Eine andere Medienwelt

Nein, das ist im übrigen Europa keineswegs so, wie pars pro toto die Entwicklung in Griechenland zeigt. Kontroverse Diskussionen, auch innerhalb von Parteien, bestimmen den Alltag. Waffensysteme gelangen auf teilweise verworrenen Wegen in die Ukraine und die Medien geben sich etwas mehr Mühe, um ausgewogen zu berichten.

General Ursula, Teil 2“ titelte am 23. Februar die konservative Zeitung Kathimerini ihr Porträt der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (hinter der Bezahlschranke). „Die EU bereitet sich auf Krieg vor, was tun wir?“ wählte einen Monat später am 23. März die radikal linke Zeitung Prin als Überschrift.

In den Nachrichtensendungen der staatlichen ERT wird über Angriffe Russlands auf ukrainische Infrastruktur berichtet. Dabei werden auch ukrainische Attacken auf die russische Infrastruktur erwähnt. Der Privatsender OpenTV liefert seinen Zuschauern allabendlich Streitgespräche des Korrespondenten in Berlin, der die NATO-Linie vertritt, mit dem Korrespondenten in Russland, der eindeutig die Sichtweise Moskaus propagiert.

Zypern, die Ukraine und die Heuchelei der NATO“, steht als Überschrift über einem weiteren Artikel der Kathimerini vom 24. März. Allein der Titel deutet schon an, warum im griechischen Sprachraum der Konflikt in der Ukraine anders gesehen wird als zum Beispiel in Berlin.

Seit 1974 ist die Inselrepublik geteilt. Ein von den USA tolerierter Putschversuch der seitens der NATO unterstützten griechischen Militärdiktatur gegen die damals blockfreie Regierung unter dem zypriotischen Präsidenten Erzbischof Makarios hatte 1974 zur Invasion der Türkei in Zypern geführt.

Makarios Flirt mit dem Ostblock war damals den USA und ihren Verbündeten ein Dorn im Auge. Die letztendlich gescheiterten putschenden Nationalisten wollten dagegen den „Anschluss der Insel“ ans „griechische Mutterland“, was für türkischstämmige Zyprioten gefährlich war. Die Türkei sah sich als dritte Garantiemacht neben Griechenland und der ehemaligen Kolonialmacht Großbritannien zum Eingreifen gezwungen, um die ethnisch türkischen Insulaner zu schützen.

Es kam zu einem für die NATO wenig schmeichelhaften Krieg zwischen zwei Mitgliedern, Griechenland und der Türkei, auf dem Boden eines weiteren Staats. Seitdem ist der Krieg „eingefroren“ und mehr als ein Drittel der Inselrepublik ist türkisch besetzt.

Noch immer gibt es Vermisste und Verschleppte Kriegsopfer, sowie das Paradoxon, dass im türkisch besetzen Teil Staatsangehörige eines EU-Staats auf de jure zur EU gehörigem Staatsgebiet wohnen. Es ist Griechen und Zyprioten schwer vermittelbar, dass ein „Einfrieren“ des Konflikts in der Ukraine, wie es zum Beispiel Teile der SPD in Deutschland fordern, als „Verrat“, „Belohnung des Aggressors“ und „Putin-Appeasement“ eingestuft wird, wenn sie selbst das Gleiche seit nunmehr 50 Jahren als „Lösung des Konflikts“ erleben.

Es fällt im Südosten der EU auf, dass USA und Brüssel bei der Republik Zypern penibel auf die Einhaltung von Sanktionen achten und weitere Maßnahmen gegen Russen fordern, in den besetzten Gebieten Nordzyperns aber gern ein Auge zudrücken. Außerdem droht Russland mehr oder weniger offen damit, die Annektionsbestrebungen der Türkei bezüglich des Nordens Zyperns zu unterstützen, wenn Griechenland und Zypern weiterhin treu zur Ukraine stehen. In Athen und Nikosia wartet man bislang vergeblich auf eindeutig solidarische Signale der Verbündeten für diesen Fall.

PotUS Biden liefert über Hellas

Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zur Wichtigkeit von Waffenlieferungen für die Ukraine in Griechenland nur knapp höher liegt als in Ungarn, dessen Regierungschef als „Putin-Versteher“ eingestuft wird. Nur 17 Prozent der Griechen finden die Waffenlieferungen wichtig.

Gleichzeitig wird der griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis neben Emmanuel Macron, Kaja Kallas, Donald Tusk und Giorgia Meloni zu den EU-Regierungschefs gezählt, die eine weitere Militarisierung der EU und ein aktiveres Eingreifen in der Ukraine befürworten.

Zudem bietet Mitsotakis US-Präsident Joe Biden einen Ausweg gegen die Blockade der Republikaner hinsichtlich von Waffenlieferungen in die Ukraine. Griechenland erhält als NATO-Partner von den USA nicht mehr gebrauchte Waffensysteme und Munition und liefert das erhaltene Militärgerät dann weiter in die Ukraine. Die ausgetricksten Republikaner wahren so ihr Gesicht, während Biden über Griechenland weiter die Ukraine unterstützt.

Mitsotakis hat seine Partei in fast allen Fragen geschlossen hinter sich. Nur in puncto Ukraine bekommt er Gegenwind zu spüren.

Offene Kritik an Waffenlieferungen

Welche EU wollen wir? Eine, die 57 Milliarden Euro für die Ukraine hat aber keine 5 Milliarden für die Bauern Europas?“ Dieser europakritische Spruch fiel am Mittwoch im griechischen Parlament.

Der Sprecher, Nikitas Kaklamanis, ist einer der dienstältesten Politiker der regierenden Nea Dimokratia, der griechischen CDU/CSU-Schwesterpartei. Bis zu den letzten Parlamentswahlen war Kaklamanis, der auch als Gesundheitsminister und Bürgermeister Athens gewirkt hat, erster Parlamentsvizepräsident. Mit 296 von 300 möglichen Stimmen hält er dabei den Rekord der höchsten jemals gemessenen Zustimmung bei der Präsidiumswahl. Kurz, der promovierte Mediziner Kaklamanis gehört zu den griechischen Politikern, die in allen Lagern Ansehen genießen.

Der Achtundsiebzigjährige beschränkte seine EU-Kritik nicht nur auf die Militärhilfe für die Ukraine. Für ihn ist die aktuelle EU-Politik der Grund dafür, dass es in nahezu allen EU-Staaten einen Rechtsruck gibt. Kaklamanis wandte sich an seine Parteifreunde und an die anwesenden Minister der Regierung. Er warnte davor, dass es nach den Europawahlen zu spät sei, einen Anstieg des Rechtsextremismus in der EU zu beklagen.

Es ist bemerkenswert, dass Kaklamanis seine Rede ausgerechnet während der Debatte um ein Misstrauensvotum gegen die Regierung der Nea Dimokratia hielt. Er sparte nicht mit Kritik an der Opposition und versicherte, dass er der Regierung sein Vertrauen aussprechen würde. Aber ihm würden innerhalb der EU Charaktere wie de Gaulle, Adenauer und Mitterand, nach seiner Ansicht „wahre Europäer“, fehlen. Kaklamanis ist in Griechenland als „bürgerlicher Rechter“ bekannt. Er spricht durchaus für einen großen Teil seiner Partei.

Von anderen Parlamentariern der Nea Dimokratia kam während der Debatte um das Misstrauensvotum auch Kritik an der aktuellen EU-Klimapolitik auf. Diese sei „das Werk linker gescheiterter Politik“ ließen sie das Plenum wissen. Das ist insofern interessant, als dass von der Nea Dimokratia bislang die EU-Klimapolitik in Griechenland konsequenter durchgesetzt wird, als es seitens der Ampel-Koalition in Deutschland der Fall ist.

„Das sind keine seriösen Dinge!“

Schließlich gibt es im griechischen Sprachraum noch eine weitere, besondere Sichtweise auf den Konflikt in der Ukraine. Rund um das schwarze Meer siedeln seit Jahrtausenden Griechen. Im 18. Jahrhundert kamen mit Sewastopol, Simferopol, Mariupol, Melitopol weitere Ansiedlungen mit griechischer Beteiligung im russischen Reich dazu. Auch bei Odessa und Cherson handelt es sich um griechische Stadtnamen.

1814, sieben Jahre vor dem hellenischen Aufstand gegen das Osmanische Reich gründeten die griechischen Kaufleute Emmanuel Xanthos, Athanasios Tsakaloff und Nikolaos Skoufas die Filiki Eteria, einen Geheimbund zur Befreiung Griechenlands in Odessa. Eine Ansiedlung mit dem Namen Cherso, gibt es zudem auch im Norden Griechenlands. Grund genug für Premier Mitsotakis im aktuellen Konflikt an den „griechischen“ Orten in der Ukraine gemeinsam mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Präsenz zu zeigen.

Mitsotakis sprach am 6. März vor Ort mit Vertretern der griechischen Diaspora in der Ukraine und zeigte sich geschockt. Er versicherteganz Europa unterstützt den Kampf der Ukraine um Freiheit und Unabhängigkeit. Und natürlich darf Griechenland bei diesen Bemühungen nicht fehlen.

Kaum aus der Ukraine zurück und nach Brüssel weitergereist, erfuhr Mitsotakis aus den Medien von einem Tweet des ukrainischen Präsidenten.

Ich habe mit dem griechischen Premierminister Mitsotakis über die Umsetzung unserer Vereinbarungen, die wir während seines jüngsten Besuchs in der Ukraine getroffen hatten, sowie über unsere laufende Verteidigungskooperation, insbesondere im Hinblick auf die Stärkung unserer Luftverteidigung gesprochen. Am 6. März konnte Premierminister Mitsotakis in Odessa aus erster Hand erleben, wie wichtig es ist, unseren Himmel zuverlässig zu schützen. Außerdem habe ich ihn heute Morgen über den russischen Angriff auf Kiew informiert. Wir haben außerdem vereinbart, die Arbeit an einem bilateralen Sicherheitsabkommen auf der Grundlage der G7-Erklärung von Vilnius zu beschleunigen“ (eigenen Übersetzung), schrieb Selenskyj auf X, früher Twitter.

Eine Vereinbarung mit der Ukraine und ein bilaterales Sicherheitsabkommen? Davon hatten die Griechen beim Briefing durch die eigene Regierung nichts erfahren. Entsprechend fielen die Reaktionen der Opposition, aber auch der Medien auf die Enthüllungen des ukrainischen Präsidenten aus. Mitsotakis sah sich gezwungen zu dementieren.

Es gibt keinen Deal. Es ist etwas, das wir mit absoluter Transparenz ausgeschlossen haben. Es ist mir nicht möglich, in die Ukraine zu fahren und heimlich ein Abkommen zu unterzeichnen. Das sind keine seriösen Dinge“, dementierte Mitsotakis den Tweet Selenskyjs mit ungewöhnlich scharfen Worten.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Im Text erfahren die Leser wie unterschiedlich die Sichtweise in Griechenland im Vergleich mit Deutschland auf den Krieg in der Ukraine ist. Es wird in den Medien offen über Militarismus und Kriegsgefahr diskutiert. Auch innerhalb der Regierungsfraktion unter dem treuen Verbündeten der Ukraine, dem griechischen Premier Kyriakos Mitsotakis, gibt es kontroverse Diskussionen.

Schließlich sind bald Europawahlen und man sollte einen Eindruck davon haben, was sich wie - und warum - in die eine oder andere Richtung in Europa entwickelt.

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