Zeit, wie wir sie verstehen, ist keine selbstverständliche Einheit (beispielsweise bezüglich der Hopi-Indianer Nordamerikas wird in linguistischen und anthropologischen Fachkreisen kontrovers diskutiert, ob ihre Sprache überhaupt einen konventionellen Zeitbegriff im westlichen Sinne enthält) und auch unser Zeitverständnis ist kulturell geprägt. Möglicherweise als Folge der kulturprägenden muslimischen und christlichen eschatologischen Weltdeutung herrscht heute auch in säkularen westlichen Kreisen ein lineares Zeitverständnis vor, wenn auch in einer ganz eigenen, faszinierend folgenreichen Kombination mit zyklischen Elementen.

Religiöses Grundmotiv eines linearen Zeitverständnisses ist die Lehre von der Urschöpfung und der Entwicklung des Lebens auf einen Tag hin, an dem das Jüngste Gericht diesen Entwicklungsprozess dereinst abschließen wird. Dieses Zeitverständnis legt nahe, dass menschliche Existenz gelingen, aber auch fundamental scheitern kann. Max Weber schreibt dem Calvinismus, einer u.a. durch den Prädestinationsglauben (linearer kann man Zeit kaum denken) geprägten Auslegung des Protestantismus, zu, die moderne kapitalistische Leistungsgesellschaft hervorgebracht zu haben, in der persönlicher Erfolg immer noch fatal mit menschlichem Wert verknüpft ist.

Auch die bis heute populäre Vorstellung vom nahenden Weltuntergang als dem endgültigen Ende eines Prozesses mit einem einzigartigen Anfang beruht grundlegend auf einem linearen Zeitverständnis, sei er nun aus religiösen Gründen herbeigesehnt, als vernichtender Kometeneinschlag visualisiert oder von Klimapropheten als Hitzetod im CO2-Exzess in Aussicht gestellt. Die Apokalypse einer linearen Zeitdeutung wird jedoch vor dem Hintergrund eines zyklischen Zeitverständnisses kataklystisch: dem letzten Ende folgt ein neuer Anfang. Dies lässt sich mit der Vorstellung vom endgültigen Scheitern wichtiger Vorhaben in Beziehung setzen, die sich aus der Vorstellung eines linearen Zeitverlaufs ableitet – oder in der zyklischen Deutung mit der Legitimierung fortgeführten Strebens nach dem Scheitern eines Versuchs.

Aber gerade vor dem Hintergrund der guten, vielleicht teilweise etwas hoch gesteckten Vorsätze für das neue Jahr lohnt sich ein Blick auf ein zyklisches Zeitverständnis, das den kraftvollen Neuanfang und das Dranbleiben im Angesicht gelegentlichen persönlichen Scheiterns im Kleinen wie im Großen auf ganz eigene Weise unterfüttern kann. Es liegt auf der Hand, dass sich in den kreisförmigen Bahnen der Planeten eine schöne Analogie finden lässt, um die Zeit als einen Zyklus zu begreifen: als Wiederkehr der Gelegenheiten; oder, als Kehrseite der Kreisförmigkeit, als Verdammnis zum ewig Gleichen.

Erstaunlicherweise bilden die Planeten aber keineswegs flache, monotone Kreise, wie eine schöne Animation der Bewegung der Sonne durch den Raum und mit ihr des Tanzes der Planeten zeigt und so dazu einlädt, die Zeit spiralförmig zu denken: als rhythmische Aufwärtsbewegung und gleichsam als Abfolge immer neuer Gelegenheiten unter immer neuen Bedingungen mit immer wieder neu begründbaren Aussichten auf Erfolg.

In diesem Sinne empfehlen wir die Lektüre eines Artikels auf intercultural-success.de, der einen gelungenen Überblick über verschiedene Zeitbegriffe und ihre Implikationen für unser Weltverständnis gibt, bevor man sich eventuell dem komplexeren Studium philosophischer Abhandlungen zum Zeitbegriff widmet – hierfür sei auch ein umfassend referenzierter Übersichtsartikel in der Stanford Encyclopedia of Philosophy empfohlen.

Hier finden Sie den Artikel auf Intercultural Success:
https://intercultural-success.de/47-unterschiedliche-zeitauffassungen-zyklisch-vs-linear-konkret-vs-abstrakt/

Den ausführlicheren englischen Übersichtsartikel der Stanford Encyclopedia of Philosophy finden Sie hier:
https://plato.stanford.edu/entries/time/
Eine hervorragende Übersetzung können Sie sich selbst mittels Deepl erstellen: deepl.com

Wenn Sie diesen Link aufrufen, erscheint der englische Übersichtsartikel im Browser in der ebenfalls brauchbaren Google-Übersetzung:
https://plato-stanford-edu.translate.goog/entries/time/?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=de&_x_tr_hl=de&_x_tr_pto=wapp

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