Impfstoffe werden nicht alle Probleme ruckzuck in Wohlgefallen auflösen
Die Freude über die Entwicklung von Impfstoffen ist verständlich. Doch muss man wie bei einem Beipackzettel auch das Kleingedruckte lesen. Wie schnell ist ein Grad an Durchimpfung erreicht, so dass Lockdowns nachhaltig zurückgefahren werden können? Wie lange hält der Impfschutz? Wenn Covid-19 vermutlich wie das Grippe-Virus mutiert, muss jedes Jahr nachgeimpft werden. Doch ist selbst in Deutschland eine Grippe-Komplettimpfung nicht möglich. Zunächst werden coronale Lockdowns hartnäckig sein wie Kaugummi am Schuh.
Im Vergleich zu früheren Krisen hat die Pandemie ausgerechnet den Dienstleistungssektor voll erwischt, der immer als wirtschaftspolitischer Hoffnungsträger galt. Da er sehr arbeitsintensiv ist, hat man in Kneipen, Gaststätten oder Schnellrestaurants zur Not immer irgendwie einen Job bekommen. Doch fallen hier Arbeitsplätze weg, dauert es lange, bis sie erneut geschaffen werden, wenn überhaupt. So manche Zapfanlage wird für immer versiegen.
Die gute alte Industriewelt ist Wirtschafts-Geschichte
Früher garantierte die (Export-)Industrie beste Jobs und gute Löhne für die Mittelschicht. Doch es ist wie mit der Jugend: Sie kommt nicht mehr zurück. Der dynamische Prozess des Ersatzes von Menschen durch Maschinen hat erst begonnen. Hinzu kommt das Ende der fossilen Ära, deren Krone vor allem Deutschland z.B. bei Verbrennungsmotoren trug. Nicht zuletzt hat die Globalisierung und damit die Happy Hour der außenhandelsstarken Nationen ihre Höhepunkte erreicht bzw. schon überschritten. Übrigens, auch US-Präsident Biden hat eine protektionistische Ader.
Insgesamt kommen die Einschüsse selbst bei top ausgebildeten Facharbeitern in Deutschland näher. Und in immer mehr EU-Ländern fährt die einst hoffnungsvolle Jugend mit Uni-Abschluss Taxi oder räumt Regale im Supermarkt ein.
Zwar profitieren einige Marktsektoren wie Technologie in phantastischer Weise von Corona und grundsätzlich von der Digitalisierung. Doch ist der Jobeffekt der new zur old economy gering. So verfügt das amerikanische IT-Unternehmen ZOOM, das Software für Videokonferenzen anbietet, zwar über eine Marktkapitalisierung wie der Ölkonzern Exxon, beschäftigt aber nur ein Prozent seiner Belegschaft. Heute ist der Aktienmarkt nicht mehr wie früher das Abbild volkswirtschaftlicher Basisdaten, sondern das Spiegelbild eines dramatischen Strukturwandels.
In der Not haben Finanz- und Geldpolitik da zu sein
Angesichts der coronalen Naturkatastrophe wird keine Regierung ihre Wirtschafts-Hände in den Schoß legen. Und die Menschen verlangen zu Recht, dass man sich um ihre Belange kümmert. Ansonsten könnte es zu einer „demokratischen Rezession“ ohne Wiederaufschwung kommen.
Daher ist es zunächst verständlich, dass eine konjunkturstimulierende Finanzpolitik und die sie bezahlende Geldpolitik ein Zweckbündnis eingehen. Und EZB-Chefin Lagarde macht ja an allen Ecken und Enden deutlich, dass selbst Covid-19-Impfstoffe die wirtschaftlichen Pandemie-Probleme nicht zeitnah beenden. Sie warnt sogar davor, „überschwänglich“ zu werden.
Über ein so an die Wand gemaltes Weltuntergangsszenario wird die EZB das Not-Anleiheaufkaufprogramm zum Standard-Programm machen. Dabei ist die schwache eurozonale Inflation in der Eurozone ja geradezu ein Befehl, geldpolitisch „all in“ zu gehen. Also wird die EZB im Dezember als Weihnachtsgeschenk eine weitere Liquiditätsausweitung ankündigen, mit der sie bis Ende 2021 komplett alle Neuemissionen an Staatsanleihen wie ein Schwamm aufnimmt. Das ist Staatsfinanzierung in Vollendung. Zur Erinnerung: Das war einmal verboten. Die Entwicklung der EZB dürfte Richtung japanischer Notenbank gehen, die vor der Finanzkrise etwa neun, aber heute weit über 50 Prozent der Staatspapiere Japans hält.
Auf einen deutschen Orkan der stabilitätspolitischen Entrüstung sollte niemand warten. Angesichts auch unserer kriegsähnlichen Neuverschuldung kommt es höchstens zum Sturm im Wasserglas. In Berlin ist man dankbar, dass die EZB für negative Kreditzinsen und reibungslosen Schuldenabsatz sorgt. Jeder ist sich selbst der nächste und unsere Bundesfinanz- und Länderfinanzminister stehen direkt neben sich. Wird die Schuldenbremse nach ihrem Karfreitag jemals österliche Wiederauferstehung erleben?
Nothilfen dürfen kein Dauerzustand werden
Die Frage sei erlaubt, in welcher Wirtschaft wir nach der Notlage leben wollen. Kommen wir zurück zur marktwirtschaftlichen Ausrichtung oder machen wir die Not zur Tugend, gewöhnen wir uns an die schöne neue staatswirtschaftliche Welt, die uns vermeintlich alle Probleme abnimmt?
Wir kennen alle diesen Spruch unserer Eltern: „Du sollst es später einmal besser haben als wir“. Dazu wurden uns zwei Dinge mitgegeben: Liebe und Ausbildung. Diese Anstrengungen waren weder für Eltern noch deren Sprösslinge immer nur ein Zuckerschlecken. Ja, das Leistungsprinzip tut mitunter weh. Aber war es nicht alle Mühe wert? Natürlich! „Ohne Fleiß kein Preis“ war eines der Lieblingszitate meines Vaters. Man wollte doch, dass die Kinder auf die harte berufliche Leistungsgesellschaft vorbereitet sind. Dort sollten sie mit den Adlern fliegen, nicht mit den Hühnern scharren.
Daher dürfen ebenso Politiker ihren schutzbefohlenen Bürgern niemals suggerieren, dass durch den Staat alles anstrengungslos darstellbar ist, sozusagen das Pudding-Abitur für alle. Von nichts kommt nichts. Leistung ohne Gegenleistung funktioniert schon mathematisch nicht. Selbst wirtschaftspolitisch auf Halten spielen, führt ja letztlich auch zu keinem Gewinn. Schon dieses Unterfangen wird in einer wettbewerbsstarken Welt, die Europa nicht das Schwarze unter den Nägeln gönnt, gnadenlos ausgenutzt. Stillstand ist bereits Rückschritt.
Und so darf die EZB nie als Förderverein zur Umgehung des volkswirtschaftlichen Leistungsprinzips missbraucht werden: Der Staat zahlt alles und die Notenbank finanziert alles.
Asien der wirtschaftlich dominante Spieler und Europa auf der Ersatzbank?
In Asien hat man das begriffen, man setzt auf das Leistungsprinzip, interessanterweise wie damals bei uns auch. Man will wachsen, expandieren und Geld verdienen. Und so hat man auch nichts gegen reiche Menschen. Wirtschaftlicher Erfolg ist keine gefährliche Krankheit, die man ähnlich einer Teufelsaustreibung mit Überbesteuerung oder Enteignungsgelüsten heilen muss.
Auch wenn durch den technologischen Wandel viele Jobs wegfallen, tut man in China & Co. alles dafür, um möglichst viele neue zu schaffen, damit viele Menschen Wohlstandsmehrung erleben. Es mag abgegriffen klingen, aber die beste Wirtschaftspolitik ist die, die Sozialleistungen erst gar nicht erforderlich macht. Marktwirtschaftlich zu resignieren und stattdessen staatswirtschaftlich das bedingungslose Grundeinkommen anzustreben und dieses sogar noch als soziale Errungenschaft zu feiern, ist eine Sackgasse, die wirtschaftliche Potenziale kastriert.
Asien schlägt jetzt noch mehr marktwirtschaftliche Pflöcke ein. Dort hat man jetzt die größte Freihandelszone der Welt mit 15 Staaten, 30 Prozent der Weltwirtschaftsleistung und 2,2 Mrd. Menschen auf den Weg gebracht. Wenn Zölle auf 90 Prozent der gehandelten Güter abgeschafft und zwei Drittel des Dienstleistungssektors vollständig geöffnet werden, erhöht das zwar den Wettbewerb. Doch zeigt die deutsche Nachkriegs-Geschichte: Sich regen, bringt Segen, Wohlstand.
Wer den wirtschaftspolitisch leichten Weg geht, wird am Ende immer den schwereren gegangen sein. Europas vermeintlicher Trumpf ist in Wahrheit sehr stumpf.
Wer sich darauf verlässt, verliert immer mehr Chancen. Irgendwann ist man chancenlos wie beim Fußball spielen gegen Spanien.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.roberthalver.de/Newsletter-Disclaimer-725
Kommentare
Der Staat rettet alles und jeden und kauft sich somit überall mit wertlosem Monopoly-Geld ein.
Stupides dahinsichendes Alltagsdasein, ohne Herausforderungen und Ambitionen...Materialpause eben.
Geht auch vorbei wie alle bisher gescheiterten Schlaraffenland-Utopie-Modelle.
Wer Freibier für alle verspricht, sollte schon aus Restintellekt nicht gewählt werden!
Wieso hierbleiben und nicht von anderen Ländern mit offenen-Armen empfangen werden und dort Leistung bringen, welche sich für Alle beteiligten lohnt?
Nunja...spannende Diskussion - wieso zeigt RTL2 sowas nicht? ;)
Da war doch glatt Fritze Merz die Hutschnur geplatzt und er warf in den Ring, dass just an diesem Tag die größte Freihandelszone in Asien unterzeichnet wurde. Hätten wir keine anderen Sorgen? Analena war das egal, zuerst die Formulare der Sparkasse ändern. Ich freu mich schon auf die unterhaltsamen Koalitionsgespräche......
Wenn der hart erarbeitete Speck der Nachkriegsgeneration aufgefressen und die Scheinwohlstandsblase geplatzt ist, werden sich alle wieder fragen wie das nur kommen konnte...
Im Unterschied zu 1945 ist keiner mehr da der arbeiten kann und will.
Tut mir leid, ich kann mich hier auf nichts mehr freuen...der Artikel von Robert Harver hat ja nur angerissen was auf uns zukommt.
Nun gut, meine unsere Söhne sind im IT und neuen Technologien unterwegs...aber wieviel Eltern können das von ihren Kindern sagen...da ich wirtschaftlich und finanziell unabhängig bin, harte Arbeit nach der Wende hat noch an die Marktwirtschaft geglaubt und das Leistungsprinzip, sehe ich das ganze mit einem starken Bedauern das unser Land untergeht...mit unfähigen Politikern und Dorfschranzen die denken sich immer und überall wichtig tuen zu können...und ich muss das noch durch Zwangsgeld bezahlen...die einen hauen sich die Taschen voll mit Staatsknete die anderen nehmen es von den Arbeitnehmern egal in welcher Position und und qendern unsere Jugend noch blöd dabei...hier sind vor allem Politiker der sogenannten staatstragenden Parteien mit ihrer politischen Polizei angesprochen....wenn ich grün höre komme ich nicht aus dem Staunen heraus wer seine eigen Heimat abschafft und diese Halbgebildeten noch wählt...na ja...die Rchnung kommt noch...
Vielen Dank. Zu diesen Worten wünsche ich uns Gesundheit und das wir uns unser finanzielles und kognitives Grundeinkommen selber generieren. Was will der Staat von uns, wenn er uns bezahlt?
Es ist zu erkennen, auch in Frankreich, dass immer mehr Menschen eine steuergeldbezahlte Anstellung anstreben. Entweder aus Not, weil es kaum Perspektive gibt oder aus Sicherheit, vermeidliche Sicherheit. Nach Goethe. "Wer auf Staatskosten oder im Dienste des Staates, reich wird, kann kein Mensch von Charakter sein." Und unser "Bildungswesen" weigert sich den Wechselunterricht zu praktizieren, lieber wird an dem alten preußischen Schulsystem festgehalten. Wir leben schon in der Dystopie.
Habe auch ihren Kommentar auf "Der Aktionär TV" gesehen. Ich sage nur "Neosozialismus". Da haben sie den Nagel auf dem Kopf getroffen. Als einfacher Mensch, bekomme ich die Krise, die Leute wollen Sozialismus, dass Vater Staat alles regelt, das halte ich für Dumm und Einfältig, für Pubertär.
Viele Grüße
Franck
/ Epochenumbruch und politische Verantwortung /
Ich empfehle noch diesen Auftritt von Precht in Freiburg, finde ihn ausgezeichnet.
Bitte bleiben Sie gesund : )