Nach 40 Jahren zeigt die Inflation wieder ihre hässliche Fratze
Bis 2019 glaubte man in der westlichen Finanzwelt, den Stein der Weisen gefunden zu haben: Globalisierung und eine bis zum Anschlag betriebene industrielle Optimierung schienen die alte Wirtschaftsthese, wonach zu billiges und viel Geld zu hohen Preissteigerungen führt, auszuhebeln. Bei gleichzeitiger Säkularisierung der heiligen EU-Stabilitätskriterien war Schuldenmachen in Europa einfach und billig. Wenn wie beim Metzger gefragt wurde, „Darf es auch etwas mehr sein?“ lautet die Antwort der Regierungen immer ja. Tatsächlich wurde jeder Krise zins- und liquiditätspolitisch mit dem geldpolitischen Füllhorn entgegengewirkt.
Als dann nach Corona die Inflation dennoch anfing zu steigen, wurde das Narrativ einer nur vorübergehenden Inflation aufgebaut. In dieser Zeit hat sich die Geldpolitik schleichend zum staatlichen Erfüllungsgehilfen machen lassen. Das mag auch an der „Unabhängigkeit“ von Notenbankern liegen. Denn die Politik entscheidet, wer Notenbanker wird. Und warum bitte sollten Politiker „Sparbrötchen“ benennen, die ihnen das Geldausgeben erschweren? Niemand setzt sich freiwillig eine Laus in den Pelz, oder?
Aber vorübergehend kann anscheinend sehr lange dauern. In dieser „nur vorübergehenden“ Zeit haben Lieferengpässe, Energie- und Rohstoffpreissteigerungen sowie Deglobalisierung und Protektionismus die Inflation wiederauferstehen lassen. Vor allem wurden Zweitrunden-Effekten kräftig Wasser auf ihre Mühlen geleitet. Oder glaubt irgendjemand, dass Unternehmen und der Staat die inflationsbedingt höheren Gehälter nicht ebenso in Form höherer Produktpreise bzw. Gebühren- und Kommunalabgaben weitergeben?
Und dann wirkt die grüne Transformation der Industriegesellschaft. Während das russische Gas konkurrenzlos billig war, werden Dekarbonisierung und Wärmewende dauerhaft das Preisniveau treiben. Außerdem soll massiv Strom eingespart werden, sodass insgesamt ein verringertes Angebot auf eine immer höhere Nachfrage durch Wärmepumpen, E-Mobilität und Digitalisierung trifft. Zu sinkenden Energiepreisen wird das nicht führen.
Der Staat als Inflationstreiber
Damit Deutschland dennoch wettbewerbsfähig bleibt, will die Politik den Industriestrom subventionieren. Man macht ihn zuerst künstlich teuer, um ihn dann künstlich zu verbilligen. Herbert Grönemeyers „Kinder an die Macht“ ist Realität geworden. Und da die Deindustrialisierung Deutschlands auch Wohlstand kosten wird, kommt Papa Staat zur Wahrung des sozialen Friedens auch an weiter üppigen Sozialausgaben nicht vorbei.
Schließlich, seitdem US-Präsident Biden einen Subventionswettlauf startete, plant Europa ähnliche Projekte und sowieso höhere Verteidigungshaushalte. Und so bleibt die Ausgabendisziplin auf der Strecke. Christian Lindners Einsparauflagen sind bei seinen Kabinettskollegen so beliebt wie eine Darmspiegelung.
All diese Aber-Milliarden des Staates, die auf ein mangelndes Angebot treffen, werden die Inflation nicht bremsen, sondern beschleunigen.
Leider hat der Staat diese Finanzmittel nicht. Er muss weiter viele Schulden machen. Da helfen auch keine Taschenspielertricks, die Schulden als „Sonder-Vermögen“ definieren, um sie nicht auf die Schuldenbremse anrechnen zu müssen. Doch so wie Gammelfleisch nicht durch das Aufkleben eines falschen neuen Verfalldatums genießbar wird, bleiben Schulden eben auch Schulden.
Die Staatsschulden explodieren förmlich. Selbst Deutschland verletzt 2023 das dritte Mal in Folge das europäische Defizitkriterium. In der Euro-Zone zusammen hat sich die Verschuldung seit der Finanzkrise 2008 von 6,2 auf 12,4 Bill. Euro verdoppelt, was etwa 100 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht. In den sieben größten Industriestaaten liegt der Wert insgesamt sogar bei 130 Prozent.
Wie will man diesen Staatsschulden überhaupt Herr werden? Kommt jemals wieder Finanz- und damit auch Preisstabilität zurück?
Die Rolle der Preisstabilität in der Geldpolitik: Der Geist ist willig, das Fleisch aber schwach
Die Geldpolitik könnte theoretisch der staatlichen Ausgabenwut Paroli bieten wie in den 80er-Jahren. Denn ohne konsequente Fiskaldisziplin ist der Kampf gegen Inflation nicht zu gewinnen.
Doch haben bereits die bisherigen zinspolitischen Nadelstiche unangenehme Folgen gehabt, z.B. Bank runs. Diese finden heute nicht mehr klassisch mit Schlange stehen vor den Banken, sondern virtuell mit dem Smartphone statt. Mit ein paar Klicks vagabundiert das Kapital in den USA massenhaft von weniger verzinslichen Bankeinlagen zu attraktiveren Geldmarktfonds, was im Extremfall - wie schon gesehen - Bankpleiten auslöst. Außerdem versetzen höhere Kreditzinsen Staat, Unternehmen, Konsumenten, den Gewerbeimmobiliensektor und die Konjunktur im Allgemeinen in Stress. Einen credit crunch wird die gute alte Fed nicht zulassen.
Und bei uns in Europa muss die EZB die schuldenverliebten Euro-Staaten, die Banken und den Euro retten, koste es was es wolle, auf Englisch: Whatever it takes.
Mit ihrer Dauerrettungspolitik hat sie stabilitätsfeindliche Geister gerufen, die sie jetzt nicht mehr loswird. Die Regierungen haben verlernt, Krisen auszuhalten, ohne neue Schulden zu machen. Tatsächlich suggeriert die Politik ihren Bürgern, dass der Staat alles lösen kann. Die gute alte soziale Marktwirtschaft mit einem Leistungsprinzip und ordentlichem statt künstlichem Wachstum ist nicht mehr in. Und überhaupt, da ein negativer Realzins den Staat elegant entschuldet, haben Politiker ein gebremstes Interesse an Inflationsbekämpfung über Zinserhöhungen.
Zugegebenermaßen schwächt sich die allgemeine Inflationsdynamik dank Basiseffekten und niedrigerer Energiepreise zurzeit ab. Bei Beibehaltung des fiskalpolitischen Müßiggangs mit geldpolitischer Barmherzigkeit wird sie längerfristig deutlich höher als zwei Prozent bleiben. Und wenn man Inflation richtig misst, könnte man sagen, vier Prozent sind die neuen zwei Prozent. Denn die offiziellen Inflationsraten halte ich für geschönt. Sie passen nur, wenn man von Luft und Liebe lebt.
In puncto wiedererstarkter Inflation komme ich zum Schluss auf Marius Müller-Westernhagen zurück. Passend dazu heißt es in seinem Lied weiter: „Ich rieche den Dreck, ich atme tief ein und dann bin ich mir sicher, wieder zu Hause zu sein.“
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Kommentare
„Energie muss teurer werden!“
Kaum ist sie es, werden Preisdeckel und Subventionen gefordert und ins Werk gesetzt. Gerade so, als läge das Problem darin, dass die Preise aus den falschen Gründen gestiegen sind.
Wir riechen den Dreck nicht mehr nur, nein wir stolpern schon jeden Tag darüber. Eines Tages, in wohl nicht all zu großer Ferne, liegen wir mit der Schnautze dann im Dreck. Ob diese Suhle dann so freudig ankommt, wage ich zu bezweifeln. Nun denn, heute scheint die Sonne, genießen wir den Tag, was morgen kommt, sich die Mehrheit nicht mehr fragt.
Ich denke, da wird ihnen niemand widersprechen. Der Artikel bringt es auf den Punkt.
Beste Grüße
Warum sollten die Schulden jemals zurück gezahlt werden?
Die Gewerkschaften kämpfen alle 2 Jahre um eine satte Lohnerhöhung, alle sind zufrieden.
War gestern mit meiner Frau und unserer Enkeltochter Eis essen. Für jeden einen schönen Becher.
Mit ein paar Cent Tipp 20 Euro. What ever it takes....
Hallo Herr Halver,
»L'État, c'est moi«, Ludwig der XIV.
Berechtigte Frage! Es gibt keinen Grund. Mir ist auch kein Beispiel bekannt, dass ein Staatswesen jemals seine Schulden zurückgezahlt hätte. Warum auch?
Aufschulden bis zum bitteren Ende, Schuldenschnitt, Krönchen richten, und das ganze Spielchen von vorn.
Die Kunst besteht darin, am Tag des Schuldenschnitts keine Staatsanleihen zu halten.
"Der Staat allein ist verantwortlich für Inflation und Geldentwertung. Es ist unmöglich ohne die Regierung oder gar gegen die Regierung Inflation zu erzeugen."
Wie wurde in der EU von den Regierungen gejammert, weil jahrelang die 2 % Inflation nicht erreicht wurden. Mit der Plandemie und dem inzenierten unmenschlichen Ukrainekrieg ist es nun auch endlich gelungen.