Am Morgen vor meinem Abflug nach Bali besuche ich noch die größte buddhistische Tempelanlage der Welt - die Kultstätte von Borobudur, in der Nähe von Yogyakarta. Über 1000 Jahre war der Tempel in Vergessenheit geraten, hatte sich unter der dichten tropischen Vegetation verborgen, bis er erst 1814 wiederentdeckt wurde.

Noch vor Sonnenaufgang versammeln sich die Besucher in der Anlage, um den Anbruch des Tages in dieser berauschenden Kulisse zu verbringen. Auf der Spitze ist die Gestalt Gautamas in weltabgewandter Beschaulichkeit dargestellt, flankiert von der wabenförmigen Anhäufung zahlreicher Stupas.

Kultstätte von Borobudur: Javas hinduistische und buddhistische Vergangenheit

Die Besucher der Tempelanlage, welche jetzt durch die hinter dem Vulkan aufgehende Sonne in ein goldgelbes Licht getaucht wird, bestehen aus Einheimischen und ausländischen Besuchern. Die Javaner huldigen heute als brave Muslime dem mysteriösen, gleichwohl faszinierenden Erbe ihrer Ahnen, deren Bauten von einer Zivilisation von beträchtlichem Niveau berichten.

Reliefs an den Tempelmauern verbreiten Bilder einer hochentwickelten, aber auch dekadenten Welt, die zumindest auf Java verschwunden ist, ebenso wie die hinduistische Kultur, die den buddhistischen Reichen folgte. Wer weiß denn heute noch, dass im 14. Jahrhundert die hinduistische Vajradhara-Sekte an dieser Stelle ausschweifende Orgien zelebrierte, die im krassen Gegensatz zur Weltentsagung des Buddhismus stehen?

Trotzdem nähern sich die muslimischen Javaner dem historischen Erbe - einige Tage zuvor war mir das bei dem Besuch des hinduistischen Tempels von Prambanan schon aufgefallen - mit einer Mischung aus Respekt und Ehrfurcht, ohne die salafistische Bilderstürmerei, welche in Saudi-Arabien ausgebrütet wurde und wird, zu betreiben.

Mein Guide begleitet mich zum Flughafen. Auf dem gut ausgebauten Straßennetz geht es zügig voran. Die Infrastruktur ist besser als erwartet. Meinem Guide berichte ich, dass in den indonesischen Hotels ein Service geboten wird, der in Europa und auch in Amerika und Ozeanien selten geworden ist, wobei die weiblichen Angestellten durch besondere Kompetenz und Fleiß positiv auffallen.

Überhaupt haben die Tage auf Java bei mir einen angenehmen Eindruck hinterlassen. Sicher, immer noch lebt die Bevölkerung überwiegend auf niedrigstem sozialen Niveau, doch wirkliches Elend, wie es auf den Philippinen oder im indischen Subkontinent auftritt, ist auf Java selten.

Von Java nach Bali: Von der Welt des Islams in die Welt der Hindus

Während des Fluges nach Bali, die Reisedauer von Yogyakarta nach Denpasar beträgt lediglich 90 Minuten, denke ich über das Verhältnis der beiden Inseln zueinander nach.

Javaner und Balinesen unterschieden sich nicht nur durch ihre Sprache, sondern auch durch ihre Religion.

Bali gehört neben Indien, Nepal und Mauritius zu den Regionen auf der Welt, in denen die Mehrheit der Bevölkerung aus Hindus besteht. Es ist das einzige Eiland innerhalb des riesigen Inselreiches, wo die einst dominierende hinduistische Glaubensrichtung heute noch erhalten geblieben ist.

Das Attentat von 2002 traf Bali nicht zufällig

Es ist daher kein Zufall, dass Bali, genauer gesagt der Urlaubsort Kuta, im Jahr 2002 Ziel eines fürchterlichen Terroranschlages wurde, der über 200 Menschenleben forderte, in der Mehrheit traf es australische Touristen.

In der balinesischen Hauptstadt Denpasar wurde dann einige Jahre später der Automechaniker Amrozi, einer der Beteiligten am Bomben-Attentat, unter großem Beifall einiger Angehöriger der Opfer zum Tode verurteilt.

Aber Amrozi, der "lächelnde Bomber" - wie die Medien ihn nannten - machte auf der Anklagebank eher den Eindruck eines Geistesgestörten als den eines kaltblütigen Todesengels.

Zur Zeit des amerikanischen Afghanistan-Feldzuges wurde in den Straßen Jakartas das Bild Osama bin Ladens von radikalisierten Studenten wie eine Ikone hochgehalten, doch der schwachsinnige Killer Amrozi wird wohl kaum zu ähnlichen Ehren gelangen, da er sich nicht zum Märtyrer eignet.

Die wirklichen Strippenzieher der Anschlagswellen, die sich in Indonesien wie auch auf den benachbarten Süd-Inseln der Philippinen ausbreiten - dort kämpft die "Islamische Moro-Befreiungsfront" seit Jahrzehnten gegen die Ausbeutung und Unterdrückung durch die christliche Regierung von Manila -, werden zwar mit dem Etikett "Jemaah Islamiyah" abgestempelt und in das weltweite Komplott von Al-Qaida eingereiht, wie es auch der damalige indonesische Verteidigungsminister tat, doch für die amerikanischen und australischen Nachrichtendienste blieben sie unauffindbar.

Ob Bali immer noch dieses tropische Eiland von unvergleichlicher Schönheit ist, von dem Peter Scholl-Latour häufig schwärmte, wenn wir uns in seiner Berliner Wohnung zum Gedankenaustausch trafen? Von den Auswüchsen des Massentourismus war Bali damals noch weitgehend verschont, der Fremdenverkehr war seinerzeit erst im zarten Aufbau begriffen. Der vor fünf Jahren verstorbene Chronist hatte dann nach einem Besuch Balis im Jahr 2008 seine Erinnerungen mit der Realität in Einklang gebracht.

Bali - ein Tropentraum? Die Australier sind jedenfalls zurück!

Sicher, es gibt noch dieses Faszinosum Bali, jene Dörfer in denen religiöse Feierlichkeiten stattfinden, schöne Menschen in traditioneller Tracht, Kokospalmen und exotische Blumen, die Traumstrände am smaragdgrün schimmernden Indischen Ozean - doch nicht in Kuta, wo sich das Taxi jetzt seinen Weg durch die verstopften und engen Straßen erkämpft, vorbei an grell beleuchteten Bars und Fressbuden, wo sich Touristen drängen - überwiegend Australier, Chinesen und Inder.

„Ja die Australier sind zurück“ erwähnt Wayan, der abseits der Hauptstraße ein kleines Geschäft betreibt. Wayan, Anfang 50, hat in den vergangenen Jahren seine beiden erstgeborenen Söhne allein aufziehen müssen, da seine Frau bei dem Anschlag von 2002 ums Leben kam.

Sie arbeitete als Kassiererin in dem betroffenen Club. Wir haben uns vor Paddy‘s Bar verabredet, wo im Oktober 2002 die Bombe eines Selbstmordattentäters explodierte. Die aus dem brennenden Inferno Fliehenden wurden dann von einer zweiten Explosion – ausgelöst durch eine mit einer Fernbedienung gezündeten Autobombe, welche in einem weißen Mitsubishi Van versteckt war – erwischt. Wayan macht mich auf das Denkmal aufmerksam, welches von der Regierung zur Erinnerung an das Attentat errichtet wurde. Die Namen aller Opfer und deren Nationalität sind dort aufgeführt, 88 von ihnen stammten aus Australien.

„Die ersten Jahre nach dem Anschlag brach der Tourismus völlig ein. Die Tatsache aber, dass die nordaustralische Stadt nur knapp zwei Flugstunden von hier entfernt liegt und Melbourne fünf, hat uns die Gäste aus dem 5. Kontinent wiedergebracht“,

berichtet Wayan, der aufgrund des Attentates und seines persönlichen Schicksalsschlags Muslimen gegenüber keinen Groll hegt.

„Vielleicht kam der Anschlag ja aus einer ganz anderen Ecke als offiziell dargestellt“ fügt er hinzu, während er sich eine Zigarette anzündet.

Erzwingung der Unabhängigkeit von Osttimor brachte USA und Australien in Verruf

Unter Suharto bestanden enge Beziehungen der indonesischen Offiziere zu ihren Verbündeten USA und Australien.

Diese Sympathie schlug jedoch in Misstrauen, ja Feindseligkeit um, als die UNO mithilfe australischer Blauhelme die Unabhängigkeit von Osttimor erzwang.

„Bei dieser "Befreiungsaktion" der ehemals portugiesischen Mikro-Kolonie und ihrer katholisch-melanesischen Bevölkerung, so glaubt man in Jakarta, sei es Washington und Canberra vor allem um die reichen Erdölfunde in der Meeresstraße von Timor und um die Errichtung einer US-Marine-Basis bei Dili gegangen“


fügt er hinzu, während er seine Zigarette im Aschenbecher löscht.

Wir verabschieden uns.

Die „neue Ordnungsmacht“ lebt gefährlich als "Hort der Ungläubigkeit"

Ich begebe mich zum nahen Strand um dort den Sonnenuntergang zu genießen. An einer Beachbar tummeln sich die überwiegend australischen Gäste bei Bier und Barbecue. Die Stimmung ist gelöst, wenn das Milieu auch etwas ruppig wirkt.

Es ist die untere Mittelschicht Australiens, die hier vor dem aufziehenden Winter in Victoria und New South Wales Zuflucht sucht.

Aus dem Lautsprecher dringt die Waltzing Matilda, die heimliche Hymne Australiens, was die Gäste zum Mitsingen animiert. Vom Indischen Ozean ist jetzt eine leichte Brise aufgekommen.

Australien hatte sich unter dem damals konservativen Premierminister Howard in enger Anlehnung an Präsident Bush als neue Ordnungsmacht im südostasiatisch-pazifischen Raum profilieren wollen. Die Regierung von Canberra war sich anscheinend nicht bewusst, dass sie dabei Gefahr lief, Opfer ihrer geographischen Isolation, sowie bei nur 20 Millionen Einwohnern, von knapp einer Viertelmilliarde malaiischer Muslime in Indonesien als feindlicher Fremdkörper, als "Hort der Ungläubigkeit", wahrgenommen zu werden.

Der Begriff „Darwin-Panik“, der sich auf die Bombardierung der nordaustralischen Stadt durch japanische Bomberverbände im 2. Weltkrieg bezieht, könnte daher wieder als beklemmende Aktualität erscheinen.

Hier geht es zum ersten Teil des Reiseberichts

Hier geht es zum zweiten Teil des Reiseberichts

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