Eine mehr oder weniger subtile Reduktion der Produkt- oder Dienstleistungsqualität kann unabhängig von einer Preisveränderung stattfinden. Auch bei sinkenden Preisen kann die Kaufkraft der Bürger abnehmen, wenn die Qualität noch stärker sinkt als die Preise. Wenn die Preise spürbar steigen und die Qualität dabei nachgibt, können sich sehr rasch deutliche Kaufkraftverluste einstellen. Wie die Preisanhebungen im Rahmen der Euro-Einführung wird auch die „gefühlte Inflation“ oft belächelt. Real sind die Kaufkraftverluste aber dennoch.

Die Entwicklung der Kaufkraft in der Eurozone bzw. den initialen Mitgliedern in der Zeit vor der Union zeigt die folgende Grafik auf Basis des harmonisierten Konsumentenpreisindex.

 

Qualitätsveränderungen werden zwar im Rahmen der Indexmethodik von Eurostat berücksichtigt. Der entsprechende die Probleme auflistende Passus in der Methodenbeschreibung ist jedoch ernüchternd und schließt mit den Worten:

Die Qualitätsanpassung ist eines der schwierigsten, wenn nicht sogar das schwierigste Harmonisierungsproblem für den Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI). Eurostat und die EU-Mitgliedstaaten sind derzeit sowohl in allgemeine als auch in konzeptionelle Diskussionen über Methoden involviert und untersuchen die Ergebnisse empirischer Studien über Qualitätsveränderungen und Qualitätsanpassungen.“

Diese Datenlage und das allgemein eher untergeordnete Interesse öffentlicher Stellen – der Bundesrechnungshof sei an dieser Stelle ausdrücklich von der Schelte ausgenommen - das eigene Erodieren in aller Pracht offenzulegen, ist die Basis der Annahme vieler Bürger, wohl nicht alle Einflussfaktoren des Alltags in den akademischen Indizes wiederzufinden.

Ein offensichtliches Beispiel für Qualitätsveränderungen findet sich im Lebensmittelbereich. So kann die Veränderung der Zutatenliste eines Produkts, etwa durch den Ersatz von natürlichen Inhaltsstoffen durch künstliche oder billigere Alternativen, zu einer minderwertigen Qualität führen. Der Kunde zahlt den gleichen Preis, bekommt aber ein Produkt, das geschmacklich oder gesundheitlich nicht mehr dem Standard entspricht, den er gewohnt ist. Aber auch bei der Beurteilung der Qualitätsveränderungen ist es schwierig, einen Konsens zu finden. Der eine findet bestimmte Zusatzstoffe gut, der andere nicht.

Weniger offensichtlich, ebenfalls kaum quantifizierbar aber ebenso relevant ist die Qualitätsreduktion bei Dienstleistungen. Nehmen wir das Beispiel von Fluggesellschaften: Hier kann ein Qualitätsverlust durch die Reduzierung des Serviceumfangs, wie weniger Beinfreiheit oder das Wegfallen kostenloser Mahlzeiten und Getränke auf Flügen, eintreten. Während die Ticketpreise stabil bleiben oder sogar steigen, erhält der Kunde eine grundlegend reduzierte Dienstleistung.

Gleiches gilt in vielen Alltagssituationen, etwa beim Kontakt mit unfähigen und unfreundlichen Bedienungen im Bekleidungsgeschäft, dem aufs Handy starrenden Verkäufer, der lieber Chat-Nachrichten verschickt, als Kunden zu bedienen, beim schludrigen Handwerker, der die Baustelle nicht mehr aufgeräumt hinterlassen mag oder beim Durchfliegen der endlosen Warteschleifen in unseligen Call-Centern, die nach dem Motto „Sie werden gleich bedient sein“ agieren. Auch hilft es wenig, an einigen Stellen ein Internet vorzufinden, dass mit anderen Ländern auf Augenhöhe ist, wenn die Netzabdeckung dermaßen unterirdisch ist, dass man sich fragt, ob man gerade in der Zeit rückwärts reist.

Beim Blick auf die Entwicklung seit 1990 zeigt sich die Auswirkung einer angenommenen Reduktion der Qualität von Waren und Dienstleistungen um 1 % pro Jahr. Allein dies würde die über Preissteigerungen allein die bereits mehr als halbierte Kaufkraft weiter deutlich verringern.

Schlussendlich verbliebe bei dieser Annahme lediglich ein Drittel der im Jahre 1990 vorhandenen Kaufkraft eines Euro bzw. eines von Eurostat ermittelten Währungskorbes für die Zeit vor der Währungsunion. Eine mittlere einprozentige Verbesserung der Qualität aller Waren und Dienstleistungen würde den preisbedingten Kaufkraftverlust auf rund ein Drittel des Ursprungswertes reduzieren.

 

Das Prinzip lässt sich auch auf den staatlichen Sektor übertragen. Wie viel Steuern und Abgaben zahlt der Bürger und wie steht es um die Qualität der dafür gebotenen Dienstleistungen im Bildungssektor, im Transportwesen oder auch im Gesundheitssystem?

Die genannten Beispiele verdeutlichen, dass neben den offensichtlichen Preiserhöhungen auch Qualitätsveränderungen zur Inflation beitragen. Während Preisänderungen relativ einfach zu messen sind, bleibt der Qualitätsverlust oft unbemerkt und ungemessen. Neben den üblichen Versuchen, der Integration von Qualitätsveränderungen in die Inflationsindizes, gibt es auch besonders kreative Ansätze.

Ein schönes Beispiel hierfür ist die Berücksichtigung der Substitution in den US-Indizes, die vom Bureau of Labor Statistics (BLS) veröffentlicht werden. Dieser Ansatz geht davon aus, dass Menschen Güter, die teurer werden, durch billigere Alternativen ersetzen. Das entspricht zwar dem Verhalten der Verbraucher. Allerdings steigen infolgedessen die Ausgaben der Bürger nicht, da der Warenkorb sich ändert, allerdings sinkt die Qualität.

Wird das Steak zu teuer, kauft der Bürger eben Schnitzel, so die Annahme. Daher wird die günstigere Alternative in den Index aufgenommen bzw. höher gewichtet und der Preisanstieg der Steaks wird zumindest teilweise aus den Indizes herausgehalten. Die Preisentwicklung wird daher tendenziell zu niedrig ausgewiesen. Dies führt dazu, dass die tatsächliche Inflation, die Verbraucher erleben, häufig unterschätzt wird. Der schleichende Verfall der Währung findet ungeachtet dessen weiterhin statt. Er wird nur mäßig kreativ überschminkt.

Mehr als vom Niveau von Behörden zusammengestellter Indizes hängen der Einfluss und damit auch die Wahrnehmung der Inflation vom jeweiligen Konsumverhalten des einzelnen Bürgers ab. Zwar werden etwaige Qualitätsverbesserungen bei Unterhaltungselektronik oft als Gegenbeispiel und Fahne der „technisch bedingten Deflation“ angeführt, die es freilich in manchen Sektoren gibt. Für die meisten Menschen sind jedoch die Posten Wohnen, Heizen, Fahren und Essen die dominanten monatlichen Ausgaben.

Der langfristige Effekt selbst niedriger Inflationsraten auf die Kaufkraft des Geldes wird gemeinhin unterschätzt. Das ist bemerkenswert, denn die Risiken betreffen nicht nur die heute anfallenden Lebenshaltungskosten, sondern wirken sich noch deutlich stärker auf langfristige ungedeckte Zahlungsversprechen wie beispielsweise die Rentenzahlungen aus. Wer über schuldenfinanzierte Stützungsprogramme und Subventionierung von Transferleistungen sowie ausufernde konsumtive Verschuldung der öffentlichen Hand jubelt, sollte die langfristigen Konsequenzen im Blick halten. Inflation ist und bleibt ein monetäres Phänomen.

„Was heißt das konkret für mich!?“

In einer Welt, in der zumindest beim Konsum die Quantität oft über der Qualität steht, ist es bei der Beurteilung der Entwicklung der Kaufkraft einer Währung wichtig, ein wachsames Auge auf beide Aspekte der Inflation zu haben – sowohl auf die steigenden Preise als auch auf die schleichende Erosion der Qualität.

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