Die Entwicklung künstlicher Intelligenz hat sich in den letzten Monaten dermaßen oft in großen Sprüngen vollzogen, dass sich viele bereits an die Geschwindigkeit gewöhnt haben, mit der Software neue Höchstleistungen bringt. Dabei wurden längst Arbeitsschritte automatisiert, die auch zur Zeit noch äußerst zeit- und damit kostenaufwendig von Menschenhand erledigt werden. Es ist bereits absehbar, welch schwerwiegende Folgen dies für den Arbeitsmarkt haben wird.

Yuval Harari, der einigen als Haus- und Hofphilosoph des einflussreichen World Economic Forum gilt, hat jedenfalls bereits im Jahr 2014 in einem CNN Interview keine positive Antwort parat, welche Rolle Menschen in einer Zukunft spielen können, in der die vormals durch sie erbrachten Leistungen automatisiert wurden: Man müsse sich der Gruppe unnützer Menschen („useless class“) zwar nicht unbedingt gewaltsam entledigen, da „die richtige Dosis Medikamente/Drogen und Computerspiele“ wahrscheinlich schon ausreichten, „die Massen wohlgenährt und sogar zufrieden“ zu unterhalten.

Das Problem dieses unproduktiven biologischen Wirtschaftsforsatzes, wie man ihn angelehnt an diese Sichtweise bezeichnen könnte, löse sich dann mit der Zeit langsam von selbst auf. Einen Wert hat der Mensch, der nicht mehr produktiv ist, für das System aber nicht mehr, so Harari. Eine Position, die er in den letzten Jahren noch prominenter vertritt als früher.

Mit der Thematisierung des Bewusstseins verweist er implizit auf die ungleich wertvollere Existenz des Menschen für sich selbst, als der automatisierte Prozess für sich in Anspruch nehmen könnte, weil er bisweilen keine bewussten Erfahrungen macht. Doch statt den Erhalt und die Steigerung der Lebensqualität der empfindungsfähigen Menschheit als Ziel moderner wirtschaftlicher Bemühungen zu benennen, fordert Harari – möglicherweise, um diesem unerwünschten Schluss zu entgehen – die Forschung zu intensivieren, ob Bewusstsein auch auf Grundlage komplexer Algorithmen existieren kann; soll damit signalisiert werden, dass man einer bereits entbehrlichen Menschheit ihre letzte Bastion der Einzigartigkeit bald auch noch abzuringen vermag?

Es wäre besser, das ganze verrottete System zu beseitigen und die Folgen auf sich zu nehmen.

So lautet die knappe und radikale Schlussfolgerung des Mathematikers Theodore Kaczynski in seinem 1995 veröffentlichten Manifest „Die industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“. Zuvor beschreibt er darin ausführlich und treffsicher das schon damals antizipierte Szenario, dass es der Wissenschaft eines Tages gelingt, Computersysteme zu entwickeln, „die alle Dinge besser als der Mensch tun können“.

Derweil sich dieses Manifest auch noch über ein Vierteljahrhundert später als äußerst lesenswert erweist, steht es unwiederbringlich im Schatten seiner Entstehungsgeschichte, da Kaczynski, der als Unabomber in die Geschichte des Inlandsterrorismus der USA eingegangen ist, aus diesen Erkenntnissen illegitime Gewalt als Mittel abgeleitet hat, sich Gehör zu verschaffen.

Ob ihm jemals klar geworden ist, dass er, zusätzlich zu dem unermesslichen menschlichen Leid, das er zu verantworten hat, auch seiner in Teilen genialen Abhandlung zu den Gefahren der technologischen Entwicklung damit großen Schaden zugefügt hat?

Wir, die wir uns tatsächlich vor die damals nur hypothetischen Probleme einer hochtechnologischen Konkurrenz gestellt sehen, sollten uns ungeachtet dieser Schattenseiten eines Vordenkers erlauben, auch die fundamentale Frage nach dem Verhältnis des Menschseins zur Technologie zu stellen. Wenn wir dies nicht tun, droht die von vielen Wissenschaftlern erwartete Singularität sich verselbstständigender KI-Systeme, dies für uns – oder vielmehr gegen uns – zu tun.

 

In diesem Sinne empfehlen wir die Lektüre folgender Beiträge, auf denen dieser Artikel basiert:

Künstliche Intelligenz als philosophisches Problem?“, philosophie.ch: https://www.philosophie.ch/artikel-deutsch/2018-05-21-leser

Die Industrielle Gesellschaft und ihre Zukunft“, Ted Kaczynski: www.psychiatrie-erfahrene-schweiz.org/wp-content/uploads/2017/07/Das%20UNA-Bomber%20Manifest%20deutsch.pdf

Will people still be useful in the 21st century?“, Yuval Harari, cnn.com: https://edition.cnn.com/2014/09/17/opinion/opinion-tomorrow-transformed-harari/index.html

Hier finden Sie eine brauchbare Google-Übersetzung ins Deutsche: https://edition-cnn-com.translate.goog/2014/09/17/opinion/opinion-tomorrow-transformed-harari/index.html?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp

Eine hervorragende Übersetzung können Sie sich grundsätzlich selbst mittels Deepl erstellen: https://www.deepl.com

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