Was Bagdat Mussin, Kasachstans Minister für digitale Entwicklung, Innovation und Luftfahrt am 17. September in New York vortrug, klang vordergründig sehr schön und menschenfreundlich, entpuppt sich jedoch bei näherer Betrachtung als gruseliges Instrument zur Totalüberwachung einer Bevölkerung. Und zwar mithilfe der UN und der globalen IT-Konzerne deren Handlangerin die UN zunehmend wird.

Mussin sprach auf der von der International Telecommunication Union (ITU), der UNDP und Partnern veranstalteten, geschlossenen Konferenz SDG Digital. Dabei wurden digitale Lösungen für die sozialen UN-Entwicklungsziele (SDGs) vorgestellt und beworben, darunter die Digital Family Card Kasachstans, die Mussin vorstellte. Die ITU ist eine UN-Agentur, bei der Regierungen und IT- und Telekommunikationskonzerne Mitglied sind.

Das kasachische Programm und seine Begründung lassen sich folgendermaßen auf den Punkt bringen, wenn man die Präsentation der schönen Floskeln entkleidet:

Wenn Familien in Notlagen sind, mussten sie bisher einen Antrag stellen und Hilfsbedürftigkeit nachweisen, bevor ihnen geholfen wurde. Das dauert und macht Mühe. Viel besser, wenn der Staat alles über alle seine Bürger weiß, und damit auch, wer hilfsbedürftig ist und niemand in der Familie hat, der helfen kann. Hilfsbedürftige Familien bekommen im Rahmen der neuen Politik vom Staat ein Hilfsangebot, ohne danach fragen zu müssen. Sie müssen es nur noch annehmen. Ist das nicht schön?

Mussin berichtet, im laufenden Jahr hätten bereits 800.000 Familien Unterstützungsangebote erhalten und 650.000 davon seien abgerufen worden.

Das Video seines Vortrags (von 2h:48-54min) und des gesamten Programms des ersten Tages war am 18.9. auf der Netzseite der ITU zur Veranstaltung eingebettet, heute am 19.9. kann ich es dort nicht mehr finden. Es ist aber auf der Plattform X (Twitter) von Bernie’s Voice veröffentlicht worden.

Durch Zusammenfügen aller dem Staat greifbaren Daten, von elektronischen Krankenakten über Finanzamts-, Kredit- und Familienstandsdaten bis zu Grundbucheintragungen sieht sich der Staat nun in der Lage, zielgenau bedürftigen Familien zu helfen – und nur denen, wie man sich dazu denken darf.

Wobei „Hilfe“ im Sinne eines autokratisch regierten Staates wie Kasachstan recht weit auszulegen ist. Manchmal muss man einem Menschen auch gegen seinen Willen helfen, ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft zu werden. Das deutet sich an, wenn etwa „Probleme mit dem Gesetz“ als Notlagen aufgezählt werden, die eventuell Hilfsmaßnahmen erfordern, oder dass die Kinder nicht in Kindergarten oder Schule gehen. Wer weiß, welche Art von Hilfsangeboten „Arbeitslosigkeit“ oder „fehlende Ausbildung“ nach sich ziehen.

 

Die Familien werden in fünf Klassen eingeteilt, von „In akuter Notlage“ über „In Krise“ bis hoch zu „Wohlhabend“. Bedürftig sind laut Mussin nur diejenigen in akuter Notlage, nicht die lediglich in einer Krisensituation. Aber vielleicht muss man seine wenigen Worte in dem kurzen Vortrag nicht auf die Goldwaage legen.

Überwachungshilfe für eine autoritäre Regierung

Es lässt tief blicken, wenn die UN einem hochgradig autoritären Regime wie dem kasachischen dabei hilft, ein Instrument zur Bevölkerungsüberwachung zu entwickeln. Gemäß einem Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung von 2022 wird das Land „autoritär geführt“ und belegt im Korruptions-Wahrnehmungsindex von Transparency International Platz 102 von 180, wird im Index des Think Tanks „Freedom House“ als „nicht frei“ geführt – die niedrigste Bewertung, wenn es um die Ausprägung von politischen Rechten und zivilgesellschaftlichen Freiheiten geht. Im Pressefreiheits-Ranking von „Reporter ohne Grenzen“ habe Kasachstan 2021 Platz 155 von 180 geführten Ländern belegt.

Aber die ungenierte Zusammenarbeit der UN mit dieser Regierung bei der angeblich ausschließlich wohlmeinenden Bevölkerungskontrolle  ist auch nicht wirklich erstaunlich, passt sie doch zum technokratisch-paternalistischen Geist, der durch die Hallen der UN-Organisationen in New York und Genf weht. Und für das Geschäft der Konzerne ist die unterstützende Hand einer starken Regierung allemal besser als die kleinkarierte Bedenkenträgerei, die in demokratisch-freiheitlichen Staatswesen vorherrscht.

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Dieser Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Norbert Häring. Vielen Dank für die Erlaubnis ihn übernehmen zu dürfen!

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