Bei Berichten über temporäre Rückgänge der französischen Stromerzeugung wird in Deutschland gern auf hier und dort zeitweise niedrige Wasserstände in Flüssen hingewiesen, die das Kühlwasser für die Anlagen bereitstellen. Im Kern liegen die Schwierigkeiten jedoch in einem zunehmenden Wartungsbedarf der Kraftwerke aufgrund des weit fortgeschrittenen Alters.

Das ist kein generelles Problem der genutzten Technik, sondern das Resultat einer in den letzten Jahrzehnten verschlafenen Erneuerung des Kraftwerksbestands. Wer zwanzig Jahre lang keinen neuen Reaktor baut, der hat halt keinen Reaktor, der jünger ist als zwanzig Jahre. Daraus ein Argument gegen die Kernenergie zu stricken, ist vergleichbar mit dem Anstimmen eines Abgesangs auf den Computer, weil der PC mit dem Intel Pentium M-Prozessor aus dem Jahr 2003 beim 3D-Spiel ruckelt.

Die Altersstruktur der französischen Kraftwerke verdeutlicht den aufgestauten Modernisierungsbedarf. Von den 56 aktiven Reaktoren sind 50 älter als 30 Jahre. Jünger als 20 Jahre ist keiner. Zur Einordnung: Laut FAZ betrug die durchschnittliche Lebensdauer stillgelegter Windkraftanlagen in Deutschland nach Angaben der Fachagentur „Wind an Land“ im Jahr 2017 rund 16,5 Jahre.

 

In China sieht die Lage anders aus. Dort sind lediglich 3 der 55 aktiven Reaktoren älter als 20 Jahre. Das mittlere Alter liegt mit 9 Jahren weniger als halb so hoch wie das Alter des jüngsten Atomkraftwerk Frankreichs.

 

 

Für die französische Energieversorgung spielt die Kernkraft die Hauptrolle. Zwischen 1975 und 1986 wurden die nuklearen Kapazitäten rasch von 10 GW auf 55 GW hochgefahren. Seither ist die Kapazität weitgehend stabil, und die Kernenergie liefert annähernd 70 % des französischen Stroms. Einen Teil dieses Stroms exportiert die ehemalige Grande Nation an ihren östlichen Nachbarn, auch wenn sich dies noch nicht zu allen Talkshow-Gästen und „Faktencheckern“ herumgesprochen zu haben scheint.

 

 

Das hohe mittlere Alter der französischen Reaktorflotte dürfte künftig immer wieder für temporäre Rückgänge in der Erzeugung aufgrund von Wartungen und Instandsetzungen sorgen. Wie groß die Bereitschaft in diesem Falle sein wird, ein Nachbarland mit Strom zu versorgen, das die eigenen konventionellen und atomaren Erzeugungskapazitäten ohne Not drastisch reduziert bzw. gänzlich abgeschaltet hat, darf mit Spannung erwartet werden.

In Frankreich dürfte, wie in vielen anderen Ländern bereits geschehen, das Thema des Baus neuer Kernkraftwerke zusehends in den Fokus rücken. Problematisch ist jedoch westlich des Rheins wie in anderen Teilen der EU die damit zusammenhängende Bürokratie und die erwartbaren Verzögerungen bei der Umsetzung.

China hat unterdessen seine Ambitionen untermauert, Kernkraftwerke nicht nur für sich selbst zu bauen, sondern diese auch zu exportieren. Bereits im Jahr 2016 verkündete der Präsident der China National Nuclear Corporation (CNNC), dass "China das Ziel hat, bis 2030 30 ausländische Kernkraftwerke zu bauen". Bis jetzt hat China zwar nur Kernkraftwerke nach Pakistan exportiert - alle sechs Einheiten in diesem Land stammen aus China - aber es wäre überraschend, wenn die chinesischen Ingenieure nicht noch andere Länder von der Technik überzeugen könnten. Die WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala brachte es unlängst auf einer Botschafterkonferenz des Auswärtigen Amts auf den Punkt, als sie sagte: „Sprechen wir mit China, bekommen wir einen Flughafen; sprechen wir mit Deutschland, bekommen wir einen Vortrag“.

Der Plan der chinesischen Energieagentur vom März 2022 sieht übrigens neben der Erweiterung der nuklearen Kapazitäten auch einen Ausbau konventioneller Kraftwerke vor. So plant die Behörde, dass "200 GW kohlebefeuerte Energieerzeugung nachgerüstet wird, um die Flexibilität zu erhöhen, insbesondere kleine Einheiten unter 300 MW, die es ermöglichen, sie kurzfristig neu zu starten, um Solar- und Windkapazität als Backup zu unterstützen und die mit diesen Erzeugungsarten verbundenen Probleme der Unstetigkeit zu lösen".

Die chinesische Regierung stellt sich somit ganz offen den offensichtlichen Problemen, die aus dem Ausbau der Solar- und Windkraftprojekte resultieren. Ob China die Kosten für die konventionellen Backups in die Kalkulation der „erneuerbaren“ einbezieht, oder ob diese Aufwendungen wie hierzulande weitgehend ignoriert werden, wurde von der Behörde nicht verkündet.

Während in Asien bei Kernkraftwerken auch Bauzeiten von unter zehn Jahren erreichbar sind, erscheint dies in Europa kaum machbar. Zudem gehen mit der Zeit die technischen Fähigkeiten zum Bau der komplexen Anlagen verloren, was ja in einigen Zirkeln sogar zum Kern der politischen Botschaft gehört. Vermutlich wird man sich die neuen Kraftwerke künftig von Herstellern aus den USA, Südkorea oder China bauen lassen. Sollte eine chinesische Firma den Zuschlag erhalten, dann bietet sich die Gelegenheit, gleich ein paar Magnetschwebebahnen mitzubestellen.

Sollte China solide Reaktortechnik in angemessener Bauzeit liefern können, dann dürften die Kernkraftwerke auf Teilen des Weltmarktes das richtige Produkt zur richtigen Zeit sein. Zusätzlich dürften langfristige Wartungsverträge die Transaktionen noch attraktiver machen. Für ein totes Pferd, wie mancher deutsche Gedächtniskünstler die Kernenergie kürzlich nannte, ist es jedenfalls erstaunlich flott unterwegs.

„Was heißt das konkret für mich!?“

Ob Deutschland sich dem Thema Kernenergie öffnet oder nicht, spielt für die weltweite Entwicklung keine Rolle. Für die Bürger und die Industrie ist diese Entscheidung jedoch ebenso richtungsweisend wie für die ständig gepriesene umfassende „Elektrifizierung“ von Wirtschaft und Alltag.

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