Griechenland vermeldet einen Schuldenabbau im Rekordtempo, für 2024 ein höheres Wachstum von 2,4 Prozent (2023 waren es 1,8 Prozent), Renten- und Lohnerhöhungen, sowie erneut einen Primärüberschuss im Staatsetat.

Halbleiterherstellung oder Digitalisierung?

Bundesfinanzminister Christian Lindner zweifelt am Sinn der Subventionierung von Industriebetrieben mit Bundesmitteln. Seine Koalitionspartner drängen jedoch auf die Förderung, obwohl sie aktuell wegen des Urteils aus Karlsruhe im Etat den Rotstift ansetzen müssen. Zur gleichen Zeit sinniert in Athen der griechische Amtskollege Lindners darüber, wie er aus dem internationalen Interesse von IT-Unternehmen, sich in Griechenland anzusiedeln, weitere Gewinne für den Staat generieren kann.

In den letzten zwei Jahren hat Griechenland mehr als fünf Milliarden Euro an ausländischen Direktinvestitionen für Rechenzentren angezogen. Weil Microsoft und Amazon in Griechenland investieren, wird auch Google hochmoderne Einrichtungen sowie ein regionales Cloud-Services-Zentrum aufbauen. Letzteres soll bis zu 20.000 neue Arbeitsplätze schaffen.

Aufgrund dieser Projekte wird Griechenland eines der wenigen Länder außerhalb Nordamerikas sein, in dem die drei größten Cloud-Dienstanbieter über eine lokale Präsenz und Infrastruktur verfügen werden. Statt wie die Ampel auf das Sponsoring des wankenden US-Halbleitergiganten Intel zu setzen, setzt der griechische Staat lieber auf Digitalisierungssysteme und Softwareunternehmen.

Pfizer investiert 750 Millionen Euro in das Pfizer Center for Digital Innovation (CDI) in Thessaloniki. Dort geht es um die Nutzung modernster Technologien wie Quantencomputing, aber auch wichtige Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, Start-ups und Universitäten. Die ausländischen Investitionen schaffen das passende Umfeld für die Gründung griechischer Start-ups. Diese profitieren auch von einem weiteren Fortschritt Griechenlands, dem Bürokratieabbau.

Wo in Deutschland für Bürgergeld, Kindergrundsicherung und weitere Sozialgelder immer neue, oft aneinander vorbei arbeitende Zuständigkeiten ersonnen wurden, wird in Griechenland alles auf einer digitalen Plattform, gov.gr, konzentriert.

Neidisch auf Deutschland? Das war gestern

Das Image Deutschlands in Griechenland war bis vor wenigen Jahren das eines perfekt organisierten Staats mit beneidenswertem Bürgerservice. Selbst während der Pleitezeit, als es teilweise extreme Ressentiments gegen Deutschland und dessen Staatsfinanzcredo gab, wurde die Organisation des Alltags „made in Germany“ bewundert.

Es ist gar nicht so lange her, dass in Griechenland für amtliche Bescheinigungen oft mehrere Behörden persönlich besucht werden mussten. Die Bürger mussten dabei in vielen Amtsstuben einzelne Dokumente beantragen, um sie dann zum Amt zu bringen, bei dem sie ihren eigentlichen Antrag stellen wollten. Mit dem Bürokratiemonster war es durch die vom Staat genutzte Zeit des Stillstands während der Pandemie vorbei.

Nahezu alles geht nun digital. Während in Berlin die Bürger wochenlang im Voraus online nach Terminen oder Zuständigkeiten für den Amtsbesuch suchen müssen, klicken sich die Griechen bequem vom Sofa aus durchs gov.gr- System und haben den Großteil der im Alltag benötigten Dokumente mit digitaler Unterschrift zum Ausdrucken oder Weiterversenden innerhalb kürzester Zeit im digitalen Postfach. „Wie bitte? Die haben da noch Fax?“, ist eine der typischen Reaktionen in Griechenland, wenn über deutsche Bürokratie diskutiert wird.

Fachkräftemangel?

Der Staat als einer der größten Kunden der Digitalisierungswelle zieht einschlägige Unternehmen aber auch Auslandsgriechen und „digitale Nomaden“ an. So verlegt die Sphynx Technology Solutions ihren Firmensitz für das internationale Geschäft aus der Schweiz nach Hellas. Facharbeitermangel ist in Griechenland auf dem IT-Sektor und in zahlreichen weiteren Branchen ein Fremdwort.

Mehr Arbeitsstellen als Bewerber gibt es bei ungelernten oder angelernten Arbeitskräften, etwa im Agrarbereich oder der Gastronomie. IT-Firmen in Griechenland können sich ihre Kandidaten aussuchen. Bewerber erhalten weniger Einladungen zu Vorstellungsgesprächen als in Deutschland.

Griechen, die in der Zeit der Krise das Land verließen und sich auf dem Softwaresektor beruflich fortentwickelt haben, zieht es nun zurück in die Heimat. Dort warten Rabatte des Fiskus auf Rückkehrer und ausländische „digitale Nomaden“. Für die ersten zwei Jahre gibt es einen Rabatt von 50 Prozent auf die Einkommenssteuer, wenn sich die Nomaden verpflichten für zwei Jahre „steuerliche Bürger“ in Hellas zu sein. „Digitale Nomaden“ sind in der Lesart des Fiskus diejenigen, die über Home-Office für ihre entfernten Arbeitgeber arbeiten und dabei auch gern in der griechischen Sonne leben.

Tatsächlich zieht es viele Programmierer, Autoren und weitere Arbeitnehmer, die vom Home-Office aus arbeiten können, zumindest für den Großteil des Jahres nach Hellas. Dort gibt es in den Sommermonaten perfektes Wetter, den täglichen Gang an den Strand inklusive. Anders als in Deutschland, wo die Mehrwertsteuer in der Gastronomie wieder auf den Höchstsatz angehoben wird, setzt die griechische Regierung weiterhin auf den niedrigen Satz, um den Tavernen mehr Kundschaft zu ermöglichen. Wenn der Umsatz hoch bleibt, kassiert der Fiskus weiter ab, ist das Credo des griechischen Finanzministeriums.

Volle Tavernen und gutes, preiswertes Essen gehören zum mediterranen Lebensgefühl, einem Pull-Faktor für Touristen und die weltweit umworbenen Fachkräfte. Es fällt auf, dass die Supermarktpreise in Griechenland teilweise erheblich höher sind als in Deutschland. Gleichzeitig sind die Restaurantpreise relativ niedrig.

Das scheinbare Oxymoron löst sich auf, wenn einkalkuliert wird, dass Dienstleistungen aller Art in Griechenland billiger sind. Dies ist ein weiterer Pull-Faktor für Industrie, Telearbeiter und Kleinbetriebe. Denn niedrige Wartungskosten für Anlagen, Fuhrpark und Arbeitsgeräte sind ein nicht zu vernachlässigender Kostenfaktor.

Das gute Leben mit dem im Vergleich zu den Einheimischen hohen Lohn wollen immer mehr „digitale Nomaden“ genießen. Nur Steuern in Griechenland zahlen, das wollten dann doch zu wenige. 3052 Anträge wurden bislang genehmigt, rund 1.200 sind noch in Bearbeitung. Außer den ausländischen Telearbeitern, denen das griechische Steuersystem zu kompliziert vorkommt, verweigern sich auch Griechen, die während der Krise auswanderten, und nun als digitale Nomaden zumindest den Großteil des Jahres im Land sind, der Anmeldung beim Fiskus. Nun jagen Finanzfahnder die meist jungen Menschen. Diese müssen jederzeit nachweisen können, dass sie mindestens 183 Tage im Jahr im Ausland waren. Das klingt einfacher als es in der EU-Schengen-Welt ist, denn Griechenland hat mit der umfassenden Digitalisierung die Möglichkeit dies genau zu prüfen.

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