In deutschen Supermärkten spielen sich bemerkenswerte Szenen ab. Menschen, die bis vor kurzem noch über die elementarsten Arten der Vorratshaltung geschmunzelt haben, horten nun unverzichtbare Dinge, vor allem Lokuspapier (vierlagig). Schlimmer als das Horten hunderter Rollen von „flauschig und sauber“ sind die teils schon jetzt zu beobachtenden Handgreiflichkeiten an den Mehl- und Nudelregalen.

Erste Löcher in der dünnen Zivilisationsschicht

Kürzlich durfte ein Freund eine traurige Szene beobachten. Ein älterer Mann, der sich nach einer der letzten drei Tüten mit Mehl bückte und nicht mehr ganz so flott war, wurde ruppig zur Seite gedrückt. Nicht eine Tüte wurde dem Mann gelassen. So etwas ist nicht nur erschreckend, es ist abstoßend. Auch andernorts sind die Löcher in der dünnen Schicht der Zivilisation nicht zu übersehen.

Über die Gedanken, die einem in den Sinn kommen, wenn man von Diebstählen auf der Kinderkrebsstation hört, möchte man lieber schweigen. Eine Resozialisierung von Menschen, die Desinfektionsmittel und Schutzmasken von einem Ort stehlen, an dem die Kleinsten und Schutzbedürftigsten mit ihren Eltern auf das schlichte Überleben hoffen, erscheint uns nicht möglich.

Wo ist sie hin, die vielbeschworene Solidarität? Vor einigen Wochen noch sollte die ganze Welt gerettet werden. Jetzt reicht es mancherorts nicht einmal mehr dazu, drei Kilogramm Mehl mit dem Mitmenschen zu teilen. Es bleibt die Frage, was bisher eigentlich passiert ist. Man befindet sich mitten in einem der medial am lautesten kommentierten Krankheitsausbrüche. Ein Virus wandert – wie es Viren vermutlich jedes Jahr tun – um die Welt. Von Stadt zu Stadt, von Flughafen zu Flughafen und von einem Menschen zum anderen.

Hysterie statt Hilfe

Nie zuvor wurden Sterblichkeitsraten so munter auch von Laien diskutiert. Dies alles geschieht freilich ohne eine Betrachtung der exakten Daten – so es diese denn gibt. Ein paar Minuten Talkshow in ARD und ZDF müssen als Grundlage eben genügen. Alter, Vorerkrankungen, Krankheitsverläufe und andere Parameter geraten in den Hintergrund. Nur die absoluten Zahlen werden in hübsch aufbereiteten „Info“grafiken in Echtzeit unters Volk gestreut. Alles andere ist zu aufwändig.

Dabei wird die Erregung stets hochgehalten. Das führt an einigen Orten zu gruseligen Szenen, in denen erkrankte Menschen von (noch) nicht erkrankten beleidigt und teils offenbar geradezu belagert werden. Man wirft den Menschen offenbar vor, sie hätten das Virus eingeschleppt. Als hätten sich die Menschen nicht angesteckt, sondern sich bei Amazon einen Virenbaukasten bestellt und beim Herumexperimentieren geschludert. Gibt es bald auch Reisen dieser wohlgeratenen Demonstranten zu den Hütten Malariakranker oder an die Betten derer, die sich in Thailand das Dengue-Fieber eingefangen haben?

Spätestens, wenn der nächste Magen-Darm-Infekt die Runde macht, sollten sich Erkrankte wohl besser daheim für vierzehn Tage einschließen. Sonst jagt sie die Solidarische Front der Halbbegabten mit Steinen aus dem Ort. Klopapier dürften die meisten ja jetzt in ausreichender Menge im Keller haben.

Während man früher selbst in Kriegszeiten versucht hat, soviel Normalität wie möglich zu erhalten, scheint man 2020 auch bei der Hysterie-Weltmeisterschaft einen Platz auf dem Podium anzustreben. Wenn jetzt noch einen Tag lang das Telefonnetz ausfällt und WhatsApp 24 Stunden Sendepause hat, kann es bis zum Ende aller Tage nicht mehr lange dauern. Dann müsste man ja abends ein Buch lesen – um Himmels Willen...

„Was das für mich konkret bedeutet?“

Es ist eine gute Zeit für Rationalität, Zusammenhalt und zivilisiertes Verhalten.

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