausend Teilnehmer werden erwartet, darunter Staatsoberhäupter, Vertreter von internationalen Organisationen und NGOs sowie hochkarätige Experten aus den auf der Konferenz angesprochenen Themengebieten.

Der Emir von Katar gehört zu den hochrangigen Gästen und wurde von Präsident Tokajew vor dem Veranstaltungsort ebenso persönlich begrüßt wie der Präsident der Kirgisischen Republik, Sadyr Dschaparow, die Vorsitzende des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, Željka Cvijanović, sowie Helga Maria Schmid, Generalsekretärin der OSZE.

CNN-Star-Moderator Richard Quest eröffnete das Forum, der US-amerikanische Fernsehsender fungiert als einer der Organisatoren der Veranstaltung, bevor er das Wort dem Präsidenten Kasachstans übergibt, der im akzentfreien Englisch und mit Nachdruck die Notwendigkeit, die Stimmen der Mittelmächte zukünftig deutlicher zu vernehmen, angesichts der globalen Spannungen.

Bild: Ramon Schack

Tokajew weiß, wovon er spricht, denn Kasachstan wurde nicht nur zu Beginn des vergangenen Jahres von schweren innenpolitischen Unruhen erschüttert, was ihm am Vorabend des Kriegsausbruchs in der im Westen zunächst den Vorwurf einbrachte, ein autoritärer Herrscher zu sein.

„Immerhin wurde das übliche Narrativ von den demokratischen Massen, die sich gegen ihre autokratische Regierung erheben, nicht permanent aufrechterhalten, was auch schlecht möglich gewesen ist, angesichts der Tatsache das auch zahlreiche Polizeibeamte und Soldaten ermordet wurden, einige darunter wurden sogar geköpft, was man nicht einmal mehr im Westen als demokratische Gepflogenheit abzutun gedenkt.“ schrieb ich damals auf Cashkurs.

Inzwischen, so berichten einheimische Journalisten, habe sich herausgestellt, dass es sich damals um einen Coup der alten Mächte, um den ehemaligen Präsidenten Nasarbajew, gehandelt habe, welche die Unruhen damals ausgelöst hatten. Allgemein hat sich aber ein Mantel des Schweigens um dieses Thema gelegt.

Kasachstan konzipiert eine neue Geostrategie

Stattdessen arbeitet man lieber an einer Geostrategie, Kasachstan als Sprecher der Binnenstaaten zu installieren, denn es handelt sich um den größten Binnenstaat der Welt.

Das Tor zur Außenwelt stellte für Kasachstan immer Russland, wodurch der Zugang zu den Weltmeeren ermöglicht wurde und dank niedriger Handelsschranken den Zugang zu den Weltmärkten bot.

Russland und Kasachstan sind Mitglieder einer Zollunion und teilen eine über 7000 Kilometer lange Grenze miteinander. Über die Druschba-Pipeline, welche mit dem russischen Hafen Noworussijsk verbunden ist, werden rund 80% der kasachischen Ölexporte transportiert.

Die Macht des Mittleren Korridor

Präsident Tokajew ließ es sich daher nicht nehmen, nicht nur Kasachstans Rolle innerhalb des Seidenstraßen-Projektes zu würdigen, sondern darüber hinaus das geopolitische Konzept des „Mittleren Korridors“ ins Gespräch zu bringen, einer riesigen Handelsroute, die in Südostasien starten und über China quer durch Kasachstan, das Kaspische Meer, Aserbaidschan und Georgien in Richtung Europa verlaufen soll.

Ähnlich hatte sich schon am Tag zuvor der kasachische Wirtschaftsminister Alibek Kuantrow vor Journalisten geäußert. Auch er pries das Konzept des „Mittleren Korridors“ als strategischen Entwurf, der sowohl die Position Kasachstans festigen wird, als auch die Stabilität der Region und der Welt absichern könnte, da dieses darauf abzielt, China über See- und Eisenbahnlinien unter Umgehung Russlands mit Europa zu verbinden.

"Was heißt das konkret für mich!?“

Ex Oriente Lux / Aus dem Osten kommt das Licht? Immerhin die geopolitische Initiative. Während man in der EU krampfhaft an einer transatlantischen Ausrichtung festhält, zum Schaden Europas, reflektiert man in Zentralasien die Gegebenheiten und erfindet sich neu.

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